Per Ende April hat die St.Galler Regierung die Vorlage für den Kantonsrat präsentiert, die zeigt, wie er die Beiträge aus dem Lotteriefonds anlegen will. Insgesamt geht es um 5,4 Millionen Franken. Davon sollen allein 830'000 Franken in die Filmförderung fliessen.
Am 15. Mai stimmen wir über das neue Filmgesetz ab, im Volksmund als «Lex Netflix» bekannt. Damit soll mehr Geld in die Förderung von Schweizer Filmen und Serien fliessen, indem die Streaminganbieter zu einer Abgabe ihres Schweizer Umsatzes von 4 Prozent gezwungen werden. Gleichzeitig werden sie verpflichtet, ihr Angebot zu 30 Prozent mit europäischen Produktionen zu bestücken und diese prominent zu kennzeichnen.
Die Befürworter sind der Ansicht, das Schweizer Filmschaffen brauche die zusätzliche Finanzspritze, um international wahrgenommen zu werden. Die Gegner halten nichts von mehr Filmförderung, weil diese bereits grosszügig sei, und eine Quote im Filmsortiment privater Anbieter lehnen sie ebenfalls ab.
Liest man die Argumente des Ja-Lagers, erhält man den Eindruck, Schweizer Filmschaffende müssten derzeit alles aus eigener Kraft stemmen. Dabei fliessen jetzt schon Jahr für Jahr weit über 100 Millionen Franken in Werke aus der Schweiz. Die Summe setzt sich zusammen aus der Filmförderung des Bundes und Teilen der Gebühren, die via Serafe an die SRG fliessen. Ein kleinerer Teil stammt von privaten Kreisen wie Stiftungen.
Gerne geht dabei vergessen, dass so gut wie jeder Kanton ebenfalls noch eine Filmförderung kennt, mit der in aller Regel vor allem Projekte mit einem kantonalen Bezug unterstützt werden. Die Regierung sucht jeweils Projekte aus, die sie aus diesem Pott gerne unterstützen würde, der Kantonsrat segnet die Liste meist relativ widerstandsfrei ab.
Dazu gehört auch das Filmwesen. Der Rahmenkredit für die St.Galler Filmförderung aus den Lotteriefondsbeiträgen beträgt gemäss Vorschlag der Regierung 830'000 Franken. Damit soll «das professionelle künstlerische Filmschaffen mit Bezug zum Kanton» unterstützt werden. Zudem möchte man «attraktive Rahmenbedingungen für St.Galler Filmschaffende, Produzentinnen und Produzenten und deren Filmprojekte» schaffen. Wobei es meist reicht, wenn einer der Beteiligten irgendeinen wenn auch dünnen St.Galler Bezug hat.
Was verdient laut der Vorlage alles das Prädikat «unterstützungswürdig» und inwieweit haben Projekte, so sie denn realisiert werden, das Zeug, dem Kanton St.Gallen etwas zu bringen? Spontan denkt man an einen touristischen Effekt: Ein erfolgreicher Spielfilm, der das Bodenseegebiet oder sonst eine hübsche Kulisse erstrahlen lässt, könnte ja die Aufmerksamkeit auf St.Galler Schätze lenken. Das ist übrigens auch ein Argument der Befürworter der «Lex Netflix»: Die Schweiz könne so zeigen, was sie habe.
Konkret soll aus dem Lotteriefonds Geld in diese Ideen – nur eine Auswahl – fliessen:
Ein Rheintaler soll einen Beitrag (10'000 bis 15'000 Franken) erhalten für die Weiterentwicklung eines Spielfilmprojekts über einen amerikanischen Schriftsteller, «der sich eine Zeitlang in Leukerbad aufgehalten hat».
In eine Serie namens «Panama» sollen 10'0000 Franken fliessen. Genauere Angaben über den Inhalt fehlen, aber ein St.Galler schreibe daran mit, so die Regierung.
Mit 45'000 Franken gefördert wurde bereits das in der Mongolei spielende Drama «White Flag». Bezug zum Kanton St.Gallen: Der Regisseur lebt in Rapperswil-Jona.
Der unumgängliche St.Galler Film- und Theatermacher Milo Rau erhielt 80'000 Franken für sein Projekt «Das Massaker», das sich mit der Zerstörung der SS eines kleinen französischen Dorfs 1944 beschäftigt.
Ein St.Galler Filmemacher wird in der Postproduktion seines Films mit 40'000 Franken unterstützt. Inhalt: Ein Porträt über ein japanisches Künstlerpaar.
Geld fliesst auch in Vorhaben, die mehr St.Galler Bezug aufweisen. Ein Porträt über den Toggenburger Skispringer Simon Ammann (CHF 30'000), eine Dokumentation über das beschwerliche Leben der Säntisträger (CHF 20'000) oder eine Kurzfilmserie über den Toggenburger Musiker Peter Roth (CHF 30'000). Doch vieles von dem, was Geld erhält, hat denkbar wenig mit dem Kanton St.Gallen zu tun. Es reicht eine persönliche Verbindung eines Projektbeteiligten.
Dass es für Schweizer Filmschaffende so gut wie unmöglich ist, an Fördergelder heranzukommen, wie es die treibenden Kräfte hinter der «Lex Netflix» suggerieren, scheint weit hergeholt, wenn man dank St.Galler Wurzeln nur schon kantonale Unterstützung erhält für Werke, die in der Mongolei oder in Japan spielen oder Verbrechen der SS in Frankreich aufarbeiten. Möglicherweise handelt es sich in der Tat um unterstützungswürdige, professionell gemachte und «wichtige» Filme. Aber kaum explizit aus St.Galler Optik. Und ob dereinst ein Drama in der Mongolei das Publikum von Netflix elektrisiert und den Schweizer Film global bekannt, ist ziemlich offen, um es freundlich zu beschreiben.
Was passiert, wenn künftig auf nationaler Ebene weit über 100 Millionen Franken in den Unterstützungstopf fliessen? Werden die Schweizer Filmemacher dann kreativ entfesselt und stürzen sich auf Stoff, der das Zeug hat, über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu werden, so wie es die Hoffnung ist? Oder werden einfach noch mehr künstlerisch vielleicht ambitionierte Werke, die aber kaum jemand sehen will, unterstützt?
Der Status quo lässt Letzteres wahrscheinlicher erscheinen. Denn schon heute liegt es kaum an zu wenig Geld, wenn sich kaum jemand für Schweizer Filme und Serien begeistern mag.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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