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Philipp Egger

21 Prozent für Unterhaltung und Büro

Philipp Egger ist Geschäftsleiter der Energieagentur St.Gallen GmbH. Seine tägliche Arbeit hat mit Optimierung und Effizienz zu tun. Das sei auch notwendig. Denn wir stehen in diesem Bereich vor grossen Umbrüchen. Hat Corona den Prozess allenfalls im positiven Sinne beschleunigt?

Marcel Baumgartner am 20. November 2021

Philipp Egger, achten Sie auch privat bei allem auf einen perfekten Energiehaushalt?

Ja, es ist mir wichtig, einerseits beim Verbrauch mit der Energie bewusst umzugehen. Andererseits produziere ich einen Teil des Stroms für mein Haus mit einer Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Dach. Wenn die Sonne scheint, habe ich immer wieder grosse Freude, wenn ich auf meiner PV-App die eigene Stromproduktion mittels Sonnenenergie beobachte. Mit dem bestellten e-Auto – allerdings ist die Lieferfrist noch offen – werde ich den Eigenverbrauchsanteil beim Aufladen des e-Autos zu Hause erhöhen und somit die Amortisationszeit meiner PV-Anlage reduzieren können.

Welches sind im privaten Bereich nach wie vor die grössten Verbrauchsfaktoren?

Der Stromverbrauch in einem Haushalt teilt sich etwa so auf: 21% Unterhaltung und Büro, 19% Kühlen und Gefrieren, 17% Waschen und Trocknen, 15% Allgemeinstrom und je 14% für Kochen und Beleuchtung.

Im Kanton St.Gallen machen die Haushalte beim gesamten Stromverbrauch einen Anteil von 29% aus. Wenn wir die Energieperspektiven 2050+ des Bundes betrachten, wird der Stromverbrauch in der Schweiz mit dem bereits angelaufenen Umstieg auf Wärmepumpen im Gebäudebereich und e-Autos beim motorisierten Individualverkehr bestimmt zunehmen. Da sind Lösungen gefordert...

Inzwischen hat die Technik gewaltige Fortschritte gemacht. Letztlich dürfte aber vor allem auch der Faktor «Mensch» entscheidend sein. Muss man nach wie vor sensibilisieren oder hat in der Gesellschaft allgemein ein Umdenken stattgefunden?

Wir dürfen feststellen, dass wir unsere Zielgruppen, wie zum Beispiel Hauseigentümer und auch Mietende, mit unseren Informationen in unseren Kommunikationskanälen gut erreichen. Mit Fachpersonen in der Bau- und Energiebranche und mit den Ausführenden haben wir eine Netzwerk- und Informationsplattform aufgebaut, mit dem Ziel, aktuelle Themen, wie zum Beispiel «erneuerbar heizen», PV-Strom, e-Mobilität, zu vertiefen und einen aktiven Infoaustausch zu pflegen.

Beim Umdenken ist sicher noch ein gewisses Potential vorhanden. Vor diesem Hintergrund legen wir in der Informationsverbreitung stets Wert darauf, dem Hauseigentümer beispielsweise beim Umstieg von einer Ölheizung auf eine Wärmepumpe, den Nutzen und seinen eigenen ökologischen Beitrag kostentransparent und verständlich aufzuzeigen.

Viele dürften sich sagen: «Was kann ich als Einzelperson schon gross bewegen…»

Die Summe von kleinen Beiträgen aus der Bevölkerung, gerade in der Mobilität als Beispiel, ergibt einen grossen Beitrag an die Erreichung der Energie- und Klimaziele in der Schweiz. Ausserdem hat sich die Schweiz in Paris verpflichtet, beim globalen Klimaschutz aktiv mitzuwirken und sich in der Forschung und Entwicklung von neuen Technologien zu engagieren.

Kann man Energie grundsätzlich noch zu günstig beziehen? Muss über die Brieftasche Druck aufgebaut werden?

Natürlich ist vor allem der Strom noch relativ günstig. Anstatt mit Verboten oder erhöhten Abgaben ist der Weg mittels Anreizsystemen mit Förderbeiträgen aus meiner Sicht zielführender, sofern die finanziellen Mittel im Kanton und auf Bundesebene weiterhin zur Verfügung stehen. Beispielsweise im Gebäudepark sind grosse Anstrengungen nötig, um die Sanierungsrate zu erhöhen, damit die C02-Emissionen reduziert, die Energieeffizienz erhöht und der Anteil erneuerbarer Energien gesteigert werden kann. Im Kanton St.Gallen durfte die Energieagentur im Jahr 2020 Fördergesuche in der Höhe von 37.6 Millionen Franken zusichern, die in den Gebäudepark flossen und somit ein achtfaches Investitionsvolumen generierten. Der Vorteil davon ist, dass der investierte Franken in der Schweiz bleibt, in unserem Fall im Kanton St.Gallen, und damit die regionale Wertschöpfung gesteigert wird.

Die Energieagentur St.Gallen unterstützt in erster Linie Gemeinden, Regionen und den Kanton bei der Erstellung ihrer Energiekonzepte. Was muss man sich als Laie darunter vorstellen?

