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Interview mit Spitzensportler Andreas Isoz

«Die Trauer und Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern zeigten uns, wo wir uns befinden»

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, zögerte Andreas Isoz, ehemaliger Spitzensportler und Olympionike, nicht mit anzupacken. Mit einer Spendenaktion auf there-for-you.com sammelte er eine beträchtliche Summe Geld zusammen. Nun war er bereits das dritte Mal in der Ukraine, um Hilfsgüter zu liefern.

Gastbeitrag «Die Ostschweiz» am 03. April 2022

Interview: Lea Oetiker

Als du das erste Mal die Grenze zur Ukraine passiert hast, was ging dir da durch den Kopf?

Die Anspannung war sehr gross, keiner von uns wusste, was uns erwartet. Ich dachte, dass wir Unmengen an Transporter mit Hilfsgütern sehen und am Zoll viel Betrieb ist, dies war nicht so.

An der ungarisch/ukrainischen Grenze hatte es ein riesiger Stau von Menschen, welche mit dem Auto flüchteten, viele waren auch zu Fuss unterwegs.

Gab es einen Moment, der dir besonders gut in Erinnerung geblieben ist?

Es sind wahnsinnig viele Eindrücke, welche uns geblieben sind und es ist schwierig, diese «gegeneinander» aufzuwiegen. Das Lächeln der ankommenden Kinder am Bahnhof «Zahoni», als sie die Kinderschokolade und Kindereier erhielten, war vermutlich einer der schönsten Momente auf den sonst sehr bedrückenden Reisen.

Der Bahnhof Zahoni befindet sich direkt an der Grenze zwischen Ungarn und der Ukraine. Täglich kommen dort über 5000 Flüchtlinge an. Dort am Bahnhof werden sie registriert und anschliessend fahren sie von dort aus weiter nach Budapest.

Du warst jetzt bereits ein paar Mal in der Ukraine, hat sich was geändert?

Vor Ort hat sich nicht viel geändert. Das Elend ist riesig und wird von Tag zu Tag grösser. Die Hilfsbereitschaft ist jedoch sehr eindrücklich und enorm gross. Ich denke, bei vielen Personen im Ausland wird der Krieg schon fast zur «Normalität». Bitte nicht falsch verstehen! Umso wichtiger ist es, dass sich jeder bewusst ist, dass wir so etwas nie akzeptieren dürfen und die Situation Tag für Tag schlimmer wird in der Ukraine

Du hast auch geholfen, Personen sicher in die Schweiz zu bringen. Was geschieht nun mit ihnen?

Alle Personen konnten privat untergebracht werden. Eine Kollegin aus unserem Nachbardorf hat sich unglaublich stark für sie eingesetzt und alles koordiniert und Unterkünfte gefunden. Alle sind gut untergekommen.

Hast du noch Kontakt zu den geretteten Personen?

Ja, ich frage immer mal wieder nach, wie es ihnen geht und ob jemand Hilfe benötigt. Die ersten Kinder können bereits in die Schule gehen. Auf der Trainingsanlage der Schweizer Skiakrobaten haben wir einen Tag für die Flüchtlinge und Gastfamilien organisiert. So bekamen sie die Möglichkeit sich zu «connecten», Erfahrungen auszutauschen und die Kinder konnten sich zusätzlich noch sportlich betätigen. Der Sport ist in meinen Augen noch immer die beste Form der Integration, hier liegt eine grosse Verantwortung bei den Schweizer Vereinen.

Habt ihr überhaupt realisiert, dass ihr in einem Kriegsgebiet wart?

Natürlich hatten wir dies im Kopf und wir haben auch darüber gesprochen. Doch was es wirklich bedeutet, in ein Krisengebiet zu fahren, wussten wir nicht, daher war die Anspannung entsprechend hoch. Wir waren zwar in einem Kriegsgebiet, jedoch weit weg von den Konfliktzonen. Die Anspannung, Trauer und Hoffnungslosigkeit in den Gesichtern zeigten uns aber ab der Landesgrenze, wo wir uns befinden.

