Der Corona-Graben wird immer tiefer und breiter, wobei ich mich oft frage: ganz schön viel Meinung bei so wenig Wissen. – Ein Gastbeitrag von Stephan Sembinelli.
Seit dem 7. März 2020 befleissigt sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Woche für Woche mit dem «Situationsbericht zur epidemiologischen Lage in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein» – damals drei Seiten kurz, heute ganze 23 Seiten umfassend und kaum mehr lesbar. 23 Seiten, um in Kalenderwoche 27/2021 zwei und in Kalenderwoche 28/2021 einen Verstorbenen mit einem positiven Test auf SARS-CoV-2 auszuweisen.
Pro Woche sterben in der Schweiz – gemäss Bundesamt für Statistik – aktuell rund 1‘100 bis 1‘200 Menschen. Für diejenigen, die es gerne genau haben möchten: 1‘124 in Kalenderwoche 26/2021 und 1‘198 in Kalenderwoche 27/2021. Wir bewegen und mit den «Corona-Toten» (ich kann diesen Begriff nicht ausstehen, weil er schlicht falsch ist) somit im Promillebereich. Das sind Fakten.
Swissmedic vermeldete per 23. Juli 2021 exakt 8‘593‘483 verabreichte Impfdosen (34,1 % von Pfizer/BioNTech und 65,9 % von Moderna stammend), verteilt auf 4‘562‘978 geimpfte Personen. In regelmässigen Abständen kommuniziert Swissmedic zudem die Verdachtsmeldungen von unerwünschten Impferscheinungen (UIE) in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. Aktenkundig sind bisher 2‘782 nicht schwerwiegende UIE und 1‘537 schwerwiegende UIE. In 128 der schwerwiegenden UIE sind die geimpften Personen verstorben. 37,8 % der Meldungen beziehen sich auf Pfizer/BioNTech und 60,4 % auf Moderna. In 1,8 % der Fälle wurde der Impfstoff nicht spezifiziert.
Im Gegensatz zum BAG, welches bis dato nicht gewillt – oder nicht fähig – ist, «echte» SARS-CoV-2-Todesfälle zu benennen, macht es sich Swissmedic sehr einfach und schreibt grosszügig: «Trotz einer zeitlichen Assoziation gibt es in keinem Fall konkrete Hinweise, dass die Impfung die Ursache für den Todesfall war.» Skeptisch macht den einen oder anderen Leser vielleicht der Hinweis, dass das Durchschnittsalter der 128 verstorbenen Geimpften bei 80,5 Jahren liegt; bei den «Corona-Toten» liegt der Median bei über 85 Jahren. Auch das sind Fakten.
Mir ist durchaus bewusst, dass die meisten Menschen – impliziert auch Politiker und Journalisten – seit Monaten eine festgefahrene Meinung zur «Corona-Politik», zu «Corona-Massnahmen», zur «Corona-Impfung» usw. usf. haben, allerdings frage ich mich oft, worauf diese eigentlich begründet ist. Auf Fakten? Wohl kaum, denn egal, wen ich etwas zu dieser Thematik frage, die Antwort lautet zu oft «weiss ich nicht» oder ist schlicht falsch oder im besten Fall unpräzise. Somit liegt m. E. genau hier der «Corona-Graben»-Hund begraben: Kognitive Verzerrungen, und zwar eine ganze Liste davon: hier insbesondere der Bestätigungsfehler, der Backfire-Effekt, das Beharren auf Überzeugungen, die Verzerrungsblindheit, die illusorische Korrelation, das Katastrophisieren, die Truthahn-Illusion, die Verfügbarkeitsheuristik, der Wahrheitseffekt und nicht zuletzt der bekannte Dunning-Kruger-Effekt.
Wer mehr über kognitive Verzerrungen erfahren möchte – das sind ja ohnehin meist diejenigen, welche den wenigsten unterliegen – sei einschlägige Fachliteratur empfohlen; beispielsweise von Daniel Kahneman, Rüdiger Pohl oder auch vom Schweizer Rolf Dobelli.
Vielleicht fragte sich der eine oder andere bereits beim Titel, warum ich «auf allen Seiten», nicht aber «auf beiden Seiten» schrieb, denn bei einem Graben kann es ja bloss zwei Seiten geben, nicht wahr? Genau dies sehe ich eben nicht so: es gibt durchaus Positionen, die «über dem Ganzen stehen», nennen wir sie mal ganz neutral «meinungslose Beobachterposition». So versuche ich – und eine Reihe anderer «Faktensammler und -verbreiter» – seit rund eineinhalb Jahren mit dem Helikopter über dem Graben zu schweben, ihn mit Fakten zuzuschütten, was ganz offensichtlich nie gelingen wird.
Ich schliesse auch diesen Gastbeitrag mit einem Zitat: «Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.» (Mark Twain, Niels Bohr und einigen anderen zugeschrieben.)
Stephan Sembinelli (* 1973) ist Privatier. Er lebt in Rosières (SO)
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.