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Nebelspalter-Redaktionsleiter Ralph Weibel

«Ich werfe nie auf Verdacht hin die Flinte ins Korn»

Der Nebelspalter, eine Traditionsmarke, die seit Jahren im Thurgau zuhause ist, wird neu erfunden. Und das mit Besitzern, deren Pläne noch nicht im Detail bekannt sind. Für das gedruckte Magazin ist mit Ralph Weibel ab April auch ein «Neuer» zuständig. Ein Gespräch über den «Nebi» - und mehr.

Stefan Millius am 04. März 2021

Ralph Weibel, nach drei Jahren als Produzent beim «Nebelspalter» übernehmen Sie nun per April die Redaktionsleitung. Wie sind Sie einst eigentlich zum Traditionstitel gekommen?

Durch reinen Zufall. Ich war damals bei Radio FM1, hatte dort aber bereits gekündigt und wurde auf der Suche nach einer neuen Herausforderung auf die Stelle beim Nebelspalter angesprochen. Oder vielleicht mehr Schicksal als Zufall, denn für mich wurde damit ein Traum wahr. Andere Journalisten wollen vielleicht ihr Leben lang zur New York Times, bei mir war es immer der Nebelspalter. Ich habe ihn schon immer gelesen…

… im Wartezimmer des Arztes oder des Zahnarztes vermutlich?

Das ist eines der vielen Klischees über den Nebelspalter, die einfach nicht verschwinden wollen. Die Zeitschrift ist in Wartezimmern gut vertreten, das stimmt, aber es ist insgesamt ein eher kleiner Teil der Leserschaft, der uns dort liest.

Was war es denn konkret, was den Nebelspalter zu Ihrer Traumaufgabe gemacht hat?

Nostalgie hat sicher mitgespielt, ich kenne das Magazin seit Ewigkeiten. Und ich war ja schon vor meiner Zeit beim Nebelspalter im Satirebereich tätig, auf der Bühne, mit Slam Poetry, mit Lesungen. Auch als Konsument von Medien habe ich mich von Satire immer besser abgeholt gefühlt als von bierernsten Zeitungen.

Platz haben für eine Satirezeitschrift müsste es in der Schweiz sicher. Dennoch gab es in den letzten Jahren rund um den Nebelspalter immer Debatten, die von der Frage beherrscht waren: Wie lange gibt es den Titel noch, kann er in dieser Form ewig bestehen?

Wir sind hinter den Kulissen schon lange daran, uns auf die Zukunft auszurichten und darüber nachzudenken, in welche Richtung es gehen soll. Das ist eine Daueraufgabe. Gerade im Medienbereich kann man sich alles andere gar nicht leisten. Denn ob man eine Entwicklung selbst anstösst oder nicht, Veränderungen gibt es sowieso. In der heutigen Medienwelt kann man nicht 30 Jahre lang dasselbe machen, das war uns immer bewusst.

Nun hat sich gleich auf einen Schlag viel getan. Die Klarsicht AG von Markus Somm und einer Reihe von Investoren ist neue Besitzerin des Titels. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das erfuhren?

Ich hatte damit ganz persönlich von Anfang an keinerlei Mühe. Ich verstehe auch nicht, wenn sich Leute nach einer solchen Nachricht schon im Voraus distanzieren können. Es gab vereinzelte Autoren, die kurzerhand fanden: Mit diesen neuen Eigentümern arbeiten wir nicht. Und das, bevor es losgeht und klar ist, in welche Richtung es geht. Mir ist es fremd, einfach auf Verdacht die Flinte ins Korn zu werfen. Ich denke, ich stehe Markus Somm politisch nicht besonders nahe. Aber in einer Redaktion ist die Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Positionen wichtig, es braucht ein Spannungsfeld. Ideologischer Journalismus ist für mich ein Armutszeugnis. Mir wurde signalisiert, dass ich weiter alle Freiheiten habe, und ich nehme das Markus Somm auch ab. Mir wurde keine Doktrin auferlegt.

Freiheiten gehen eher auf anderem Weg verloren. Gerade in der Satire. Die politische Korrektheit macht Ihre Arbeit ja zu einem echten Minenfeld, der nächste Shitstorm ist oft nur einen Satz entfernt. Leiden Sie darunter?

