Ein Bundesgerichtsurteil lässt aufhorchen. Nicht nur, weil es besagt, dass das Fedpol nicht pauschal Einsicht in Einträge anderer Mitgliedstaaten über eine Person verweigern darf. Sondern auch, weil es zeigt, dass ein anderer Schengen-Staat einen Journalisten offenbar rein schikanös ausschreibt.
Zu Beginn der letzten Woche veröffentlichte das Bundesgericht – mit begleitender Medienmitteilung – ein brisantes Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung, das bislang nur spärlich Eingang in die Medienberichterstattung gefunden hat (BGer 1C_597/2020). Und dies, obschon der zugrundeliegende Sachverhalt in mehrfacher Hinsicht erschreckend ist.
Im September 2019 richtete ein Deutschschweizer Journalist mit schweizerisch-bulgarischer Doppelbürgerschaft ein Einsichtsgesuch ans Bundesamt für Polizei (Fedpol), mit dem er Auskunft über sämtliche seine Person betreffenden Einträge in den Systemen des Europäischen Polizeiamtes (Europol) verlangte. Dies begründete der Journalist damit, dass er seit 2017 – also zwei Jahre vor Gesuchseinreichung – bei jeder Einreise in den Schengenraum von den dortigen Zollbehörden angehalten und detailliert befragt worden sei, weshalb er davon ausgehe, im Schengener Informationssystem (SIS) verzeichnet zu sein. Insbesondere gehe er davon aus, dass sein Zweitheimatsstaat Bulgarien das SIS missbrauche, um ihn durch schikanöse Einträge als in der Schweiz lebenden Herausgeber eines regierungskritischen Onlinemediums einzuschüchtern. Das Fedpol holte in der Folge eine Stellungnahme des Staates ein, welches den Journalisten tatsächlich im SIS ausgeschrieben hatte – wobei jener Staat sagte, er würde einer Auskunftserteilung nicht zustimmen, da sonst eine in jenem Staat laufende Untersuchung gegen den in der Schweiz lebenden Gesuchsteller erschwert werden könnte. Sodann wies das Fedpol das Einsichtsgesuch des Journalisten ab und auch das Bundesverwaltungsgericht stellte sich hinter die Verweigerungshaltung der Bundesbehörde. Erst das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Journalisten weitgehend gut, wobei es – mit teils deutlicher Kritik – die Sache für nähere Abklärungen und neuen Entscheid ans Fedpol zurückweist.
Liest man Prozessgeschichte und Urteil, fragt man sich, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass jener Fall bis vor Bundesgericht gezogen werden musste, damit eine Bundesbehörde dem Direktbetroffenen den Zugang zu eigenen Daten nicht in vorauseilendem Gehorsam gegenüber einem anderen Schengen-Staat verwehrt. Das Bundesgericht erinnert in seinem Urteil nämlich zunächst daran, dass sich die Einsicht ins (supranationale) Schengener Infosystem nach dem Recht des Staates richtet, in dem das Gesuch gestellt wird – und damit in der Schweiz primär nach dessen Datenschutzgesetz (DSG). Die Schweizer Behörde hat bei ausländischen Einträgen der aus-schreibenden Behörde im Ausland aber zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen (E. 2.3). An die Sachverhaltsdarstellung der ausländischen Behörde ist das Fedpol zwar gebunden, solange keine offensichtlichen Fehler, Lücken oder Widersprüche bestehen. Da es jedoch um eigene Personendaten und damit bei der Einsichtsverweigerung um einen schweren Grundrechtseingriff geht, hat das Fedpol selber zu beurteilen, ob ein Geheimhaltungsgrund vorliegt bzw. die Auskunftsverweigerung im Interesse des ausschreibenden Fremdstaates zwingend nötig ist. Dies entspreche auch der Praxis anderer europäischer Schengen-Länder, deren Datenschutzbeauftragte darauf hinwiesen, dass die Stellungnahme des ausschreibenden Staates nur ein Kriterium von vielen sei (E. 6.3 und 6.4). Im besagten Fall sei aber nicht einmal klar, ob sich das Fedpol überhaupt eigene Gedanken zur Sache gemacht oder nicht einfach die ausländische Stellungnahme für absolut bindend erachtet habe (E. 6.5). Gerade bei Journalisten sei eine kritische Prüfung solcher Einträge dringend nötig, um ausländischen Repressalien auf Medienschaffende begegnen zu können. Auch wenn das Bundesgericht den Namen des ausschreibenden Staates nicht explizit nennt, geht dabei aus der Anonymisierung der Berichte des Weltpressefreiheit-Index hervor, dass dabei de facto Bulgarien – wie vom betroffenen Journalisten vermutet – der ausschreibende Schengen-Staat gewesen sein muss (E. 6.6).
Mit diesen klaren und mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte sehr zu begrüssenden Worten schickt das Bundesgericht den Fall zurück ans Fedpol. Man kann nur hoffen, dass dieser groteske Fall nicht dem Alltag entspricht. Es ist jedenfalls sehr zu wünschen, dass vorauseilender Schweizer Schengen-Gehorsam nicht noch ausländische Medienrepressalien bestärkt.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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