logo

Weltuntergang oder Spaziergang?

Bleibt die Schweiz in einem Handelskrieg neutral?

Für den US-Präsidenten Donald Trump sind Handelskriege «gut und leicht zu gewinnen». Andere sehen dabei nur Verlierer. Wer hat recht?

«Die Ostschweiz» Archiv am 09. Juli 2018

Handelskriege werden normalerweise ohne den Einsatz von Massenvernichtungswaffen geführt. Es wird also nicht geschossen, gebombt oder gemetzelt. Handelskriege werfen zuerst lange Schatten voraus. So hat die Börse von Shanghai in den letzten Wochen 15 Prozent des Handelswerts verloren, ein paar hundert Milliarden Dollar.

Anleger sind verunsichert, weil der US-Präsident Donald Trump Strafabgaben auf chinesische Waren angekündigt hat. Ab vergangenem Freitag werden Sonderzölle von 34 Milliarden Dollar auf chinesische Importe erhoben. Das bedeutet, dass Fertigwaren aus China für den Konsumenten in den USA teurer werden, US-Produkte, die Bestandteile aus China enthalten, werden ebenfalls teurer. China hat bereits Gegenmassnahmen angekündigt, Trump droht für diesen Fall mit weiteren Zöllen gleich in der Höhe von 200 Milliarden Dollar.

Eine ähnliche Politik betreibt Trump gegenüber Kanada, der Europäischen Union und auch der Schweiz. Warum macht er das, wieso findet er das gut, was würde es bedeuten, wenn er «gewinnt»? Dafür muss man zunächst verstehen, was Zölle sind. Alle Länder der Welt erheben sie. Sie sind willkommene Einnahmen des Staates, zudem sollen sie einheimische Produzenten vor der Konkurrenz aus dem Ausland schützen. So wären beispielsweise die Schweizer Bauern ohne Subventionen und hohe Zölle auf Lebensmittelimporte nicht überlebensfähig. Das widerspricht eigentlich der Grundidee der freien Marktwirtschaft, dass Produkte dort hergestellt werden, wo die Produktion am billigsten ist. Im Rahmen der Globalisierung kann das irgendwo auf der Welt sein, der Containerschifffahrt sei Dank.

Da Zollschranken Handelshemmnisse darstellen, sind in den vergangenen Jahrzehnten viele dieser Hürden gefallen oder gesenkt worden. So erhebt beispielsweise die EU im Schnitt 5,2 Prozent Einfuhrzoll auf US-Produkte, die USA hingegen nur 3,5 Prozent auf EU-Waren. China erhebt sogar fast 10 Prozent Zoll auf US-Importe. Beim wichtigen Handelsprodukt Auto sind die Unterschiede noch deutlicher: Die USA erheben auf den Import lediglich 2 Prozent Zoll, die EU 10 Prozent und China ganze 25 Prozent. Trump hat also durchaus recht, wenn er das als ungerecht kritisiert.

Ausserdem beschwert sich Trump darüber, dass die USA ein hohes Leistungsbilanzdefizit haben. Alleine im ersten Quartal 2018 importierten die USA für 124 Milliarden Dollar mehr Waren und Dienstleistungen, als sie exportierten. Mit Abstand an erster Stelle steht bei diesem Vergleich China; im Jahr 2016 betrug das Defizit im Handel fast 350 Milliarden Dollar. Trump hat also auch recht, wenn er Ungleichgewichte kritisiert. Wobei diese Zahl mit Vorsicht zu geniessen ist. Wird beispielsweise ein iPhone in China auch mit US-Komponenten zusammengeschraubt, wird der gesamte Wert als Import aus China gezählt. Die Schweiz liefert für 36 Milliarden Franken in die USA, importiert aus dem zweitwichtigsten Exportpartner aber nur für 21 Milliarden im Jahr 2017. Ist ein solches Defizit der USA nun gut oder schlecht?

Trump behauptet, dass ungerechte Zölle und diese Leistungsbilanzdefizite dazu führten, dass weniger Produkte in den USA hergestellt werden, Arbeitsplätze verloren gehen und das Ausland zu viel im grössten Binnenmarkt der Welt verdient, ohne dass die USA durch Arbeitsplätze, Steuern und Know-how davon profitieren. Diese Ungerechtigkeiten müssten beseitigt werden, auch ausländische Firmen müssten mehr in den USA produzieren und weniger in die USA exportieren. Um sie dazu zu verleiten, erhebe er Einfuhrzölle und löse damit viele Probleme der USA. Damit liegt Trump aber völlig falsch. Und zwar in jedem Punkt:

  1. In den USA kann man bei der niedrigsten Arbeitslosenquote seit Jahrzehnten aktuell beinahe von Vollbeschäftigung sprechen. Es ist also gar nicht dringend nötig, mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

  2. Arbeitsplätze im sogenannten Rust Belt, also dort, wo früher die US-Stahl- und Autoindustrie florierte, könnten zwar mit prohibitiven Zöllen auf Stahl- und Autoimporte geschaffen werden. Da diese Industrien aber eingegangen oder deutlich reduziert wurden, weil sie nicht mehr konkurrenzfähig waren, wäre das ein Rück- und kein Fortschritt.

  3. Eine neue Zollschranke tut immer dem Exporteur weh und schützt den einheimischen Hersteller. Aber dafür zahlt der Konsument mit höheren Preisen die Zeche, auch der Produzent muss seine Güter verteuern, wenn er zur Herstellung mit neuen Zöllen belegte Produkte verwendet.

  4. Ein Handelskrieg besteht wie jeder Krieg aus Aktion und Reaktion. Alle von den US-Strafzöllen betroffenen Länder haben Gegenzölle bereits erhoben oder angekündigt. Auch darunter leiden US-Firmen, wie das Beispiel der Traditionsmarke Harley Davidson zeigt.

Die wichtigste Frage ist: Wo wird dieser Handelskrieg enden? Wir sprechen inzwischen von einer Weltwirtschaft, in der riesige Warenströme zwischen den USA, China, Europa und Japan fliessen, um nur die wichtigsten Akteure zu nennen. Werden immer massivere Zollschranken erhoben, könnte dieser Warenaustausch zwar nicht zum Erliegen kommen, aber massiv verringert werden. Exportorientierte Länder wie China, Deutschland, aber auch die Schweiz bekämen massive wirtschaftliche Probleme. Gleichzeitig würden sich viele Produkte verteuern, da sie nicht mehr am billigsten Ort hergestellt werden. Weniger Kaufkraft, teurere Produkte, Krise, Weltkrise, Unruhen, Verteilungskämpfe, Weltkrieg. So sieht das schlimmstmögliche Szenario aus.

Oder aber, Trump gibt sich mit Verbesserungen der Zollsituation zufrieden und fährt sowohl seine Rhetorik wie auch die Strafzölle wieder hinunter. Dann hätte er einen guten Deal gemacht; alleine mit der Drohung eines echten Handelskriegs bereits den Krieg gewonnen. Nun ist Trump leider dafür bekannt, dass er als Geschäftsmann schon mehrfach fast bankrott war, weil er immer wieder schlechte Deals abschloss, die aber mit grossem Getöse als Erfolg verkaufte. Es ist zu hoffen, dass er das bei diesem beginnenden Handelskrieg auch tut, bevor er tatsächlich die Weltwirtschaft ins Chaos reisst. In dem es, nicht einmal für die Schweiz, nirgendwo Neutralität gäbe.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.