Ich habe das Gefühl, dass wir uns als Gesellschaft bei diesem Thema ein bisschen selbst auf den Leim gehen. Wir hören zu oft auf die, die am lautesten rufen, aber das ist kaum die Mehrheit. Die meisten Leute leben ganz gut ohne Gendersternchen und ohne Umbenennung einer Süssspeise und vermuten auch nicht hinter allem gleich Rassismus oder Extremismus. Diese Themen lösen bei Vereinzelten sehr emotionale Reaktionen aus, und vielleicht reagieren die anderen dann ihrerseits zu schnell und zu stark auf diese Reaktion, das schaukelt sich dann hoch. Klar sind wir Satiriker heute sensibilisierter auf solche Themen, aber sie dürfen nicht unsere oberste Maxime werden.

Damit wären wir bei der Frage, was Satire alles darf, aber sie ist langweilig geworden, weil sie dauernd abgefragt wird. Sollen wir dennoch?

Ich antworte darauf eigentlich immer gleich. Satire darf den Anstand nicht verlieren, ansonsten kann sie alles. Nur für die Pointe despektierlich auf körperliche Eigenschaften oder ähnliches anspielen, das ist mir zu billig. Das schliesst aber nicht ganze Themen aus. Ich würde beispielsweise nie eine Religion als solche in einem Beitrag angreifen, aber vielleicht mache ich mir Gedanken über das Bodenpersonal. Solche Fragen lassen sich aber nicht generell definieren, allgemeingültige Regeln gibt es nicht. Unser Job in der Redaktion ist es, den Einzelfall zu beurteilen. Was in der Frage mündet: Bringen wir etwas oder bringen wir es nicht? Oder anders?

Dann zählen Sie auch nicht nach, wie oft Sie in einer Ausgabe die Linken und die Rechten in die Pfanne hauen, damit es schön ausgeglichen ist?

Mein persönliches Ziel ist auch nach 30 Jahren im Beruf dieses: Den Grösseren ein bisschen kleiner und den Kleineren ein bisschen grösser machen. Aber ich überprüfe das nicht mit dem Zählrahmen. Ich glaube, die Mehrheit der Gesellschaft ist kognitiv fähig, die Dinge selbst einzuordnen. Satire soll Denkanstösse geben. Dabei hilft die Suche nach totaler Ausgewogenheit nicht, ebenso wenig die politische Korrektheit. Im Gegenteil, nur die Überspitzung löst etwas aus. Die seriöse Berichterstattung einer ganz normalen Zeitung kann das so nicht liefern. Meine Vorstellung ist es jedenfalls nicht, dass unsere Leser den Nebelspalter nach der Lektüre zur Seite legen und denken: So, nun weiss ich, wie die Welt funktioniert. Im besten Fall hat sich ihr Geist geöffnet, vielleicht nehmen sie eine andere Perspektive zu einem Thema ein.

Das wäre also das Ziel. Wie sieht ihre aktuelle Bilanz aus: Erfüllt das Magazin heute, was Sie hier skizziert haben?

Wir sind bei unserer Leserschaft gut aufgestellt, das wissen wir auch aus Befragungen. Man muss daher jetzt sicher nicht alles umkrempeln, und ich selbst habe das auch nicht vor. Es wird aber Veränderungen geben. Markus Somm als neuer Besitzer will zusätzlich eine klassische, journalistische Berichterstattung in den Titel bringen. Es wird spannend und herausfordernd sein, das zu tun und den Charakter des Nebelspalters dabei zu erhalten. Aber ich finde generell, dass auch eine seriöse Berichterstattung nicht so staubtrocken sein muss wie der Marmorkuchen der Schwiegermutter. Etablierten Zeitungen passiert das oft, und dann muss man sich nicht wundern, wenn es niemand mehr lesen will.

Das Projekt von Somm und seiner Klarsicht AG macht im Jahr 2021 aber nur Sinn, wenn es gelingt, Print und Online in irgendeiner Weise zusammenzuführen. Das gedruckte Heft gibt es schon lange, der neue Onlineauftritt kommt Mitte März. Was ist da alles angedacht?

Es wird sicher einen Austausch zwischen den beiden Kanälen geben. Aber zuerst muss die Onlinezeitung, die ja in dieser Form völlig neu sein wird, ihre Flughöhe erreichen, bevor man das im Detail angehen kann, dann wird es sicher schnell intensiver. Es gibt schwierige Fragen zu lösen, gerade auch bei der Abgrenzung zwischen klassisch journalistischen und satirischen Inhalten. Wie deklariert man die Beiträge? Wie finden sich die Leser in dieser Vielfalt zurecht? Es gibt gerade online heute schon Medien, die gleichzeitig ein bisschen Spass und ein bisschen Ernst bieten, und man weiss nie genau, wo man sich gerade befindet. Das gilt es zu verhindern. Aber wie das genau aussehen wird, ist noch offen.

