logo

Vom 13. bis 17. Mai 2022

Abseits der Pfade lauert das perfekte Foto

Hanspeter Schachtler stellt seine Werke an der «photoSCHWEIZ», der grössten Werkschau für Fotografie in der Schweiz, aus. Im Gespräch erzählt der Ostschweizer, weshalb er für seine Werke am liebsten die Einsamkeit sucht.

Manuela Bruhin am 14. Mai 2022

Sie sind gelernter Elektroingenieur und reisten Mitte der 80er Jahre durch Afrika und Südamerika. Wurde da Ihre Leidenschaft für die Fotografie geweckt?

Der Ursprung war ein wenig früher, im Jahr 1976. Nach meinem Studium in Luzern wohnte ich einige Jahre auf dem Zugerberg, am Rand des Moorgebietes. Ich kaufte mir in einem Zuger-Fachgeschäft eine Olympus Spiegelreflexkamera mit TTL-Belichtungsmessung (Through the Lens). Diese damals revolutionäre Messung mass das Licht erstmals so, wie es durch das Objektiv auf den Film kam. Meine Motive waren damals – dem Moor geschuldet – vor allem Blumen. Ja, und im Jahr 1984 traten meine Frau und ich unsere 17-monatige Reise an. Wir wollten vor Ort jeweils so einfach wie möglich reisen und übernachten. Das heisst, die Kamera sollte nun wesentlich robuster sein. Aus diesem Grund begleitete mich eine Hasselblad-Kamera mit Standartbrennweite (kein Zoom!). Alles war nun wieder manuell, die externe Lichtmessung, die Fokussierung. Dies war gerade bei Aufnahmen von Kindern anspruchsvoll.

Bereuten Sie Ihre Wahl?

Nein, sie war perfekt. Für mich ist dies heute noch die beste Kamera. Auf dieser Reise entwickelte sich bei mir das Gefühl für «nicht alltägliche» Motive. An jedem Ort oder jeder Stadt zogen mich die älteren und ursprünglichen Quartiere oder die Umgebung an. Wenn wir nicht umherreisten, waren wir eigentlich jeden Tag unterwegs auf Erkundungstour. Als wir in Kairo ankamen, suchten wir nach einem preiswerten Hotel. Wir fanden uns bald in einer kleinen Strasse wieder, wo wir echt überrascht wurden. Intensive Gerüche von wohlschmeckend bis kloakig, die Leute waren anders und nicht immer neuwertig gekleidet, Läden zeigten uns völlig unbekannten Waren… Gehbehinderte krochen auf allen Vieren über die Strasse, zum Teil nur mit einem Stück Reifen als Knieschutz. Es war, als ob uns die «Filmrolle» ausgewechselt worden wäre. Wir waren in einem anderen Film! Alles erschien echt neu und sehr intensiv und nah. Hier, zu Beginn der Reise, in Kairo, entstand eine Leidenschaft für das Ursprüngliche und nicht Alltägliche. Wir wollten den besuchten Ländern nah sein.

Was heisst das für Sie?

Wir wollten den Menschen so nah wie möglich sein. Dies bedeutete, das jeweils einfachste Verkehrsmittel und Hotel zu wählen. Dies war teils anspruchsvoll und kräftezehrend, dafür waren wir «mittendrinn». Die ganze Zeit – Tag und Nacht – hatte ich die Kamera immer und unauffällig dabei. Damals war in diesen Orten eine Kamera noch etwas echt Spezielles. Es war auch nie ein Problem – mit etwas Geduld und Gefühl für den richtigen Zeitpunkt – Personen zu fotografieren. Auf dieser Reise entstand mein Anspruch, gute Bilder zu gewinnen.

Sie sind abseits der Pfade und in der Regel alleine unterwegs. Weshalb ist Ihnen das wichtig?

Ab etwa 2006 suche ich meine Motive an Orten des Übergangs, wie Berg oder Luft oder an den Grenzen des Eises. Die kann in Bezug auf Risiken anspruchsvoll sein. Es ist gleichzeitig der Grund, alleine zu gehen. Zusätzlich habe ich nur allein genug Zeit, um das vielleicht perfekte Bild zu finden. Eine zweite Person würde sich nerven und mich stressen. Es kann zum Beispiel sein, dass ich zwei Stunden am selben Ort verweile und die Zeit völlig vergesse.

Welches Natursujet lichten Sie besonders gerne ab?

