logo

Drohungen gegen Entwickler

Binäre Uhr: SBB läuft Sturm gegen eine harmlose App

Die binäre Uhr am Bahnhof St.Gallen wird dank der App eines St.Galler Entwicklers «entschlüsselt». Dieser musste nun aber überstürzt einen neuen Namen für die App finden. Denn die SBB drohte ihm mit Schadenersatzforderungen, einer Genugtuungssumme und einer Gewinnabgabe.

Stefan Millius am 19. März 2019

Es ist einer der Fälle, bei denen man nicht so recht weiss, ob man lachen oder weinen soll.

Die übermächtigen Schweizer Bundesbahnen, kurz SBB, benützen ihre Macht, um einen innovativen Programmierer in die Knie zu zwingen. Das Problem: Der Mann hatte für die von ihm entwickelte App das Kürzel «SBB» verwendet. Aber das ohne jede Gewinnabsicht. Die Steuerzahler, welche die SBB finanzieren, können sich die Augen reiben über das, was gleich kommt.

Es geht um die binäre Uhr am Hauptbahnhof St.Gallen. Bekanntlich sind die wenigsten Leute imstande, das Kunstwerk zu lesen, sprich die Uhrzeit abzulesen. Der St.Galler Jan Göltenboth hat daraufhin eine App programmiert, welche die digitale Uhrzeit für alle lesbar macht, wir haben berichtet.

Einen kommerziellen Hintergrund hatte das Ganze nicht. Die App ist kostenlos zu beziehen, und Göltenboth selbst hat immer betont, dass er das Ganze augenzwinkernd meint. Er war ganz einfach auf die Tatsache eingestiegen, dass eine binäre Uhr für die meisten Leute reinstes Chinesisch ist. Eine Spielerei, mehr nicht.

Das Problem war nicht die App, sondern ihr ursprünglicher Name: «SBBinary», ein kleines Wortspiel, entstanden aus dem Umstand, dass sich das Ganze an einem Bahnhof der SBB abspielt und binär ist. Harmlos, würde man meinen.

Bei der SBB sah man das anders. «Ich wurde freundlich, aber bestimmt dazu aufgefordert, das Element 'SBB' zu entfernen», sagt Jan Göltenboth gegenüber «Die Ostschweiz». Denn bei den Bundesbahnen sah man in der App eine unautorisierte Verwendung des Kennzeichens SBB. (wir fragen uns übrigens gerade, ob wir das Kennzeichen SBB in diesem Artikel ebenfalls unautorisiert verwenden…)

Freundlich sei der Hinweis gewesen, sagt der Programmierer. Aber gleichzeitig stellt er fest, dass die SBB für den Fall, dass er die Anweisungen nicht befolgt, bereits die möglichen Folgen skizziert hätten. Und die wären: Ein Schadenersatz (wo genau Schaden entsteht, ist offen), Genugtuung und eine «Gewinnherausgabe». Der letzte Punkt ist besonders originell: Göltenboth macht mit der App mit Sicherheit keinen Gewinn, da sie kostenlos ist, er hatte im Gegenteil einen grossen Aufwand, für den keiner bezahlt.

Allerdings suchte der St.Galler nach dem Dialog mit der SBB nicht etwa den Streit, sondern gab nach. Er verpasste seiner App ein Rebranding. Das war mit einigem Aufwand verbunden. Denn er musste nicht nur einen neuen Namen suchen - die App heisst nun «xBinary» -, es galt auch, die bereits bestehenden Nutzer der App zur neuen Lösung zu migrieren.

Göltenboth geht mit der ganzen Geschichte überaus souverän um. Er könne das Verhalten der SBB nachvollziehen, und die Sache sei mit dem Rebranding für ihn erledigt. Seine App ist weiterhin erhältlich, einfach unter neuem Namen.

Neutrale Beobachter könnten das leicht anders sehen. Haben faktische Staatsbetriebe nichts anderes zu tun, als findige Tüftler, die keinerlei kommerzielle Absichten verfolgen, auf diese Weise zu piesacken? Und wie viel Manpower- sprich Steuergelder - waren wohl nötig, um eine völlig harmlose Sache in dieser Weise zu verfolgen?

Bei der nächsten Verspätungsserie der SBB wird sich so mancher Kunde fragen: Wenn die Ressourcen der Staatsbahn in die Optimierung des Betriebs statt in die Verfolgung der Markenrechte fliessen würden, dann wäre man jetzt vielleicht rechtzeitig unterwegs. Aber so arbeitet Väterchen Staat: Alle Mittel in die Baustellen, die keinen interessieren.

Die Moral von der Geschichte: Die App gibt es weiter, nun einfach unter neuem Namen, und die SBB haben ihren heiligen Namen geschützt. Mit dem Ergebnis, dass jeder, der in Zukunft eine gute Idee hat, es sich zwei Mal überlegen wird, sie umzusetzen. Es könnte ja noch ein mit Steuergeldern alimentierter Betrieb etwas dagegen haben. Gutes Marketing sieht anders aus.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.