Was geschieht nun und wie geht es weiter?

Aktuell planen wir die nächste Lieferung mit dringend benötigten Medikamenten, welche wir direkt nach Kiev bringen und in die Region rund um Mukatschewe. Wir versuchen gerade die Finanzierung dieser Lieferung sicherzustellen.

Eines ist jedoch sicher, wenn wir die Möglichkeit haben, werden wir weitermachen und helfen. Dieser Krieg ist noch lange nicht vorbei und wird Jahre lang noch zu spüren sein. Mit den Spenden haben wir eine unglaubliche Solidarität gespürt, spüren nun jedoch auch, dass viele Personen gespendet haben, was möglich war und nun weniger Geld in unser Projekt einfliesst.

In einem Video machst du einen Spendenaufruf, um Medikamente an 200 Diabetes erkrankte Kinder kaufen und liefern zu können, was ist hier geplant?

Wir sind mit der Klinikleitung in Absprache, was für den Moment gebraucht wird und inwiefern sie sich mit anderen Kliniken zusammentun können. Es hilft niemandem, wenn wir Diabetes Medikamente kühl gelagert liefern und vor Ort anschliessend der Bedarf, die Verteilung und Kühlmöglichkeiten nicht stimmen. Die Planung läuft aber auf Hochtouren und wir hoffen weiterhin auf Spenden, um dies finanzieren zu können.

Ist es schwierig, rezeptpflichtige Medikamente ohne Rezept zu erhalten?

Ja, das ist eine grosse Hürde, nicht nur bei den rezeptpflichtigen Medikamenten. Einerseits verständlich, andererseits sprechen wir von einer humanitären Tragödie, welche nicht warten kann. Es darf nicht sein, dass es teilweise unmöglich erscheint, eine grosse Lieferung von Medikamenten zu kaufen für Menschen, die es dringend benötigen!

Kannst du dir vorstellen, weiterhin humanitäre Hilfe zu leisten? Vielleicht auch in einem anderen Bereich?

Grundsätzlich ja. Wenn ich dies mit Familie und Job unter einen Hut bringen kann. In dieser Intensität, in welcher wir aktuell arbeiten, wäre dies jedoch nicht möglich. Meine Frau unterstützt mich extrem und nimmt die ganze Arbeit Zuhause auf sich. Die Kinder versuchen die aktuelle Lage zu verstehen und im Job habe ich ein super Team, welches mithilft. Nicht zu vergessen ist Jonas Roth, er ist ein guter Freund und macht mindestens die gleich grosse Arbeit wie ich. Wir ergänzen uns perfekt und ohne ihn könnten wir dies nicht in diesem Ausmass durchziehen.

Du hast den Krieg und seine Auswirkungen erlebt und gesehen. Was wünschst du dir von den Menschen, welche nicht hautnah miterleben, was es heisst im Krieg zu sein oder unter Krieg zu leben und aufzuwachsen?

Schwierige Frage. Die Bilder und Geschichten aus der Ukraine holen einem ganz schnell wieder auf den Boden zurück und zeigen dir, was wirklich wichtig ist. Wir müssen jedoch aufpassen, dass wir da keine Grenze überschreiten. Natürlich können wir anhand der Situation in der Ukraine sagen, dass uns in der Schweiz an nichts fehlt, doch auch in der Schweiz haben wir Menschen mit Existenzängsten und anderen Problemen. Alles unter dem «Deckmantel» Krieg zu verharmlosen wäre falsch und nicht fair unserer Bevölkerung gegenüber. Die grosse Hilfe aus der Schweiz kann nur geleistet werden, weil wir wirtschaftlich gut dastehen!

Andreas Isoz und sein Team sind weiterhin auf Spenden angewiesen. Gespendet werden kann hier.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Gastbeitrag «Die Ostschweiz»

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