Hanspeter Schachtler stellt seine Werke an der «photoSCHWEIZ», der grössten Werkschau für Fotografie in der Schweiz, aus. Im Gespräch erzählt der Ostschweizer, weshalb er für seine Werke am liebsten die Einsamkeit sucht.
Sie sind gelernter Elektroingenieur und reisten Mitte der 80er Jahre durch Afrika und Südamerika. Wurde da Ihre Leidenschaft für die Fotografie geweckt?
Der Ursprung war ein wenig früher, im Jahr 1976. Nach meinem Studium in Luzern wohnte ich einige Jahre auf dem Zugerberg, am Rand des Moorgebietes. Ich kaufte mir in einem Zuger-Fachgeschäft eine Olympus Spiegelreflexkamera mit TTL-Belichtungsmessung (Through the Lens). Diese damals revolutionäre Messung mass das Licht erstmals so, wie es durch das Objektiv auf den Film kam. Meine Motive waren damals – dem Moor geschuldet – vor allem Blumen. Ja, und im Jahr 1984 traten meine Frau und ich unsere 17-monatige Reise an. Wir wollten vor Ort jeweils so einfach wie möglich reisen und übernachten. Das heisst, die Kamera sollte nun wesentlich robuster sein. Aus diesem Grund begleitete mich eine Hasselblad-Kamera mit Standartbrennweite (kein Zoom!). Alles war nun wieder manuell, die externe Lichtmessung, die Fokussierung. Dies war gerade bei Aufnahmen von Kindern anspruchsvoll.
Bereuten Sie Ihre Wahl?
Nein, sie war perfekt. Für mich ist dies heute noch die beste Kamera. Auf dieser Reise entwickelte sich bei mir das Gefühl für «nicht alltägliche» Motive. An jedem Ort oder jeder Stadt zogen mich die älteren und ursprünglichen Quartiere oder die Umgebung an. Wenn wir nicht umherreisten, waren wir eigentlich jeden Tag unterwegs auf Erkundungstour. Als wir in Kairo ankamen, suchten wir nach einem preiswerten Hotel. Wir fanden uns bald in einer kleinen Strasse wieder, wo wir echt überrascht wurden. Intensive Gerüche von wohlschmeckend bis kloakig, die Leute waren anders und nicht immer neuwertig gekleidet, Läden zeigten uns völlig unbekannten Waren… Gehbehinderte krochen auf allen Vieren über die Strasse, zum Teil nur mit einem Stück Reifen als Knieschutz. Es war, als ob uns die «Filmrolle» ausgewechselt worden wäre. Wir waren in einem anderen Film! Alles erschien echt neu und sehr intensiv und nah. Hier, zu Beginn der Reise, in Kairo, entstand eine Leidenschaft für das Ursprüngliche und nicht Alltägliche. Wir wollten den besuchten Ländern nah sein.
Was heisst das für Sie?
Wir wollten den Menschen so nah wie möglich sein. Dies bedeutete, das jeweils einfachste Verkehrsmittel und Hotel zu wählen. Dies war teils anspruchsvoll und kräftezehrend, dafür waren wir «mittendrinn». Die ganze Zeit – Tag und Nacht – hatte ich die Kamera immer und unauffällig dabei. Damals war in diesen Orten eine Kamera noch etwas echt Spezielles. Es war auch nie ein Problem – mit etwas Geduld und Gefühl für den richtigen Zeitpunkt – Personen zu fotografieren. Auf dieser Reise entstand mein Anspruch, gute Bilder zu gewinnen.
Sie sind abseits der Pfade und in der Regel alleine unterwegs. Weshalb ist Ihnen das wichtig?
Ab etwa 2006 suche ich meine Motive an Orten des Übergangs, wie Berg oder Luft oder an den Grenzen des Eises. Die kann in Bezug auf Risiken anspruchsvoll sein. Es ist gleichzeitig der Grund, alleine zu gehen. Zusätzlich habe ich nur allein genug Zeit, um das vielleicht perfekte Bild zu finden. Eine zweite Person würde sich nerven und mich stressen. Es kann zum Beispiel sein, dass ich zwei Stunden am selben Ort verweile und die Zeit völlig vergesse.
Welches Natursujet lichten Sie besonders gerne ab?