Als Redaktionsleiter der Printausgabe sind Sie eine Art Flohzirkusdirektor, Sie müssen um die 200 freie Autoren, Illustratoren und so weiter zufrieden halten. Klingt schwierig und nicht gerade beneidenswert.

Das war bisher die Aufgabe meines Vorgängers Marco Ratschiller, und nun liegt es an mir, ja. Man kann sicher sagen, dass der typische Nebelspalter-Autor ein bisschen betreuungsintensiver ist als der freie Schreiber bei einer Regionalzeitung. Aber das sind auch spannende Prozesse, die zudem gut eingespielt sind. Wir definieren in jeder Ausgabe zwei Schwerpunktthemen, zu denen erhalten wir dann Vorschläge von den freien Mitarbeitern, dazu kommen noch ganz konkrete Aufträge an einzelne. Neu kommt der Austausch mit der Onlineredaktion in Zürich dazu.

Was macht Ihnen selbst am meisten Freude am Nebelspalter?

Für mich ist es der Teil der Zeitschrift, in den wir versuchen, die Aktualität zu berücksichtigen, was bei monatlichem Erscheinen nicht ganz einfach ist. Zum Beispiel die Rubrik «Tor des Monats» aus der ich gerne das «Tor des Tages» mache würde. Das zeitversetzte Arbeiten lässt mich manchmal die aktuellen politischen Fragen vermissen. Das kann man künftig mit der Onlineausgabe sicher besser auffangen. Aber auch dann denke ich, dass man nicht in Aktivismus verfallen sollte. Einen Beitrag zu publizieren, nur damit etwas läuft auf der Webseite, das scheint mir ein Fehler. Da setze ich lieber auf weniger Dinge, aber solche mit Potenzial, vielleicht auch viral zu gehen. Die Spielwiese wird künftig insgesamt sicher grösser sein.

Sie bleiben beim Nebelspalter, aber ab April sind Sie Angestellter der Klarsicht AG, und Sie treten die neue Funktion als Redaktionsleiter an. Mit welchen Gefühlen?

Mit grosser Spannung. Ich bin 53 und finde mich in einer besonderen Situation wieder. Im Grunde entsteht ja gerade ein völlig neues Jobprofil, das ich ausfüllen werde. Ich kann gemeinsam mit anderen bei etwas Neuem durchstarten. Und das in einem Umfeld, indem wirklich die ganze Marke von Grund auf neu gedacht wird. Es geht bei der Zukunft des Nebelspalter um viel mehr als einfach ein bisschen mehr online, ein wenig mehr Video und so weiter, wir wollen das weiter denken. Ich gebe zu, es beunruhigt mich auch nicht gerade, dass meine neue Arbeitgeberin dank Investoren einiges an finanziellen Mitteln hat. Es ist schon fast ein Privileg, dass ich nicht gezwungen bin, mir so langsam einen Job fürs Alter zu suchen, sondern noch einmal bei einem Neuaufbau dabei sein darf.

Vielleicht mit der Kehrseite, dass Sie mehr planen müssen und weniger schreiben können.

Ich will und werde weiterhin schreiben, das wird auch ausdrücklich gewünscht, und ich werde es mir nicht nehmen lassen. Es war übrigens recht erheiternd, wie viele Leute mir gratuliert haben, als meine neue Aufgabe bekannt wurde. Ich habe allen jeweils gesagt: Eine so riesige Veränderung kommt da nicht auf mich zu. Und habe ironisch beigefügt, man solle dereinst von mir sagen: Er ist trotz allem immer auf dem Boden geblieben…

Zur Person

Der Stadt-St. Galler Ralph Weibel pflügt sich seit über 30 Jahren durch die Medienlandschaft. Seit drei Jahren produziert er die Satirezeitschrift «Nebelspalter», welcher er nach der jüngsten Übernahme als Redaktionsleiter vorsteht. Als Autor  veröffentlichte der 53-Jährige drei Bücher mit «Toiletten-Lektüren». Am kommenden 10. März erscheint sein erster Roman im Gmeiner-Verlag, «Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs», den er zusammen mit Martin Oesch geschrieben hat. Seit über zehn Jahren bespielt der ehemalige Radio-Profi Lese- und Kabarettbühnen, unter anderem mit dem ehemaligen «Heinz de Specht» Musiker Christian Weiss, wenn die Kleinkunst nicht gerade von Lockdown-Verwaltern gegroundet wird. Mehr unter www.ralphweibel.ch und www.weibelweiss.ch.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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