Motive an den Rändern und im Innern der Gletscher. Eigentlich hatte ich ursprünglich nie den Plan, an Gletschern zu fotografieren – dies erschien mir viel zu unberechenbar und gefährlich. Es hat sich jedoch so ergeben, dass ich den Wasser- und Eis-Motiven folgend im Jahr 2006 am Morteratschgletscher landete. Anfangs zaghaft, wurde ich Schritt für Schritt von unglaublich schönen Eindrücken in Bann gezogen. Mit den Jahren habe ich mir dann auf praktische Weise Erfahrung im Umgang mit Risiken erworben.

Was fasziniert Sie so daran?

Die Eisoberflächen können im Innern einer Eishöhle infolge des Schmelzvorgangs spiegelglatt sein. Eigentlich wären sie farblos, der Spiegeleffekt zaubert jedoch die Farben der äusseren Umgebung auf die «Leinwand»: Blau und grau des Himmels, braune Farbtöne eines Berghangs… Beim Besuch an einem der Gletscher ist der Ort des Geschehens jedes Mal wieder ein neues Entdecken. Manchmal hat sich die Eislandschaft völlig verändert und zeigt etwas Unerwartetes. Es gibt dann Tage, da stehe ich einfach da und staune!

Wo sind Sie am liebsten unterwegs, um sich Inspiration zu holen?

Immer noch an den Rändern und im Innern der Gletscher. Die ersten Jahre war ich im Oberengadin, an den Gletschern Morteratsch und Roseg. Dies waren echt eindrückliche und extrem ergiebige Jahre! Diese Zeiten sind jedoch bereits eine gute Weile vorbei: Der Roseggletscher hat sich völlig vom Talboden zurückgezogen und liegt nun weit oben als Rest von Eis am Berg. Auch der Morteratschgletscher ist mittlerweile eine ganze Talstufe weiter oben und zeigt aktuell wenig Eindrucksvolles.

Wohin weichen Sie aus?

Die letzten Jahre war ich an anderen Gletschern anzutreffen: Silvrettagletscher in Graubünden, Zinal- und Langgletscher im Wallis sowie am Ober-/Unteraargletscher in Bern. Der ÖV-Reise- und Zustieg-Aufwand ist dadurch erheblich gestiegen. Es verbleiben bei einem Tagesausflug teils nur einige wenige Stunden netto vor Ort. Teils ist nun auch eine Übernachtung notwendig. Es ist jedoch nicht nur Aufwand, um an «meine» Orte zu gelangen. Bereits die Anreise ist etwas Spezielles. Der Zustieg zum Eis ist – wenn auch teilweise anstrengend, sehr schön und eindrücklich. Sobald ich den Wanderweg verlasse und weglos unterwegs bin, stellt sich ein ganz spezielles Gefühl von Freiheit ein. Ich bin echt allein, wähle meinen besten Pfad zum Ziel, habe mein Tempo und überall gefühlt fast alle Zeit der Welt. Ein grosses Gefühl von Aufbruch und Entdecken. Fast nie treffe ich jemand anders an. Das heisst jedoch auch: Ja, ich bin allein und habe dort meist kein Handyempfang!

Sie stellen Ihre Werke an der grössten Schweizer Werkschau, der photoSCHWEIZ, aus. Was bedeutet es Ihnen?

Es ist ein schönes Gefühl, eine Auswahl meiner Bilder zeigen zu dürfen. Auch mal diskret in der Nähe zu stehen und die Reaktionen der Besucher zu erleben. Dieses Jahr zeige ich zwei besondere Bilder. Vor allem das eine Bild eines Ausschnitts einer Eishöhlendecke wirkt völlig unerwartet und abstrakt. Der Betrachter kann sich wahrscheinlich kein Bild dazu machen. Ich hoffe, dass sich einige Besucher Zeit nehmen, um in diese Bilder einzutauchen. Es erwarten sie viele verspielte kleine Schönheiten und Überraschungen. Dieses Jahr werde ich auch einen Prototyp eines Buches auflegen – hier bin ich echt auf das Echo der Besucher gespannt.

Gibt es ein bestimmtes Bild, welches Sie unbedingt einmal aufnehmen wollen?

Ja natürlich! Was es ist, weiss ich noch nicht. Es ist das Bild, welches mich auch in nächster Zeit wahrscheinlich überraschen wird. Es gibt immer wieder Neues und Unerwartetes zu entdecken. Ich freue mich!

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.