Motive an den Rändern und im Innern der Gletscher. Eigentlich hatte ich ursprünglich nie den Plan, an Gletschern zu fotografieren – dies erschien mir viel zu unberechenbar und gefährlich. Es hat sich jedoch so ergeben, dass ich den Wasser- und Eis-Motiven folgend im Jahr 2006 am Morteratschgletscher landete. Anfangs zaghaft, wurde ich Schritt für Schritt von unglaublich schönen Eindrücken in Bann gezogen. Mit den Jahren habe ich mir dann auf praktische Weise Erfahrung im Umgang mit Risiken erworben.
Was fasziniert Sie so daran?
Die Eisoberflächen können im Innern einer Eishöhle infolge des Schmelzvorgangs spiegelglatt sein. Eigentlich wären sie farblos, der Spiegeleffekt zaubert jedoch die Farben der äusseren Umgebung auf die «Leinwand»: Blau und grau des Himmels, braune Farbtöne eines Berghangs… Beim Besuch an einem der Gletscher ist der Ort des Geschehens jedes Mal wieder ein neues Entdecken. Manchmal hat sich die Eislandschaft völlig verändert und zeigt etwas Unerwartetes. Es gibt dann Tage, da stehe ich einfach da und staune!
Wo sind Sie am liebsten unterwegs, um sich Inspiration zu holen?
Immer noch an den Rändern und im Innern der Gletscher. Die ersten Jahre war ich im Oberengadin, an den Gletschern Morteratsch und Roseg. Dies waren echt eindrückliche und extrem ergiebige Jahre! Diese Zeiten sind jedoch bereits eine gute Weile vorbei: Der Roseggletscher hat sich völlig vom Talboden zurückgezogen und liegt nun weit oben als Rest von Eis am Berg. Auch der Morteratschgletscher ist mittlerweile eine ganze Talstufe weiter oben und zeigt aktuell wenig Eindrucksvolles.
Wohin weichen Sie aus?
Die letzten Jahre war ich an anderen Gletschern anzutreffen: Silvrettagletscher in Graubünden, Zinal- und Langgletscher im Wallis sowie am Ober-/Unteraargletscher in Bern. Der ÖV-Reise- und Zustieg-Aufwand ist dadurch erheblich gestiegen. Es verbleiben bei einem Tagesausflug teils nur einige wenige Stunden netto vor Ort. Teils ist nun auch eine Übernachtung notwendig. Es ist jedoch nicht nur Aufwand, um an «meine» Orte zu gelangen. Bereits die Anreise ist etwas Spezielles. Der Zustieg zum Eis ist – wenn auch teilweise anstrengend, sehr schön und eindrücklich. Sobald ich den Wanderweg verlasse und weglos unterwegs bin, stellt sich ein ganz spezielles Gefühl von Freiheit ein. Ich bin echt allein, wähle meinen besten Pfad zum Ziel, habe mein Tempo und überall gefühlt fast alle Zeit der Welt. Ein grosses Gefühl von Aufbruch und Entdecken. Fast nie treffe ich jemand anders an. Das heisst jedoch auch: Ja, ich bin allein und habe dort meist kein Handyempfang!
Sie stellen Ihre Werke an der grössten Schweizer Werkschau, der photoSCHWEIZ, aus. Was bedeutet es Ihnen?
Es ist ein schönes Gefühl, eine Auswahl meiner Bilder zeigen zu dürfen. Auch mal diskret in der Nähe zu stehen und die Reaktionen der Besucher zu erleben. Dieses Jahr zeige ich zwei besondere Bilder. Vor allem das eine Bild eines Ausschnitts einer Eishöhlendecke wirkt völlig unerwartet und abstrakt. Der Betrachter kann sich wahrscheinlich kein Bild dazu machen. Ich hoffe, dass sich einige Besucher Zeit nehmen, um in diese Bilder einzutauchen. Es erwarten sie viele verspielte kleine Schönheiten und Überraschungen. Dieses Jahr werde ich auch einen Prototyp eines Buches auflegen – hier bin ich echt auf das Echo der Besucher gespannt.
Gibt es ein bestimmtes Bild, welches Sie unbedingt einmal aufnehmen wollen?
Ja natürlich! Was es ist, weiss ich noch nicht. Es ist das Bild, welches mich auch in nächster Zeit wahrscheinlich überraschen wird. Es gibt immer wieder Neues und Unerwartetes zu entdecken. Ich freue mich!
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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