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Der Corona-Skandal, Teil 1

«Bis zu 100'000 Tote»

Ein wirtschaftlicher Schaden von weit über 100 Milliarden Franken. Bislang nur knapp 100 Todesfälle von Unter-65-Jährigen. Wie ist das möglich? Eine dreiteilige Serie von «Die Ostschweiz».

«Die Ostschweiz» Archiv am 26. Mai 2020

Im Dezember 2009 reichte die CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann eine Motion ein. Sie verlangte, dass das Krisenmanagement an eine zentrale und departementsunabhängige Stelle ausgelagert werden solle. Das sah der Bundesrat entschieden anders: Er trage «immer die Verantwortung für die gefällten Entscheide». Daher sei das «weder zielführend», noch würde es die «bestehende Situation verbessern». Im Juli 2019 wurde dann die bestehende Situation nochmal einbetoniert (siehe unten «1»).

So nahm das Unheil seinen Lauf, in drei Etappen. Die erste ist durch Tiefschlaf, Ignorieren und Abwiegeln gekennzeichnet. Plus schweizerisch untypische Schlamperei bei der Vorratshaltung an Medikamenten, Desinfektionsmitteln und Testutensilien. Wie internationale Vergleiche zeigen: Wer am Anfang der Pandemie pennte, musste dafür später teuer bezahlen.

Bereits 12 Tage nach dem ersten am 24. Februar in der Schweiz festgestellten Fall, bei damals 330 Infizierten, musste der Bund bereits die Fallverfolgung aufgeben. Tupfer, Testreagenzien gingen aus. Die Testkapazitäten reichten von Anfang an nicht aus, wurden zuerst nur zögerlich aufgebaut, dann nicht ausgenützt, weil sich der Krisenstab auf das Testen von Hochrisikogruppen beschränken wollte.

Zum Vergleich: Südkorea verfügte zu Beginn der Pandemie über 118 vernetzte Labors für die Testauswertung. Die Schweiz über eins. Dennoch meinte der zuständige Gesundheitsminister Alain Berset im Januar, während er sich in Davos am WEF in der Sonne des anwesenden US-Präsidenten wärmte: «Wir sind sehr gut vorbereitet.» Wie gut, das zeigte sich überdeutlich nicht nur am 28. Januar. Italien hatte bereits alle Direktflüge nach China gestrichen, was in der Schweiz erst fast zwei Monate später geschah. An der ersten gemeinsamen Pressekonferenz von BR Berset und BAG-Delegierten Daniel Koch sagte dieser, dass es ausserhalb Chinas noch keine Fälle gebe.

Das musste er noch gleichentags korrigieren, Frankreich und Italien hatten bereits Infizierte gemeldet. Zwei Tage später, am 30. Januar, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO den globalen Gesundheitsnotstand. Es wäre immer noch Zeit gewesen, dringlich und mit Sofortmassnahmen das im Januar Versäumte nachzuholen. Also in erster Linie der Aufbau von genügend Testkapazitäten, das Auffüllen der Notvorräte, das Aufstocken des Personals für das Nachverfolgen von Ansteckungsketten.

Weder Bundesrat noch BAG können behaupten, dass sie niemand gewarnt hätte. Nicht nur der mit Wuhan vertraute Professor Kurt Vogt wandte sich mit dringlichen Mahnungen an die zuständigen Behörden. Eine Unzahl weiterer Ärzte, Epidemiologen und Fachkräfte läuteten Alarm. Sie bekamen, wenn überhaupt, ein amtliches Schreiben vom «Team COVID-19», das Grenzschliessungen als «nicht zielführend» bezeichnete und behauptete: «Bund, Kantone und Gesundheitswesen sind für den Fall der Ausbreitung vorbereitet.»

Am 25. Februar schickten die Epidemiologen Christian Althaus, Marcel Salathé, Richard Neher und Emma Hodcroft einen Brandbrief an den Bundesrat, dass das Virus 10 x tödlicher als Grippe sei. Als noch Ende Monat der Präsident des BAG abwiegelte, es drängten sich überhaupt keine Massnahmen auf, gingen sie mit wohl absichtlich überzeichneten Horror-Szenarien von bis zu 100'000 Tote in der Schweiz an die Öffentlichkeit. Dabei folgten sie den Modellen des englischen Wissenschaftlers Neil Ferguson (siehe unten «2»).

Zusätzliche Materialien:

Die Zeitachse

26.12. 2019: Dr. Jixihan Zhan diagnostiziert vier ungewöhnliche Pneumonie-Fälle, davon drei in der gleichen Familie, und informiert die Gesundheitsbehörden am nächsten Tag.

30.12. 2019: Nach weiteren Fällen beginnen die Gesundheitsbehörden in Wuhan, aktiv nach Erkrankten zu suchen.

31. 12. 2019: Die nationalen Behörden in China und die WHO werden informiert.

7.1. 2020: Covid-19 wird identifiziert, am 12. Januar wird seine Genom-Sequenz veröffentlicht.

13.1. 2020: Die ersten Test-Kits sind in China erhältlich.

