Die binäre Uhr am Bahnhof St.Gallen wird dank der App eines St.Galler Entwicklers «entschlüsselt». Dieser musste nun aber überstürzt einen neuen Namen für die App finden. Denn die SBB drohte ihm mit Schadenersatzforderungen, einer Genugtuungssumme und einer Gewinnabgabe.
Es ist einer der Fälle, bei denen man nicht so recht weiss, ob man lachen oder weinen soll.
Die übermächtigen Schweizer Bundesbahnen, kurz SBB, benützen ihre Macht, um einen innovativen Programmierer in die Knie zu zwingen. Das Problem: Der Mann hatte für die von ihm entwickelte App das Kürzel «SBB» verwendet. Aber das ohne jede Gewinnabsicht. Die Steuerzahler, welche die SBB finanzieren, können sich die Augen reiben über das, was gleich kommt.
Es geht um die binäre Uhr am Hauptbahnhof St.Gallen. Bekanntlich sind die wenigsten Leute imstande, das Kunstwerk zu lesen, sprich die Uhrzeit abzulesen. Der St.Galler Jan Göltenboth hat daraufhin eine App programmiert, welche die digitale Uhrzeit für alle lesbar macht, wir haben berichtet.
Einen kommerziellen Hintergrund hatte das Ganze nicht. Die App ist kostenlos zu beziehen, und Göltenboth selbst hat immer betont, dass er das Ganze augenzwinkernd meint. Er war ganz einfach auf die Tatsache eingestiegen, dass eine binäre Uhr für die meisten Leute reinstes Chinesisch ist. Eine Spielerei, mehr nicht.
Das Problem war nicht die App, sondern ihr ursprünglicher Name: «SBBinary», ein kleines Wortspiel, entstanden aus dem Umstand, dass sich das Ganze an einem Bahnhof der SBB abspielt und binär ist. Harmlos, würde man meinen.
Bei der SBB sah man das anders. «Ich wurde freundlich, aber bestimmt dazu aufgefordert, das Element 'SBB' zu entfernen», sagt Jan Göltenboth gegenüber «Die Ostschweiz». Denn bei den Bundesbahnen sah man in der App eine unautorisierte Verwendung des Kennzeichens SBB. (wir fragen uns übrigens gerade, ob wir das Kennzeichen SBB in diesem Artikel ebenfalls unautorisiert verwenden…)
Freundlich sei der Hinweis gewesen, sagt der Programmierer. Aber gleichzeitig stellt er fest, dass die SBB für den Fall, dass er die Anweisungen nicht befolgt, bereits die möglichen Folgen skizziert hätten. Und die wären: Ein Schadenersatz (wo genau Schaden entsteht, ist offen), Genugtuung und eine «Gewinnherausgabe». Der letzte Punkt ist besonders originell: Göltenboth macht mit der App mit Sicherheit keinen Gewinn, da sie kostenlos ist, er hatte im Gegenteil einen grossen Aufwand, für den keiner bezahlt.
Allerdings suchte der St.Galler nach dem Dialog mit der SBB nicht etwa den Streit, sondern gab nach. Er verpasste seiner App ein Rebranding. Das war mit einigem Aufwand verbunden. Denn er musste nicht nur einen neuen Namen suchen - die App heisst nun «xBinary» -, es galt auch, die bereits bestehenden Nutzer der App zur neuen Lösung zu migrieren.
Göltenboth geht mit der ganzen Geschichte überaus souverän um. Er könne das Verhalten der SBB nachvollziehen, und die Sache sei mit dem Rebranding für ihn erledigt. Seine App ist weiterhin erhältlich, einfach unter neuem Namen.
Neutrale Beobachter könnten das leicht anders sehen. Haben faktische Staatsbetriebe nichts anderes zu tun, als findige Tüftler, die keinerlei kommerzielle Absichten verfolgen, auf diese Weise zu piesacken? Und wie viel Manpower- sprich Steuergelder - waren wohl nötig, um eine völlig harmlose Sache in dieser Weise zu verfolgen?
Bei der nächsten Verspätungsserie der SBB wird sich so mancher Kunde fragen: Wenn die Ressourcen der Staatsbahn in die Optimierung des Betriebs statt in die Verfolgung der Markenrechte fliessen würden, dann wäre man jetzt vielleicht rechtzeitig unterwegs. Aber so arbeitet Väterchen Staat: Alle Mittel in die Baustellen, die keinen interessieren.
Die Moral von der Geschichte: Die App gibt es weiter, nun einfach unter neuem Namen, und die SBB haben ihren heiligen Namen geschützt. Mit dem Ergebnis, dass jeder, der in Zukunft eine gute Idee hat, es sich zwei Mal überlegen wird, sie umzusetzen. Es könnte ja noch ein mit Steuergeldern alimentierter Betrieb etwas dagegen haben. Gutes Marketing sieht anders aus.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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