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Satire

Auf zur Suche nach Ungeimpften: Jetzt holen wir uns die 50er-Note!

50 Franken soll künftig jeder erhalten, der einen anderen von der Impfung überzeugt. In Zukunft müssen wir uns also nicht mehr gegenseitig denunzieren, sondern nur noch überreden. Was für eine Chance für Leute, die sich ein Zubrot verdienen wollen!

Stefan Millius am 01. Oktober 2021

X lässt sich impfen und gibt dabei an, dass ihn Y erfolgreich zu diesem Schritt bewegt hat. Y erhält daraufhin von seinem Kanton einen Gutschein über 50 Franken.

Was für eine sympathische Aktion! Wir sehen es förmlich vor uns, wie am Stammtisch der letzte Ungeimpfte von seinen drei Jasspartnern einen Abend lang zugetextet wird, bis er sich zur Impfung bereit erklärt und auf dem Formular dann natürlich seinen Schieber-Partner einträgt. Der kann sich bald darauf über 50 Franken freuen.

Wobei es jedem Kanton selbst überlassen ist, wofür sich der Gutschein einsetzen lässt. Eine Behörde kann schlecht eine bestimmte Firma bevorzugen, also müssten es wohl staatliche Leistungen sein, die zum Zuge kommen. 50 Franken: Das sind in einer typischen Region 2,5 Rollen gebührenpflichtige Abfallsäcke, um ein praktisches Beispiel zu nennen. Für eine neue Identitätskarte (CHF 65) reicht es nicht ganz, aber man kann ja versuchen, zwei Leute zur Impfung zu überreden.

Überhaupt, warum denn auf halbem Weg stehenbleiben? Warum nicht gleich ein Business draus machen und von Tür zu Tür gehen? Einfach warten, bis die Zeugen Jehovas abgewimmelt wurden, sofort selbst klingeln, das Verkäufergrinsen aufsetzen, und wenn sich die Tür öffnet, sofort den «Best-of»-Katalog der Argumente für die Impfung abfeuern. Dann die Visitenkarte überreichen ( diese Einmal-Investition lohnt sich, Onlinedruck ist billig) und dem verdutzten Hausherrn erklären, er müsse diesen Namen angeben bei der Impfung. Das ist doch im Grunde nichts anderes als Nebenjobs wie Tupperware verkaufen oder Aloe-Vera-Kuren verhökern.

Vielleicht müsste der Bundesrat sogar ein Multi-Level-Marketing aufziehen. Dort gibt es unter dem Oberverkäufer verschiedene Stufen von Wiederverkäufern. Die Aufgabe des Oberverkäufers ist es, möglichst viele Impfvertreter anzuheuern, er stattet sie aus mit Adressen von potenziellen Opfern, und bei jedem Verkauf verdient er prozentual mit. Gut, MLM hat keinen besonders guten Ruf, aber den hat die Impfung ja auch nicht überall, so gesehen kein Problem.

Es gibt zahlreiche weitere Vorteile. Auf dem Weg zur Parkgarage komme ich oft an Fredi vorbei, der dort bettelt. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich kein Kleingeld dabei habe. Wenn mir das wieder passieren sollte, werde ich sagen: «Fredi, hör mal, ich hab nichts dabei, aber sollte ich mich impfen lassen, werde ich deinen Namen angeben, dann kriegst du 50 Franken. Beziehungsweise vermutlich 2,5 Rollen Kehrrichtsäcke. Wie heisst du eigentlich zum Nachnamen?»

Die soziale Interaktion wird ganz allgemein gefördert durch den Geniestreich des Bundesrats. Bald werden wir alle in Einkaufszentren und Stadtparks wildfremde Leute ansprechen in der Hoffnung, sie seien ungeimpft. Will sich einer nicht überreden lassen zur Impfung, bieten wir ihm einen Deal an: Wir teilen die Beute. 60:40 beispielsweise, ein bisschen lohnen muss sich die Überzeugungsarbeit ja.

Die Schweizerinnen und Schweizer werden ein Volk von Verkäufern. Immer gut gelaunt, charmant, einlullend bewegen wir uns durch den öffentlichen Raum und versuchen, mit blossen Auge zu erkennen, wer noch keine Spritze gesetzt bekommen hat. Echte Profis machen es ganz anders: Sie gehen am Wochenende am Abend zu einem Testcenter. Dort ballen sich Leute ohne Zertifikat, die sich für die Freizeit schnell den Passierschein holen. Da klingelt die Kasse!

Insgesamt will sich der Bundesrat alle Massnahmen für die neueste Impfoffensive übrigens 150 Millionen kosten lassen. Eventuell lässt sich das zum Teil kompensieren, wenn die Bundesräte selbst ebenfalls Überzeugungsarbeit leisten und die Einnahmen in die Staatskasse legen.

Aber eine Frage noch. Es ist nicht vorgesehen, dass man für eine Impfung einen Gutschein erhält, bewusst soll man nicht beschenkt werden für die Impfung, nur derjenige, der den Geimpften überzeugt hat. Die Frage ist jetzt: Was ist mit Leuten, die sich selbst dazu überredet haben?

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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