logo

Ostschweizerin auf neuen Pfaden

Die Inspiration wächst im Garten

Lange mussten sich die Fans gedulden, nun ist es endlich soweit: Miriam Sutter hat ihr erstes Soloalbum herausgebracht. Die Ostschweizer Sängerin im Interview über vibrierende Probekeller, vernichtendes Unkraut und grosse Herausforderungen. 

Manuela Bruhin am 21. Mai 2021

So kurz, bevor dein erstes Soloalbum erscheint: Wie geht es dir?

Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich müde. Irgendwie fühlt man sich wie ein Spitzensportler in der Zielgerade. Die letzten Entscheidungen mussten gefällt werden, was einige kurze Nächte mit sich zog. Entscheidungen, wer auf der CD erwähnt wird, welches Foto wir verwenden, das Überarbeiten des Pressetext, die letzten Änderungswünsche des Videoschnitts, Social-Media – um nur einige der letzten Arbeiten zu erwähnen.

Dein Album erscheint in einer sehr schwierigen Zeit für die Künstler. War Corona für dich eher Ansporn, dein Album in Angriff zu nehmen oder mehr eine Herausforderung?

Corona habe ich versucht, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Beim ersten Lockdown hatte ich vielleicht fünf Minuten Bauchschmerzen, weil alle meine drei Einnahmequellen total eingebrochen sind. Der Gesangsunterricht, die Workshops an Schulen und die Auftritte sind komplett weggefallen. Was macht man also mit einem Haufen Zeit? Für mich war schnell klar: Das ist meine Chance, endlich mein Soloalbum zu Ende zu bringen.

Du bist mit diesem Album als Solokünstlerin unterwegs, es gibt aber ein Zusammenspiel mit verschiedenen Musikern.

Es ist zwar mein Solo-Projekt, jedoch hätte ich dieses ohne Unterstützung von vielen anderen nicht geschafft. Es sind Musiker, die mich inspirieren, die bei mir Begeisterung auslösen und mich sprichwörtlich zum Schwärmen bringen. Einerseits sind es Musikerfreunde, welche mich schon lange auf meinem Wegen begleiten, wie die Ostschweizer Jazzmusiker Carlo Lorenzi (Schlagzeug), Urs Baumgartner (Klavier), Dave Maeder(Bass), Giorgios Mikirozis(Percussion), Michael Neff(Trompete), Matthias Tschopp(Saxophon), Stefan Krucker(Beat Programming). Andererseits waren es renommierte Musiker aus anderen Länder, welche ich direkt angeschrieben habe. Das so einige Kooperation entstanden sind, hat mich wahnsinnig erstaunt. Die Fügung Corona war für mich eher ein Geschenk.

Weshalb?

Vielbeschäftigte Musiker waren nicht mehr auf Tour und hatten plötzlich Zeit. Wie zum Beispiel der englische Saxophonist Mike Lesirge. er spielte unter anderem Saxophon bei Erykah Badu, Quincy Jones oder Bonobo. Das Bläserarrangement auf dem Lied «Can’t kick it» spielte er ein. Mit diesem Album bin ich als Solokünstlerin unterwegs, das Zusammenspiel ist ein dynamischer Prozess, die Musiker werden nicht immer die Gleichen sein. Ich liebe es, Neues auszuprobieren, bin neugierig und experimentierfreudig. Warum das Album nicht mal auf eine ganz schräge Art live zu spielen? Mit Tenorsax, Kontrabass und Stimme. Wie ich das Album live umsetzen werde, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Welches war die grösste Herausforderung bei der Umsetzung des Albums?

Definitiv die Situation, dass ich nicht mit einer fixen Band ins Studio gehen konnte. Jedes Lied ist ein Puzzle aus verschiedenen Musikfragmenten, welche ich teilweise selber und teils mit Produzenten zusammengesetzt habe. Daher rührt auch der CD-Titel «Fragments». Dies soll wahrlich der schwerste Weg sein, ein Album aufzunehmen – habe ich mir sagen lassen. Dafür konnte ich mein Musikernetzwerk enorm weiten und hatte die komplette Farbpalette an Instrumenten zur Verfügung. Es gab also keine Grenzen, sich musikalisch auszutoben.