23.1. 2020: Wuhan wird unter Quarantäne gestellt, am nächsten Tag 15 weitere Städte, dann die ganze Provinz mit 60 Millionen Einwohnern.

30.1. 2020: Die WHO erklärt den globalen Gesundheitsnotstand.

Bis zu diesem Datum bestand die einzige sichtbare Reaktion der Schweizer Behörden und des Bundesrats in einer ersten Pressekonferenz am 28. Januar mit dem Gesundheitsminister Alain Berset und dem BAG-Zuständigen Daniel Koch. Koch behauptete fälschlicherweise, es gebe noch keine Fälle ausserhalb Chinas.

1 Die Krise im Krisenstab

Wie für (fast) alles gibt es auch «Weisungen über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung». Am 21. Juni 2019 verfügte der Bundesrat, dass sich «die Departemente auf die Federführung in der Bewältigung der Krise einigen». Falls das nicht gelinge, stelle die Bundeskanzlei dem Bundespräsidenten einen Antrag zur Entscheidung. Die Bundeskanzlei stelle zudem «die Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und der Bundesverwaltung sicher».

Gleichzeitig entscheiden aber die Departemente «selbstständig über die Aktivierung ihrer Krisenstäbe». «Die Krisenstäbe stehen in einer hierarchischen Beziehung zueinander.» Und schliesslich gibt es noch den «Stab Einsatzunterstützung Landesregierung» der Armee, nicht zu vergessen den «Ad-hoc-Krisenstab des Bundesrats.»

Das erinnert alles an den Panther im Gedicht von Reiner-Maria Rilke: «Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.» Besser als in diesem Dichterwort lässt sich das Tohuwabohu der Krisenstäbe nicht ausdrücken.

2 Die imperiale Fehlprognose

Schon der Name ist Ehrfurcht heischend: Das Imperial College zu London. Die Wirkungsstätte des Beraters der britischen Regierung, des Wissenschaftlers Neil Ferguson. Dessen Prognosen weltweit Widerhall fanden. Der alleine für England eine halbe Million, für die USA zwei Millionen Virentote vorhersagte. Selbst im «besten Szenario» seien es noch 250'000 Tote in Grossbritannien, orakelte Ferguson noch im März 2020. Für Schweden sah er 100'000 Tote voraus; als einziges Gegenmittel empfahl Ferguson einen strikten Lockdown von Wirtschaft und Gesellschaft.

Dass er sich in der Vergangenheit schon ständig geirrt hatte, was soll’s. So sagte er 2002, Rinderwahnsinn, bis zu 50'000 Tote in England voraus. Es waren dann weniger als 200. Vogel- und Schweinegerippe, immer war Ferguson mit Horror-Prognosen zur Hand. Dass die sich regelmässig als falsch erwiesen, schadete leider seiner Reputation nicht.

Auf seine Modellrechnungen bezogen sich weltweit andere Epidemiologen, auch in der Schweiz, die zu horrenden Zahlen von Todesopfern gelangten. Ebenso fehlerhaft. Nun ist Ferguson endlich nicht über seine ständigen Fehlalarme, aber über seine Libido gestolpert. Wohl nur als Vorwand für seine Absetzung diente eine Affäre mit einer anderweitig verheirateten Frau.

Nachdem dieser Star der Pandemie-Prognosen nun verglüht ist, haben sich Fachleute seine Berechnungsmethoden genauer angeschaut. Zwei Programmier-Spezialisten, der CEO und der Software-Leiter eines bedeutenden britischen Cloud-Dienstleisters, kommen zu einem vernichtenden Resultat: «Die Modellierung nicht-pharmazeutischer Interventionen für Covid-19 durch das Imperial College, die dazu beitrug, Großbritannien und andere Länder zu drakonischen Lockdowns zu bewegen, könnte als der verheerendste Softwarefehler aller Zeiten in die Geschichte eingehen, was die wirtschaftlichen Kosten und die Zahl der verlorenen Leben betrifft.»

Sie und andere hätten den Code studiert, der dem Mikrosimulationsmodell zugrunde liegt, das Ferguson verwendete. Und auf dem die Entscheidung von Regierungen in ganz Europa beruhten, «unsere mehrere Billionen Pfund schwere Wirtschaft einzumotten und Millionen von Menschen in Armut und Not zu stürzen. Und wir waren zutiefst beunruhigt über das, was wir entdeckt haben. Das Modell scheint völlig unzuverlässig zu sein, und Sie würden nicht Ihr Leben darauf verwetten.»

Auch der Schweizer Bundesrat, zuerst zu zögerlich, dann von Horrorzahlen von Epidemiologen und Horror-Bildern aus Italien aufgeschreckt, verhängte zu spät am 16. März den Lockdown der Schweiz. Eine Fehlentscheidung, basierend auf Fehlinformationen, gesteuert von BAG-Beamten, die mit hektischem Aktivismus über ihr Versagen und ihre Schlampereien im Vorfeld und in den ersten Wochen und Monaten dieser Pandemie hinwegtäuschen wollten.

Highlights

Autor Dani Egger

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Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

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