Zuerst die älteren Menschen und andere, die zu den wichtigsten Risikogruppe gehören: Das sieht die Impfstrategie der Schweiz vor. Lehrkräfte an Schulen wie auch das Personal in anderen Bildungsinstitutionen oder Kindertagesstätten haben keine Priorität. Eine Petition will das ändern.
Ob Maurer oder Lehrerin: Wenn es um die Impfung gegen Covid-19 geht, macht die Schweiz keinen Unterschied. Entscheidend bei der Priorisierung ist das Alter. Diese Strategie hat der Bundesrat vor wenigen Tagen bestätigt. Dies entgegen verschiedenen Forderungen, wonach Lehrpersonen schneller Zugang zur Impfung erhalten sollen.
Die Thurgauer Primarlehrerin Juliane Kaas will sich damit nicht abfinden. Die Altnauerin hat eine Petition lanciert, die eine Impfpriorität für Lehrkräfte und verwandte Berufe fordert; sie ist hier zu finden.
Die Berufsgruppen, die Kaas aufzählt, werden laut der Covid-19-Impfstrategie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) der Zielgruppe 5 zugerechnet. Das ist eine grosse Gruppe: Sie umfasst «andere Erwachsene, die sich impfen lassen wollen». Eine Impfbevorzugung für Lehrpersonen lehne der Bundesrat ab, «da kein Personalmangel festgestellt werden konnte», wie Juliane Kaas schreibt.
Die Thurgauerin weist darauf hin, dass es eine umfangreiche Zielgruppe 4 gibt, die vorher an der Reihe ist. Zu dieser gehören das Personal von Heimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, von psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken sowie Anstalten des Freiheitsentzugs, Bundesasylzentren und kantonalen Kollektiv-Asylunterkünften und Obdachlosenheimen der Zielgruppe 4, die für Erwachsene unter 65 Jahre in Gemeinschaftseinrichtungen mit erhöhtem Infektions- und Ausbruchsrisiko bestimmt ist.
«Ein Affront für das pädagogische und kinderbetreuende Fachpersonal, das nicht nur Lehrerinnen und Lehrer umfasst», findet Juliane Kaas. «Gerade in Primarschulen, Kindergärten und Kindertagesstätten kommen die Fachkräfte vielen Kindern sehr nahe. Eine Betreuung oder ein Unterricht auf Distanz ist mit Kindern in diesem Alter schlicht nicht möglich.»
Andererseits hätten Kinder und Jugendliche auch in der zweiten Infektionswelle die Krankheitserreger nachweislich aktiv verbreitet, so die Primarlehrerin, die auf entsprechende Studien hinweist. Kinder und Jugendliche würden zudem immer mehr unter der Pandemie leiden «Nicht mal in der Schule, in Kindertagesstätten oder an den anderen Bildungs- und Betreuungsinstitutionen können ihnen Fachpersonen durch einen normalen Alltag etwas Sicherheit geben. Die Gefahr, dass Fachpersonen zu 'Superspreadern' werden, belastetet das Fachpersonal zusätzlich.»
Die Reduktion der psychischen und sozialen Auswirkungen sei ein erklärtes Ziel der Politik. Dabei denke man aber offenbar nicht an die Kinder und Jugendlichen, «welche zum Beispiel immer wieder in Quarantäne mussten, weil die Lehrpersonen oder Fachkräfte infiziert waren.» Kaas verweist auf das Kinderspital Zürich, das bereits von einer erhöhten Anzahl an Suizidversuchen bei Kindern und Jugendlichen berichte. Zudem hätten Deutschland und Österreich bereits vor eineinhalb Monaten damit begonnen, Lehrpersonen und alle anderen Personen in Bildungs- und Betreuungsinstitutionen zu impfen, die Schweiz halte dies trotz steigender Infektionszahlen auch bei Kindern nicht für notwendig.
Die Lehrerin aus Altnau hält fest, sie könne «das Vorgehen und die Denkweise des BAG nicht nachvollziehen» und sehe sich zusammen mit anderen Lehr- und Fachpersonen einem «vermeidbaren, stark erhöhtem Ansteckungsrisiko ausgesetzt.»
Abhilfe schaffen will Juliane Kaas mit der Petition. Sie will auf diese Weise «auf die prekäre Situation aller in Bildungs- und Betreuungsinstitutionen tätiger Personen aufmerksam machen» und eine Impfpriorisierung erreichen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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