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Die Schweiz am Abgrund?

Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli: «Ich verspüre auch keine Lust, mich an der Abgrund- und Katastrophendebatte zu beteiligen»

Wir wollten von unseren Politikerinnen und Politikern wissen: Gerät die Schweiz immer mehr in Schieflage. Heute der Kommentar von Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller. Sie warnt vor einer Zuspitzung der Sachverhalte und fordert eine angemessene Wortwahl.

Marcel Baumgartner am 09. April 2024

Ausgangslage:

Die Schweiz am Abgrund?

Der Mittelstand kommt kaum noch über die Runden. Die Finanzierung der 13. AHV-Rente dürfte zu einer weiteren Belastung führen. Weitere Vorlagen mit hohem Finanzbedarf werden kommen. Und hinzu kommen eine äusserst unsichere Weltlage und die Bedenken einer 10-Millionen-Schweiz. Muss man sich Sorgen machen? Wer führt uns mit welchen Massnahmen aus der Misere? – wenn es denn eine ist.

«Die Ostschweiz» hat hierzu bereits eine Analyse publiziert. Mehrere Politikerinnen und Politiker werden in einer Serie die Lage einschätzen.

Heute der Gastkommentar von Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli-Koller (TG):

Ja, die Zeiten sind schwierig. Doch bevor wir unsere Probleme als Abgründe, Apokalypsen und Katastrophen beschreiben, empfehle ich eine sorgfältigere und den Problemen angemessene Wortwahl. Es liegt zwar im Wesen der Sache, dass die Medien Sachverhalte zuspitzen und auf den Punkt bringen müssen. Aber gleichzeitig tragen Medien gerade in schwierigen Zeiten eine besondere Verantwortung – insbesondere darum, weil sie dieselben Ansprüche, die sie an die Verantwortlichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stellen, auch selbst erfüllen sollten.

Unsere Gesellschaft ist aus vielen Gründen verunsichert. Die Menschen fühlen sich machtlos gegen die Gefahren von aussen, also gegen Kriege, Konflikte und Katastrophen. Aber auch von innen: angespannte Finanzen beim Staat und weniger Geld im eigenen Portemonnaie wegen der weiter ansteigenden Lebenskosten. Die Zuwanderung, die persönliche Sicherheit ausserhalb der eigenen vier Wände und eine zunehmend polarisierte Gesellschaft runden die Liste von vermeintlichen Gräben – etwa zwischen den Geschlechtern, den Regionen oder zwischen Stadt und Land – ab. Die Formen der behaupteten Abgründe sind also so vielfältig wie ihre Beschreibungen.

Ob wir allerdings in einer immer stärker polarisierten Gesellschaft leben, wage ich zu bezweifeln. Ja, die Wortwahl in der Auseinandersetzung ist direkter und zuweilen auch unversöhnlicher geworden. Andererseits: Dieser Diskurs muss sein! Solange öffentlich und offen um gute Lösungen gestritten wird, wird mir um die Zukunft nicht bange. Ich verspüre auch keine Lust, mich an der Abgrund- und Katastrophendebatte zu beteiligen – und führe gegen sie ins Feld, dass ein Land mit unserem Wohlstand, mit unserer einzigartigen Demokratie und dem Fleiss und der Kreativität seiner Menschen auch die Probleme der Zukunft meistern wird. Die Freiheit unserer Schweiz gründet auf der Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger und wird genährt durch ein hohes Mass an Selbstverantwortung. Damit dies so bleibt, brauchen wir keine Debatten über Apokalypsen – aber mehr gute Ideen und Wortmeldungen für die Zukunft einer Nation, die weiterhin selbstbewusst auf ihre bewährten Tugenden setzt.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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