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Zeyer zur Zeit

Augenwischerei mit der Sonne

Alpen, Sonne, Solarstrom. Immer häufiger wird das als Ausweg aus einer Stromkrise angepriesen. Leider halten aber die Berechnungen einer Überprüfung nicht stand. Dafür genügt das Einmaleins.

«Die Ostschweiz» Archiv am 25. November 2022

In der NZZ vom 23. November wurden in zwei Artikeln die verschiedenen Solarprojekte in den Alpen beschrieben. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Projekten weitgehend um Augenwischerei handelt, sind die beiden Artikel erstaunlich unkritisch. Am 2.11.2022 hatte FDP-Ständerat Ruedi Noser das Projekt Grengiols gewürdigt. Vor einer kritischen Betrachtung dieser drei Artikel einige Eckdaten:

  • In der Schweiz beträgt die Winterstromlücke heute etwa 6 TWh. Tendenz stark steigend in Anbetracht der massiven Installation von elektrischen Wärmepumpenheizungen und der Inbetriebnahme von Elektromobilen.

  • Das einzige konkrete Projekt besteht im Moment in Gondo. Die Eckdaten dieses Projektes:

  • 100'000 m2 Alpweide

  • Produktion: 23 GWh pro Jahr

  • Kosten: Fr. 42 Mio.

Augenwischerei 1: Kosten

Im Artikel «Solarpanels statt Kühe» ist die Rede von 1 Mrd. Fr. für das Projekt Bodenmann/Grengiols. Dort sollen 5 km2 mit Panelen ausgerüstet werden, also 50 mal mehr als in Gondo. Eine kurze Überschlagsrechnung zeigt: die Fr. 1 Mrd. für das Projekt sind Augenwischerei; basierend auf Gondo ergeben sich Kosten von Fr. 2.1 Mrd. Noch absurder sind die Zahlen beim im selben Artikel erwähnten Projekt Vispertal. Dort werden bei einer ca. 15 Prozent grösseren Fläche als in Grengiols eine um 50 Prozent höhere Leistung und 50 Prozent höhere Kosten in Aussicht gestellt. Und diese Kosten sollen auch noch einen Stausee und ein Ausgleichsbecken inklusive Kraftwerk, Leitungen und einen gigantischen Wärmespeicher zur Versorgung von Lonza beinhalten. Eine Technologie, die noch nie im industriellen Massstab realisiert wurde. Die effektiven Kosten für das zweite Projekt dürften mit Sicherheit weit über Fr. 5 Mia. zu stehen kommen.

Augenwischerei 2: Kosten der Speicherung

Im Artikel «Solarpanels statt Kühe» ist zu lesen: «Mit den 30 000 Solarmodulen kann Strom produziert werden, der dem Jahresverbrauch von 3000 Haushalten entspricht.» Knapp gerechnet, aber richtig, im Sommer wären es bei schönem Wetter sogar 10'000 Haushalte oder mehr. Nur ist es eine Augenwischerei. Solarstrom wird dann in grossen Mengen erzeugt, wenn man ihn nicht braucht, und wenn man ihn braucht, liefern die Solaranlagen nur wenig bis gar nichts. Z.B. in der Nacht. Über den Sommer zu diskutieren, ist müssig, da ist eh zuviel Strom vorhanden. Konzentrieren wir uns auf den Winter. Es ist leider eine Tatsache, dass die Sonne ab November bis Februar nur 10 Stunden und weniger scheint. Und jeder Besitzer einer Solaranlage weiss, dass in den 2 – 4 Randstunden praktisch kein Ertrag anfällt. Nehmen wir grosszügig eine Produktionsdauer von durchschnittlich 8 Stunden. In diesen 8 Stunden muss nicht nur der aktuelle Konsum produziert werden, sondern auch für die restlichen 16 Stunden des Tages (rsp. der Nacht) gespeichert werden. Schon alleine das erfordert enorme Speicher für eine Anlage à la Grengiols. Nun ist es leider so, dass auch im Wallis auf 2'500 Meter Höhe die Sonne nicht jeden Tag scheint. Möchte man eine Gangreserve von 5 Tagen, so müsste ein Speichersee in der Grösse von einem Achtel des Sihlsees gebaut werden und mit einer Höhendifferenz von 500 Meter noch einmal ein gleich grosses «Ausgleichsbecken».

