Im Alter von 85 Jahren ist Kardinal Godfried Danneels in Belgien verstorben. Ein Mann, der in den letzten 20 Jahren oft in St.Gallen war. Daneels gehörte einer Gruppe von liberalen Kirchenführern an, die man als «St.Gallen Mafia» bezeichnete - und die im Hintergrund an einer neuen Kirche arbeitete.
Einer der ersten, der dem verstorbenen Kardinal gedachte, war Papst Franziskus. Kein Wunder. Denn Godfried Danneels und seine Mitstreiter der «St.Gallen Mafia» hatten vor Jahren vor allem eine Mission: Franziskus ins Papstamt zu verhelfen.
Danneels sorgte vor einigen Jahren für Aufregung, als er sich in Belgien für die Ehe von Homosexuellen stark machte. In der traditionell konservativ geprägten Kirche war er mit solchen Positionen ein Aussenseiter - aber nicht völlig alleine. Ein anderer ebenfalls liberal gesinnter Kardinal war der Deutsche Karl Lehmann. Er verstarb letztes Jahr - und auch er wird dem Kreis der «St.Gallen Mafia» zugeschrieben.
Dieser Kreis war sozusagen «halbgeheim». Er war keine offizielle Organisation, sondern ein loser Verband, der im Hintergrund an einer liberaleren katholischen Kirche arbeitete. Dass das nicht unter lautem Getöse erfolgte, liegt in der Natur der Sache.
St.Gallen war nicht zufällig das Zentrum der Aktivitäten. Der damalige St.Galler Bischof Ivo Fürer soll 1996 zusammen mit einem italienischen Kollegen den Anstoss für die Gruppe gegeben haben. Die regelmässigen Treffen wurden vom Bistum St.Gallen später sogar bestätigt. Beteiligt gewesen seien Kardinäle und Bischöfe, und es habe sich um «freundschaftliche Treffen» gehandelt. Dass dabei auch über die Papstnachfolge gesprochen wurde, wenn die Frage aktuell war, sei nur natürlich.
Der «Mafia»-Charakter im Sinn von gezielten Aktivitäten: Davon wollten offizielle Stellen allerdings nichts wissen. Demgegenüber stehen Aussagen von Kirchenkreisen, die über all die Jahre nichts von den Treffen in St.Gallen mitbekommen haben und die deshalb glauben, dass hier durchaus eine gewisse Heimlichkeit betrieben wurde.
Wie auch immer: Der Zirkel, der St.Gallen zum Zentrum machte, war letztlich erfolgreich - wenn auch auf Umwegen.
Einen ersten Anlauf nahm die «St.Gallen Mafia» 2005, als sie versuchte, einen argentinischen Kardinal zum Papst zu machen, der ihre Werte teilte. Der Name des argentinischen Kandidaten von damals: Jose Mario Bergoglio.
Es gelang nicht, Papst Benedikt übernahm. Das war der Kandidat, den die St.Galler Truppe um jeden Preis verhindern wollte, weil er für vieles stand, was sie nicht teilte.
Beobachter glauben, dass die «Mafia» nach dem gescheiterten Versuch einige Jahre gewissermassen inaktiv wurde und es keine weiteren Treffen gab. Die Gruppe nahm den Faden aber schnell wieder auf, als es nötig wurde. Benedikt legte sein Amt 2013 überraschend und sehr plötzlich nieder - und St.Gallen wurde wieder zum Nabel des innerkirchlichen Widerstands.
Man traf sich wieder. Und wieder wurde derselbe argentinische Kardinal ins Spiel als Nachfolger von Benedikt gebracht - und dieses Mal gelang es. Wir kennen Bergoglio heute als Papst Franziskus. Dass es gelang, einen Kandidaten im zweiten Anlauf durchzubringen, wird von Kirchenkennern als Meisterstück betrachtet.
Aller Heimlichkeit zum Trotz: Inzwischen ist die «St.Gallen Mafia» sogar zwischen zwei Buchdeckeln verewigt. Der päpstliche Berater Austen Ivereigh erwähnt die Gruppe in seiner Biografie über Papst Franziskus. Und er behauptet in dieser, der Kreis liberaler Kirchenmänner sei entscheidend gewesen bei der Wahl.
Der inzwischen verstorbene Kardinal Danneels sagte vor wenigen Jahren in einem Interview, man habe den Namen «St.Gallen Mafia» stets als etwas hochtrabend empfunden, aber tatsächlich habe man sich selbst mit der Zeit als «Mafia» bezeichnet.
In diesem Sinn hat St.Gallen Geschichte geschrieben. Auch wenn es niemand wirklich sagen will.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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