logo

Freiheit und Verantwortung

Abtreibung «progressiv», Erbrecht und Steuern konservativ – Logik?

Genau jene Kreise, welche Abtreibung geradezu als Menschenrecht sehen, bedienen sich selber sehr gerne traditionellem Ehe- und Familiendenken, wenn es um Erbrecht, Steuern und angebliche Frauengleichstellung geht. Eine Politanalyse.

Artur Terekhov am 24. September 2022

Kürzlich war es wieder so weit. Wie jedes Jahr fand der „Marsch fürs Läbe“ statt, eine Kundgebung verschiedener abtreibungskritischer Organisationen. Und wie jedes Jahr gab es laute Störaktionen aus Linksaussenkreisen. Wobei auffällt, dass die Gegendemonstrierenden, welche mit Embryos relativ wenig Mitleid haben, selber irrationale Angst vor dem Tod zu haben scheinen, tragen diese doch auch ein halbes Jahr nach Aufhebung der Covid-Massnahmen weiterhin freiwillig an der frischen Luft Hygienemasken, wie auf diversen Medienbildern zu erkennen ist.

Voller Einsatz für das Grundrecht der Frau auf Abtreibung also. Dass es ein solches Grundrecht – abgesehen von sehr wenigen Härtefällen, jedenfalls nicht aber voraussetzungslos während der ersten 12 Wochen – nicht geben kann, wenn man davon ausgeht, dass Freiheit auch Verantwortung bedingt, hat der Autor dieser Zeilen im Zusammenhang mit dem US-Supreme-Court-Urteil bereits an früherer Stelle dargelegt.

Darum soll es im vorliegenden Beitrag aber auch nicht gehen. Interessant ist vielmehr, dass sich gerade selbsternannt „progressive“ Kreise der Linken überaus gerne traditionellem Familienrechtsdenken bedienen, wenn es darum geht, Gleichstellungsanliegen oder hohe Steuern durchzusetzen – was natürlich die Individualfreiheit schwächt.

Letzten Montag forderte der Autor dieses Beitrags nämlich mittels Einzelinitiative – welche theoretisch jede Bürgerin und jeder Bürger einreichen kann – im Zürcher Kantonsrat die Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuer für unverheiratete Konkubinatspaare.

Dies aus Überlegungen der Rechtsgleichheit, denn Ehepartner sind bereits heute umfassend von der Steuer befreit. Ausser rund der Hälfte der GLP sowie einzelnen VertreterInnen anderer Parteien stimmte jedoch niemand für den Vorstoss (KR-Nr. 269/2022). Nicht viel besser erging es vor einem halben Jahr der Einzelinitiative eines Zürcher Erbrechtsanwalts, die in eine ähnliche Richtung ging, zudem aber auch Erbschaften und Schenkungen an Stief- und Patenkinder grosszügiger behandeln wollte (KR-Nr. 432/2021).

Jeweils waren es (neben der SVP) ausgerechnet linke Kreise, welche an den bestehenden familiären Strukturen festhalten wollten bzw. sich einer zeitgemässen Rechtsetzung widersetzten. Auch die Linke ist also gerne traditionalistisch unterwegs, wenn dies der Staatskasse nützt.

Ein ähnliches Trauerspiel war die mutlose ZGB-Erbrechtsrevision auf nationaler Ebene, welche per Anfang 2023 endlich in Kraft tritt. Einzig der zum freiheitlichen Flügel der SVP gehörende Schwyzer Nationalrat Pirmin Schwander, welcher zu den KESB-Kritikern der ersten Stunde gehört und seine Partei auch vor den Gefahren eines staatlichen Machtausbaus im angeblichen Kampf gegen den Terrorismus (PMT) gewarnt hatte, hielt fest, dass man grundsätzlich die Verwandtenunterstützungspflichten wie auch die Pflichtteile restlos abschaffen und den BürgerInnen mehr Freiheit geben könne, wie diese ihr Testament gestalten dürfen.

Schliesslich wurde aber nur der elterliche Pflichtteil abgeschafft; Pflichtteile für Ehegatten und Kinder bestehen weiterhin. Von der Ratslinken wurde insbesondere mit der wirtschaftlichen Absicherung verwitweter Frauen argumentiert. Auch hier also wieder Traditionalismus im Interesse der Frauengleichstellung, wobei eine moralische Rechtfertigung für Pflichtteile als Eingriffe in die Testierfreiheit eines Erblassers nicht besteht. In der Tat ist es kaum einleuchtend, warum jemand nicht sein ganzes Vermögen der Greenpeace (statt seinen Angehörigen) vererben dürfen soll. Spätestens seit der selbstverschuldeten Energiemangellage sollte wohl jeder bzw. jedem klar sein, dass dies kaum allzu intelligent wäre. Aber zeichnet sich der Liberalismus nicht gerade dadurch aus, dass er die angeborene Freiheit priorisiert?

Dabei soll keineswegs der Eindruck entstehen, dass Familie und Traditionen grundsätzlich etwas Schlechtes wären. Ein zu einseitiger Fokus – und auch dies sehen wir im tagespolitischen Diskurs – auf tradierte Werte bewirkt allenfalls jedoch, dass man sogar noch ernsthaft Mitleid mit ausländischen Straftätern hat, die in niedrigstem Blutrachedenken Gewaltdelikte verüben und sich dann in Bezug auf ihre wohlverdiente Ausschaffung auf die Härtefallklausel berufen wollen. Ein weiteres Beispiel, warum es zentral ist, das Naturgesetz zu verinnerlichen, dass Freiheit ohne Verantwortung nicht geht – und dass umgekehrt überall Freiheit besteht, wo jemand Verantwortung übernimmt und niemanden ernsthaft gefährdet oder verletzt.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.