So wie der Bund eine Energiestrategie 2050 mit Energieperspektiven 2050+ entwickelt hat, wurde im letzten Jahr im Kanton St.Gallen das St.Galler Energiekonzept 2021 – 2030 erstellt. Dabei war es wichtig, dass damit ein griffiger und umsetzbarer Massnahmenplan aufgestellt wurde. So sollen in den nächsten neun Jahren mit der Umsetzung von 16 Massnahmen die Energieziele erreicht werden. Bei fünf Massnahmen hat die Energieagentur St.Gallen die federführende Rolle übernommen.

Die Energieagentur St.Gallen unterstützt die Gemeinden in der Erstellung von kommunalen Energiekonzepten und – ganz wichtig – begleitet die konkrete Umsetzung der Massnahmen. In der Regel wird zuerst in einer Energieverbrauchsanalyse die Energiebilanz, die CO2-Emissionen und der Gebäudebestand unter die Lupe genommen. Anschliessend wird mit Potentialabklärungen unter Berücksichtigung der energiepolitischen Leitlinien und Zielen das kommunale Energiekonzept erstellt. Gerade heute sind die Wärme- und Stromversorgung, die Gebäudeeffizienz und der CO2-Absenkpfad zentrale Themen. Ebenso gewinnen Mobilitätsmassnahmen auf regionaler Ebene immer mehr an Bedeutung.

Einfach gesagt, geht es darum: «Wo steht die Gemeinde in der Energieversorgung heute und wo will sie hin?»

Was sind hierbei in der Regel die grössten Knacknüsse?

Es braucht entscheidungsstarke Gemeinderäte und engagierte Energiekommissionen, die sich mit neuen Themen und Möglichkeiten auseinandersetzen, sinnvolle und umsetzbare Energieziele verfolgen und von der Bevölkerung mitgetragen werden.

Wie stark hängt der Energieverbrauch auch von Faktoren ab, die nicht einkalkuliert werden können – etwa Corona?

Dies ist eine schwierige Frage. Ich gehe deshalb auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie ein, und zwar auf einen aus meiner Sicht positiven Aspekt. Als letztes Jahr die Homeoffice-Pflicht eingeführt wurde, stellten wir fest, dass sich die Hausbesitzenden vermehrt um ihr eigenes Zuhause kümmerten. Dies führte in der Energieagentur St.Gallen zu einem erhöhten Gesuchseingang, da offenbar finanzielle Mittel zur Verfügung standen, die in normalen Zeiten für Reisen oder andere Aktivitäten eingesetzt worden wären – eine positive Auswirkung auf die Sanierungsrate im Gebäudepark.

Aktuell wird vermeldet, dass uns allen schon in wenigen Jahren eine Stromknappheit drohen wird. Angstmacherei oder ein absolut realistisches Szenario?

Als die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2017 der Energiestrategie 2050 und somit dem Ausstieg aus der Atomkraft zustimmte, war schon damals klar, dass die Energieversorgung in der Schweiz auf erneuerbare Energien umgebaut werden muss.

Die Stromproduktion mittels Photovoltaik-Anlagen (PV) soll zur tragenden Säule unserer Energieversorgung werden, ergänzend zur bestehenden Wasserkraft. Konkret soll die installierte Leistung in den nächsten 30 Jahren gegenüber heute um den Faktor 13 gesteigert werden. Ohne die Stromimporte zu erhöhen, soll der Solarstrom 40% des jährlichen Bedarfs liefern und 32% des Winterbedarfs decken. Mittlerweile ist PV-erzeugter Strom die günstigste elektrische Energie –Atomkraft die teuerste.

Mit dem Umbau unserer Wärmeversorgung auf erneuerbare Energieträger wird der heutige Anteil von 300'000 Wärmepumpen bis im Jahr 2050 auf 1.5 Mio. Wärmepumpen ansteigen, ein etabliertes und effizientes Heizungssystem im Gebäudebereich.

Im motorisierten Individualverkehr stellen wir fest, dass der Umstieg von fossilen Fahrzeugen auf e-Autos im vollen Gang ist. Es vergeht keine Woche, in der nicht ein neues e-Auto im Markt eingeführt wird.

Welche Massnahmen sollten umgehend eingeleitet werden?

Die Schweiz kann ihre Energieversorgung bis im Jahr 2050 klimaneutral umbauen, so dass sie fast vollständig aus inländisch produzierter Energie besteht. Die dafür nötigen Technologien sind vorhanden.

Mit modernen Umwandlungs- und Speichertechnologien transferieren wir den überschüssigen Sommerstrom in die Wintermonate und lösen so das Stromdefizit im Winter.

Der Umbau der fossilen in eine klimaneutrale Energieversorgung führt zu Investitionen in der Schweiz und damit zur erhöhten regionalen Wertschöpfung mit hohem volkswirtschaftlichem Nutzen.

Befassen wir uns mit den Anforderungen der Zukunft und gestalten heute unsere Umwelt von morgen.

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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