St.Gallen wird übers Wochenende zum Mekka von Wikipedia. Wir haben unsere eigenen Erfahrungen mit der Enzyklopädie gemacht.
Rund 300 Autoren, die den deutschsprachigen Teil von Wikipedia betreuen, kommen in St.Gallen zusammen. Es ist eine Art Gipfeltreffen ehrenamtlicher Enthusiasten, die viel Zeit in die kostenlose Plattform investieren. Kaum jemand, der Wikipedia nicht auch schon genutzt hat und dankbar ist dafür, dass es diese Online-Enzyklopädie gibt.
Allerdings gibt es auch oft Kritik an dem Angebot. Zwar kontrollieren sich die «Wikipedianer» gegenseitig und sollen so dafür sorgen, dass die schiere Masse an Beiträgen nicht zu Fehlinformationen führt. Aber es lässt sich kaum vermeiden, dass zumindest vorübergehend da und dort keine harten Fakten zu finden sind, sondern zweifelhafte Ausführungen.
Dazu kommt, dass grundsätzlich jeder Änderungen vornehmen kann an Beiträgen, rückverfolgbar nur durch die IP-Adresse. Und: Nicht alle Regeln sind für den Normalverbraucher nachvollziehbar.
Als wir «Die Ostschweiz» starteten, wollten wir den Wikipedia-Eintrag über die ehemalige Tageszeitung «Die Ostschweiz» um einen kleinen Absatz ergänzen. Immerhin hat ein neues Medium unter demselben Namen den Betrieb aufgenommen, der 20 Jahre zuvor sang- und klanglos eingestellt wurde. Eine wertvolle Information für Leute, die Informationen über das Stichwort «Die Ostschweiz» suchen, wie wir dachten. Zumal der Beitrag über die frühere Tageszeitung überaus mager ist.
Die Ergänzung wurde kurz darauf ersatzlos gestrichen - von einem der unsichtbaren Wikipedianer, der - wo auch immer sitzend - zum Schluss kam, dass das nicht regelgerecht sei. Der Eintrag drehe sich einzig und allein um die frühere Tageszeitung, und mit dieser hätte die neue «Die Ostschweiz» ja schliesslich nichts zu tun.
Inwiefern die zusätzliche Information, dass unter demselben Namen ein neues Medium kreiert wurde, für die Wikipedia-Nutzer schädlich sein könnte, erschloss sich uns nicht. Wir hätten demnach einen neuen Beitrag kreieren müssen - doch wie sollte der heissen? «Die Ostschweiz (Onlinezeitung)» zum Beispiel? Wie bekannt ist, werden wir ab 2019 auch Printprodukte lancieren. Oder vielleicht «Die Ostschweiz 2»? Das wäre seltsam genug.
Dazu kommt, dass die meisten Wikipedia-Einträge voll sind mit Querverweisen zu anderen Themen, die nur noch am Rande mit dem Ursprungsthema zu tun haben. Es ist diese Uneinheitlichkeit, die misstrauisch macht: Nach welchen Kriterien wird ein- und dasselbe in einem Fall zugelassen und in einem anderen nicht? Das ist das Problem einer Plattform, bei der diejenigen Macht haben, die genug Zeit aufbringen, aber letztlich niemand so richtig verantwortlich ist.
Die Schwierigkeit an Wikipedia ist, dass die Leute, die dafür - verdankenswerterweise - Zeit investieren, gleichzeitig oft genug einer seltsam missionarischen Verhaltensweise zum Opfer fallen. Sie interpretieren die Regeln gerne im Übermass. Dabei vergessen sie leicht die Interessen ihrer Nutzer, die eigentlich nur eines wollen: Vollständig informiert sein. Das sind sie im konkreten Fall nicht. Denn «Die Ostschweiz» gibt es wieder, auch wenn sie anders aussieht. Und unter dem Wikipedia-Stichwort «Die Ostschweiz» müsste selbstredend auch ein Hinweis auf ein neues Medium zu finden sein, das so heisst.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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