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Energie-Notrecht

Axpo-Rettungsschirm und Gasverordnung – Rechtsstaat auf Abwegen

Die Axpo hat im Vergleich zur UBS nur rund einen Viertel an Mitarbeitenden. Auch ist Gasmangel nicht lebensgefährlich. Dass der Bundesrat trotzdem zu Notrecht greift, zeigt deutlich, wie sehr die Hemmschwelle durch Covid gesunken ist.

Artur Terekhov am 08. September 2022

Am Dienstagvormittag verkündete der Bundesrat, dass er am Vorabend mittels Notverordnung einen Rettungsschirm für die AXPO, einen staatlichen Energiekonzern, in der Höhe von CHF 4 Milliarden beschlossen habe.

Abgesehen davon, dass ausgerechnet in der aktuellen Energiekrise mit den kontinuierlichen Preiserhöhungen (mehr Nachfrage als Angebot!) die finanzielle Schieflage eines Energiekonzerns nach ökonomischen Grundsätzen umso weniger begreiflich ist, zeigt sich am bundesrätlichen Entscheid einmal mehr, wie sehr seit Covid die Hemmschwelle gesunken ist, Notrecht als Handlungsinstrument des Staates zu bedienen.

Es sei nur daran erinnert, dass die bundesrätliche UBS-Rettung von 2008 – ebenso auf dem Wege einer Notverordnung – politisch zurecht breit kritisiert wurde, dabei mitnichten nur von kapitalismus- oder bankenkritischen Kreisen. Für viele Leute war es wenig einleuchtend, dass eine Bank, welche in der Schweiz rund 20‘000 Vollzeitangestellte beschäftigt, per se als systemrelevant eingestuft wird.

Die AXPO Holding beschäftigt schweizweit indes nur rund 5000 Vollzeitangestellte. Seit Covid scheint es jedoch völlig salonfähig, auch ein Unternehmen mit nur rund einem Viertel aller UBS-Mitarbeitenden als systemrelevant einzustufen und dieses mittels Notverordnung zu retten. Zentralismus und Planwirtschaft aus Bundesbern – und dann noch unter Umgehung der direkten Demokratie. Notrecht lässt grüssen.

Nicht weniger planwirtschaftlich ist der ebenso diese Woche breit diskutierte Entwurf der bundesrätlichen Gasverordnung, mit welcher die Temperatur von mehrheitlich mit Gas beheizten Innenräumen auf 19 Grad Celsius gedeckelt werden soll. Für Warmwassererzeugung, die mehrheitlich durch Gas erfolgt, ist zudem eine Temperaturgrenze von maximal 60 Grad Celsius vorgesehen.

Das Betreiben von Saunas, Wellnessanlagen, Cheminées, Heizstrahlern und verschiedenen anderen Geräten soll sogar gänzlich verboten werden, wenn dabei Erdgas zum Einsatz kommt. Und all dies, obschon Gasmangel nicht lebensgefährlich ist.

Während ein Strommangel oder gar Blackout de facto rasch zu tödlichen Folgen führen könnte, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die gesamte Spitalinfrastruktur auf Elektrizität angewiesen ist und Notstromaggregate auch nur begrenzte Zeit wirken, kann bei Gasmangel davon keine Rede sein. Nur vollständigkeitshalber bemerkt sei, dass die aktuelle Elektrizitätskrise offenkundig durch einen einseitigen Fokus auf erneuerbare und angeblich ökologischere Technologien entstanden ist, wobei infolge deren Vorhersehbarkeit bzw. dem zugrundeliegenden Selbstverschulden Notrecht ebenso unzulässig ist, bedingt Notrecht doch per definitionem stets eine unvorhergesehene Notlage.

Doch während man bei einem flächendeckenden Blackout immerhin noch von einer lebensbedrohlichen, obschon selbstverschuldeten und damit ebensowenig bundesrätliches Notrecht legitimierenden Notlage reden kann, stellt sich bei einer Gasnotverordnung a priori die Frage, welches Rechtsgut mit jener überhaupt geschützt werden soll. Warmwasser: Ist es Staatsaufgabe, dafür zu sorgen, dass alle BürgerInnen warm duschen können? Oder Temperaturen in Innenräumen: Braucht es zentralstaatliche Temperaturgrenzen für alle, damit einige wenige nicht frieren (nota bene nicht erfrieren, zumal Gas offensichtlich nicht die einzige Art der Wärmeerzeugung ist)? Auch der Entwurf der Gasnotverordnung zeigt damit, dass der Staat eine Notlage mittlerweile bereits bei alltäglichen Inkonvenienzen annimmt und nicht erst bei ernsten Bedrohungen für Leib und Leben, Freiheit oder Eigentum. Ein Schelm, der denkt, die Covid-Phase habe die Hemmschwelle hierfür massiv gesenkt.

Einmal Notrecht, immer Notrecht? Nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte es eine Volksinitiative, um den Bundesrat wieder von seinem Vollmachtenregime abzubringen. Klar ist damit: Der Ausweg aus der notrechtlichen Abwärtsspirale kann sehr steinig sein. Er ist aber nicht unmöglich, sondern bedingt, dass selbstverschuldete Unmündigkeit abgelegt und Autoritätskritik erneut als zentrale Bürgerpflicht gesehen wird. Eine Stärkung der gerichtlichen Kontrolle von Notrecht könnte zudem das Demokratiedefizit im Zusammenhang mit bundesrätlichen Notverordnungen abschwächen. Affaire à suivre.

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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