Die CVP Schweiz hat eine spezialisierte Agentur eingesetzt, um auf Google Wahlwerbung zu machen. Das Besondere daran: Dank geschickter Personalisierung wird der Kandidat, den man eigentlich gesucht hat, zuerst schlecht gemacht - um dann auf die Lösungen der CVP zu verweisen. Auch in der Ostschweiz.
Es ist nicht verboten. Es ist ein klein wenig amerikanisch. Und es dürfte nicht ganz billig sein. Die CVP setzt im Web auf eine Spielerei, hinter der einiges an Aufwand steckt. Und das flächendeckend, so dass es auch in den Ostschweizer Kantonen funktioniert.
Es geht um die Webseite kandidaten2019.ch. Wer sie besucht, findet - nichts. Es sind keine Inhalte hinterlegt. Jedenfalls nicht auf der Hauptseite. Für die eigentliche «Arbeit» ist eine grosse Zahl an Unterdomains zuständig, die Namen von Nationalratskandidaten zugewiesen sind. Auf diese Seiten verweisen Google-Anzeigen. Besonders perfid: Weil als Name der Seite «kandidaten2019» eingeblendet wird, geht man von neutralen Informationen aus.
Sucht also jemand nach einem Kandidaten ausserhalb der CVP, ist die Chance gross, dass weit oben - meist zuoberst - eine bezahlte Anzeige bei Google erscheint. Klickt man sie an, landet man auf der besagten Unterseite. Und dort wird einem erklärt, warum der bewusste Politiker der bewussten Partei in der Gesundheitspolitik die falschen Rezepte hat - und die CVP die richtigen.
Das sieht dann am Beispiel des St.Galler FDP-Kandidaten Oskar Seger wie folgt aus:
Nach demselben Muster werden wichtige Kandidaten mehrerer Parteien aufs Korn genommen. Danach folgt Eigenwerbung für die Kostenbremsen-Initiative der CVP, mit der sie die steigenden Gesundheitskosten bekämpfen will. Das aber ist, kaum verschleiert, nur der Vorwand, in Wahrheit geht es um Wahlwerbung hinsichtlich der Nationalratswahlen. Ansonsten würde kaum bei der Google-Anzeige auf den Mann oder die Frau gespielt.
Aufgesetzt hat die CVP das Ganze nicht etwa selbst, sie hat wahre Profis angeheuert. Hinter der Aktion steht eine Agentur namens Enigma aus Bern, welche die Domain kandidaten2019.ch im August 2019 reserviert hat. Die Firma ist spezialisiert auf das Zusammenspiel zwischen Strategie, Targeting und Automatisierung. Also in etwa das, was die CVP derzeit vorexerziert. Die Kundenliste von Enigma ist edel: Ricola, Victorinox, Nestlé, um nur einige zu nennen.
Dass Kandidaten oder Parteien bei Google werben und als Stichwörter auch andere Parteien angeben, um von politisch interessierten Websurfern gefunden zu werden: Das ist nicht neu und fast schon Standard. Auch innerhalb von Parteien wird es gern gemacht. Wer beispielsweise auf Google nach Mike Egger sucht, erhält zuerst die Wahlwerbung von Michael Götte eingeblendet; beide sind bei der SVP.
Das aber ist im Grunde «Anfängerstoff». Der Professionalisierungsgrad dieser Aktion der CVP hingegen ist Neuland. Man landet beim Suchbegriff nicht einfach auf einer «falschen» Seite, sondern wird dort - personalisiert mit dem gesuchten Namen - konkret abgeholt. Will heissen: Wer sich über Paul Rechsteiner informieren will, erhält als ersten Treffer Informationen darüber, warum man ihn aus Sicht der CVP nicht wählen sollte.
Ob das Ganze einschenkt, ist offen. Gekostet haben dürfte es aber einiges, zumal sich externe Dienstleister darum gekümmert haben. Auch wenn nach wie vor unklar ist, wie gross der Anteil von Onlinemassnahmen am Wahlerfolg ist: Die Parteien scheinen immer stärker auf diese Karte zu setzen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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