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Impfen an Unis und Gymis

Akademische Freiheit auf Abwegen

Letzte Woche war an der grössten Universität wie auch am grössten Gymnasium der Schweiz der Impfbus vor Ort – auch für die Impfung Unmündiger. Wie steht es an den Stätten des angeblich kritischen Denkens um die intellektuelle Freiheit?

Artur Terekhov am 31. August 2021

Am 2. November 2020 verfügte die Schweiz gesamthaft über 1154 Intensivbetten (nachdem man deren Zahl ganz zu Beginn der Covidzeit im Frühjahr 2020 temporär bzw. provisorisch auf über 1500 aufgestockt hatte), am 19. August 2021 waren es gerade noch deren 871. Dies entspricht einem Abbau von über einem Viertel und unklar ist, wohin besagte zertifizierte IPS-Betten quasi über Nacht verschwunden sind. Gleichwohl sind die Intensivstationen weit davon entfernt, überlastet zu sein oder eine Belegung wie im letzten Herbst zu erreichen. 

Trotzdem will der Bundesrat voraussichtlich bereits diese Woche den Geltungsbereich des Covid-Zertifikats auch auf Gastro, Fitness und diverse weitere Innenräumlichkeiten ausdehnen. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass beispielsweise in Israel gemäss neuester Statistik von 117 Covid-Todesfällen nur 44 Ungeimpfte waren. Dass somit für die neuesten Massnahmepläne jedes – verfassungsrechtlich zwingende (Art. 36 Abs. 2 BV) – öffentliche Interesse fehlt, ist offensichtlich. Doch gerade in akademischen und pseudogebildeten Kreisen bleibt der Aufschrei aus.

Im Gegenteil: An der grössten Schweizer Uni, der Universität Zürich, kam letzte Woche der kantonale Impfbus der Zürcher Gesundheitsdirektion gleich vier Mal an je verschiedenen Standorten zum Einsatz. Damit huldigt die sonst eher nicht als SVP-nah bekannte UZH im wahrsten Sinne des Wortes der kantonalen SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. Letztere hatte wohl nicht zufällig kurz nach ihrem Apfelschorle-Erlebnis von Parteifreund Roger Köppel Sukkurs erhalten, der jüngst – in offenbarer Ignoranz der vorerwähnten Israel-Statistik – ebenso von einer «Pandemie der Ungeimpften» sprach.

Die UZH steht nach eigenen Worten vollauf hinter der Impfkampagne des BAG, weil diese die Pandemie einzudämmen helfe. Eine kritische Auseinandersetzung mit evidenzbasierten, naturwissenschaftlichen Zahlen und Fakten sucht man bei der Führungsebene vergebens – ebenso wie ein Bestehen auf der Einhaltung geltenden Verfassungsrechts. Zwar dürfen die notrechtskritischen Staatsrechtsprofessoren Andreas Kley, der letztes Jahr in Reto Brennwalds Film «Unerhört» auftrat, oder Andreas Glaser, der einen gerichtlichen Grundsatzentscheid zum freien Demonstrationsrecht in Notrechtszeiten explizit befürwortet, nach wie vor ihrem Lehrauftrag nachgehen. Wir sind also (noch) nicht so weit, dass kritischen Geistern gerade der Lehrauftrag entzogen wird. Die einzelnen, kritischen Professoren sind aber in der Unileitung kaum vertreten.

Bereits dies wirft kein besonders gutes Licht auf den Zustand der akademischen Freiheit, welche eigentlich den Anspruch hat, sich durch Streitlust, freie Diskurskultur und Ideenwettbewerb statt stromlinienförmigen Konformismus auszuzeichnen. Noch bedenklicher ist jedoch, wenn dasselbe an Gymnasien – mit deren Auftrag, SchülerInnen kritisches Denken sowie Studienreife beizubringen – geschieht, sind diesfalls doch auch Minderjährige von der staatlichen Beeinflussung betroffen. Gesellschaftsmitglieder also, denen mit teils durchaus guten Gründen noch nicht dieselbe Urteils- und Entscheidfähigkeit zugestanden wird wie volljährigen Personen, von denen meist umfassende Eigenverantwortung erwartet werden kann.

Eines der Gymnasien, das sicher den Vogel abgeschossen hat, dürfte die Kantonsschule Zürich Nord (KZN) – neben dem Luzerner Alpenquai grösste Mittelschule der Schweiz – sein, wo seinerzeit auch der Autor dieses Beitrags seine Altsprachliche Maturität erlangt hat. An diesem kam der Impfbus letzten Donnerstag zum Einsatz. Der Schulleitung war es dabei so wichtig, dass möglichst viele SchülerInnen dieses „niederschwellige Angebot“ in Anspruch nehmen, dass sie am Dienstag zum zweiten Mal einen Rundbrief an alle SchülerInnen und Erziehungsberechtigte verschickte – mit dem Hinweis, man könne sich noch gleichentags bis um 24:00 für den Impftermin anmelden.

Auf die Frage des Schreibenden, ob im Biologie- oder Chemieunterricht aktuell denn auch erklärt würde, ob die mRNA-Technologie sich in wesentlichen Punkten von den bisherigen Arten der aktiven oder passiven Immunisierung unterscheide, reagiert Rektor Andreas Niklaus, selber Biologie- und Chemielehrer, eher ausweichend: «An unserer Schule gilt wie an allen anderen Mittelschulen eine Methodenfreiheit innerhalb des Lehrplans. […] Es steht den Lehrpersonen frei, ihren Unterricht mit aktuellen Themen, die nicht Teil des Lehrplans sind, anzureichern und zu bereichern. […] Eine aktive Werbung für die Impfung im Unterricht ist mir nicht bekannt und wurde von der Schulleitung auch nicht empfohlen.»

Auch hier scheint das Credo zu sein, dass man einzelnen Lehrpersonen gegenüber in der Regel keine Sanktionen androht, wenn diese abweichende Meinungen haben. Wer aber zur Schulleitung gehört, von dem wird erwartet, dass er obrigkeitstreu agiert. Dies wird durch Niklaus‘ Ausführungen verdeutlicht, wonach sich die KZN «zugunsten eines funktionierenden Schul- und Unterrichtsbetriebs» an die Empfehlungen des BAG halte. Ein Schelm also, der denkt, Biochemiker Niklaus könne seinen Unterricht zu Themen der menschlichen Immunität aktuell nicht gleich frei gestalten wie eine Lehrperson, die nicht der Schulleitung angehört. Ein Problem, das bei nüchterner Betrachtung nur durch weitgehende Entkopplung des – höheren, nicht mehr die Grundschulbildung im engeren Sinne betreffenden – Bildungswesens von staatlichen Politik- und Finanzierungseinflüssen nachhaltig gelöst werden kann.

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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