Der Bundesrat und die Kantone haben die Voraussetzungen für Notmassnahmen für die Unternehmen geschaffen. Aber so einfach wie oft behauptet ist das alles nicht. Wer beispielsweise im Kanton St.Gallen Kurzarbeit einführen will, sieht sich im Dialog konfrontiert mit vier Seiten voller Paragraphen.
Priska Ziegler führt eine Kommunikationsagentur in St.Gallen. Als es allmählich losging mit den beunruhigenden Informationen rund um das Coronavirus, handelte sie schnell. Am 13. März füllte sie die Formulare des St.Galler Amts für Wirtschaft und Arbeit (AWA) aus, um Kurzarbeit für ihre beiden Mitarbeiterinnen zu beantragen. Diese mussten - das ist eine Vorgabe - ihrerseits die Voranmeldung für Kurzarbeit unterzeichnen. Da beide Teilzeit arbeiten, war das erst am 17. März möglich; dann reichte Ziegler die Formulare ein.
Die Antwort kam recht schnell, am 23. März. Es handelte sich um ein vierseitiges Schreiben. «Gegen die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung erheben wir teilweise Einspruch», schrieb das AWA darin. Ein Knackpunkt war die Länge der Kurzarbeit. Die Agenturleiterin beantragte diese vom 16. März bis 5. Juli. Allerdings wird Kurzarbeit jeweils für maximal drei Monate bewilligt. Im konkreten Fall vom 20. März bis 19. Juni 2020.
Einiges an dem Schreiben stösst Priska Ziegler sauer auf. Zum einen ein inhaltlicher Fehler: Im Schreiben des AWA ist die Rede von vier Mitarbeiterinnen, es wurde aber nur für zwei Kurzarbeit beantragt. Ebenfalls stossend findet Priska Ziegler, dass beim Startdatum der möglichen Kurzarbeit recht kleinlich vorgegangen wurde. Massgebend war die Postaufgabe ihrer Anmeldung, der 17. März, danach folgte ein Wochenende. Geld gibt es daher rückwirkend erst ab Montag, 20. März. «Ich habe damals sehr schnell gehandelt, aber wenn alle Mitarbeiterinnen unterschreiben müssen und in Teilzeit tätig sind, kommt es natürlich zu zeitlichen Verzögerungen.» Mit dieser Situation dürfte sie nicht allein sein.
Weit schlimmer findet die Kommunikationsexpertin aber die Art und Weise, wie das vierseitige Schreiben abgefasst ist. Über vier Seiten erstrecken sich rechtliche Ausführungen in schwer verdaubaren Schlangensätzen, durchkreuzt von Paragraphen und weiterführenden Links.
Ein Müsterchen aus dem Inhalt:
«Der Arbeitsausfall ist u.a. nur anrechenbar, wenn er mindestens 10 Prozent der Arbeitsstunden ausmacht, die von allen anspruchsberechtigten Arbeitnehmerinnnen und Arbeitnehmern des Betriebes bzw. der anzerkannten Betriebsabteilung in der Abrechnungsperiode normalerweise geleistet werden.»
Man muss zuerst tief Luft holen, wenn man sich durch diese Formulierung gekämpft hat. Ohne Frage ist das Ganze juristisch korrekt, aber niemand hat sich überlegt, wie das Geschriebene beim Leser ankommt.
«Ich frage mich ernsthaft, wer kann diesen Inhalt verstehen?», so Priska Ziegler Ein gewerblicher Kleinbetrieb sei damit mit Sicherheit überfordert. «Ein solches Schreiben müsste leicht verständlich sein, und vor allem sollte man sofort sehen können, was als Nächstes zu tun ist, hier muss man sich die einzelnen Schritte aber zusammensuchen.»
Die ehemalige Präsidentin der Wirtschaft Region Appenzell-Bodensee ist sich sicher: Ein Gewerbetreibender ohne grosse Erfahrung mit Ämtern hat keine Chance, zu sehen, was er nun zu tun hat. Sie will nun im direkten Gespräch mit dem AWA darauf aufmerksam machen, dass es gerade in der herrschenden Krise wenig kundenfreundlich ist, die Kleinunternehmen mit vier Seiten voller Juristendeutsch zu behelligen. Aber zuerst muss sie nun selbst herausfinden, welches die nächsten Schritte zur Kurzarbeit sind…
Die Ironie an der Sache: Der Kanton St.Gallen ist offensiv unterwegs mit dem Projekt «Leichte Sprache». Viele Texte auf der Webseite oder in Dokumenten sind für Leute, die mit langen Sätzen oder Fremdwörtern Mühe haben, verkürzt und verständlich aufbereitet - eben in der «leichten Sprache». Es ist anzunehmen, dass derzeit auch Kleingewerbler Hilfe brauchen, die ebenfalls nicht vertraut sind mit langen Sätzen und juristischen Ausführungen. Für sie hätte es vielleicht schon ein Beiblatt mit klaren nächsten Schritten in einer Aufzählung getan.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.