Ruedi Noser schreibt dazu: «Mit dem Solarprojekt kann das Kraftwerk nun mit wenig Aufwand zum Pumpspeicher ausgebaut und die Systemleistung auf bis zu 1,5 Terawattstunde erhöht werden – so viel, wie die restlichen 14 Wasserkraftwerke des «runden Tischs Wasserkraft» zusammen leisten.» Wie Noser auf so eine Aussage kommt ist schleierhaft.

Von den Promotern der Solaranlagen wird nun sicherlich eingewendet, dass man zur Speicherung die bestehenden Pumpspeicherwerke benutzen kann. Das ist aber Foulspiel. Dies sind schon heute ausgelastet und benötigen keine Hilfe der Solaranlagen. Apropos Muttsee, das Pumpspeicherwerk der AXPO. Wenn die dort installierten Turbinen mit 1 GW Leistung voll laufen, dann ist der Muttsee nach meinen Berechnungen in etwa 30 Stunden leer. Für eine 5-Tage-Reserve müsste er also um ein x-faches grösser sein. Er wurde auch nicht gebaut für eine längerfristige Versorgungssicherung.

Augenwischerei 3: Zeithorizont

Das neue Gesetz zur Förderung der Anlagen greift nur für Anlagen, welche bis Ende 2025 Strom liefern. Aus dem oben Gesagten geht klar hervor: ausser Gondo dürfte keine Anlage bis dann über das Planungsstadium herausgekommen sein. Wahrscheinlich wird dann mit gezinkten Karten gespielt; ein paar Prozent der Anlage sind realisiert und liefern Strom; der Rest (nicht zuletzt das Problem der Speicherung) wird in den nächsten 10, 20 Jahren realisiert. Einen einigermassen messbaren Beitrag zur Schliessung der Winterstromlücke ist vor 2030 nicht zu erwarten.

Augenwischerei 4: Ausklammerung der Gesamtsicht

Selbst wenn all die aufgeführten Projekte realisiert würden, die Winterstromlücke wäre vielleicht zur Hälfte gedeckt. Das Problem ist aber um Dimensionen grösser. Die Abschaltung der 4 Kernkraftwerke öffnet eine weitere Winterstromlücke in der Grössenordnung von geschätzt 20 TWh. Der Ausbau der Wärmepumpenheizungen und die Elektromobilität dürften noch einmal 20 TWh darauf satteln. Die Umstellung in der Industrie auf CO2 freie Fertigung wird weiteren Bedarf kreieren. Wenn wir der Tatsache Rechnung tragen, dass Windkraft in der Schweiz wohl kaum je mehr als 1 Prozent der Stromerzeugung bestreiten wird, dann muss man sich fragen, wo denn all die Flächen über 2'000 Meter herkommen, die mit Solarpanels bestückt werden sollen. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass praktisch jeder freie und geeignete Quadratmeter in dieser Höhe mit Solarpanels bestückt werden müsste.

Warum die Augenwischerei?

Das Volk wird hier im wahrsten Sinne für dumm verkauft. Jeder Fachmann weiss, dass es ohne Kernkraftwerke nicht geht. Und jeder Fachmann weiss, dass wir nicht nur die bestehenden Kernkraftwerke brauchen, sondern weitere zwei bis drei bauen müssen. Aber niemand will sich am Thema die Finger verbrennen; schon gar nicht ein Jahr vor den nächsten Wahlen. Das Thema ist komplex und damit bestens geeignet für Augenwischerei. Und da der Steuerzahler ja eh 60 Prozent der Kosten berappt, warum nicht weiter wursteln, kassieren und in der nächsten Legislaturperiode ist man ja nicht mehr dabei, oder dann etwas später. Leuthard lässt grüssen.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

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