Du bist schon seit vielen Jahren als Sängerin unterwegs. Weshalb mussten deine Fans so lange auf ein Album warten?

Ich hatte meine Prioritäten anders gesetzt. Eine grosse Passion für mich ist es, Musik und Gesang an meiner eigenen Gesangsschule in St.Gallen «Atelier Chapeau» zu vermitteln. Auch werde ich oft als Pädagogin über kklick.ch für Schulklassen gebucht und biete da den Störgesang sowie das Songwritingprojekt mit Reto Knaus, Popmusik Selfmade im Klassenzimmer an. Dazu bin ich Leadsängerin in mehreren Formationen, bin Mutter von zwei Kindern, wohne in einem Haus mit Garten – was alles eine Menge Arbeit mit sich bringt. Dank Corona hatte ich mehr Freiraum, Zeit, mich und meine Arbeit zu reflektieren. So konnte ich meine Prioritäten verschieben und mehr Augenmerk auf das künstlerische Schaffen legen. Der Wunsch nach einer Solo CD ist bereits elf Jahre alt. Die ältesten Songskizzen aus dieser Zeit wurden zu den Liedern «Flow» und «Far away». Ich bin auch nicht der Einzelgängertyp, ich liebe den Austausch mit Menschen, Musikern, das Proben in den Kellern, das gemeinsame Erfinden von Arrangements, das Tüfteln an Sounds. Kurz und bündig fälle ich gerne Entscheidungen im Kollektiv.

Dennoch hast du dich für ein Soloalbum entschieden.

Ja, jetzt war ich plötzlich alleine unterwegs. Mit meinem Lebenspartner an meiner Seite hatte ich aber eine riesige Unterstützung. Da er, bevor wir nach Flawil umgesiedelt sind, als Musik-Journalist und Manager von Bands wie Sektion Kuchikäschtli in Zürich war, hatte ich wohl den besten Musikkritiker gleich am Küchentisch sitzen. Er hat mich dann auch viele wertvolle Inputs geben können und mich so aus meinen Reserven gelockt.

Hauptsächlich hast du dich dem Jazz verschrieben, aber auch andere Stilrichtungen widerspiegeln deine Musik. Woher holst du dir Inspiration?

Vorwiegend aus der Natur. Die besten Ideen kommen mir beim Unkraut jäten im Garten, beim Spazieren oder Joggen im Wald, beim Sammeln von Kräutern. Wenn ich in Bewegung bin, bringt das meine Gedanken zum Sprudeln. Musikalisch inspiriert mich so manches. Manchmal ist es ein Jodellied, das meine Eltern singen, manchmal ein rotziger Hip Hop Beat, dann die Attitude des Jazzs, der Soul aus den 60ern, sphärische Worldmusik, die das beschreibt, was ich in meinen Liedern ausdrücken möchte.

Gibt es weitere Projekte, die du demnächst in Angriff nehmen willst?

Natürlich werde ich mit der Liveumsetzung des Albums beschäftigt sein. Dazu werde ich mit einem Musiker aus Barcelona, der an der renommierten Berklee Jazzschule den Master absolviert hat, arbeiten. Er wird bei uns in die Wohnung für einen Monat einziehen. Ein befreundeter Musiker aus Hamburg reist ebenfalls an und so verwandelt sich unser Haus in einen vibrierenden Probekeller bis zu den Sommerferien. Dann werde ich in den nächsten vier Monaten mit dem Electro-Swing-Produzenten Duhan aus Slovenien eine nächste Mini-LP veröffentlichen, welche drei bis vier Lieder enthalten wird. Er hat zwei Lieder auf meinem Album produziert. Somit erfüllt sich eigentlich mein Hauptziel zum ersten Mal, welches ich mit der Veröffentlichung meines Soloalbums verfolgt habe: Es öffnen sich musikalisch und künstlerisch neue Türen für mich. Damit ich mich als Künstlerin weiter entwickeln kann.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.