Am 19. April findet der zweite Wahlgang für die St.Galler Regierung statt. Zumindest Stand jetzt, derzeit ändert sich vieles sehr rasch. Wie gehen die drei Kandidierenden mit der Situation um? Steht ihr Wahlkampf still – oder suchen sie einfach nach anderen Formen des Wählerkontakts?
«Ich finde den Entscheid richtig», sagt Laura Bucher, SP-Regierungsratskandidatin auf die Frage, ob der Kanton gut daran tat, trotz Coronakrise am Wahltermin festzuhalten. Es sei wichtig, dass der Staat mit seinen demokratischen Strukturen auch in dieser ausserordentlichen Lage jederzeit handlungsfähig bleibe. FDP-Kandidat Beat Tinner äussert sich neutral: Es gelte, die Entscheidung zu akzeptieren, «nach dem Entscheid des Bundesrates, auf den Urnengang vom 17. Mai zu verzichten, wird die Frage aber allenfalls nochmals diskutiert.»
Nicht ganz so entspannt sieht das Michael Götter, Kandidat der SVP. «Ich muss mich aktuell auf meine zivilen wie auch militärischen Führungsaufgaben konzentrieren, deshalb bin ich nicht wirklich glücklich über den Entscheid, die Wahlen wie geplant durchzuführen.»
Allen drei gemeinsam ist, dass sie es als schwierig empfinden, Wahlkampf zu betreiben. Eine «Herausforderung und in mancher Hinsicht ein Drahtseilakt», sei das, so Laura Bucher. «Wir haben entschieden, auf unsere bereits geplante Kampagne via APG-Plakate und PassengerTV – also Bildschirme in den öffentlichen Verkehrsmitteln - zu verzichten.» Stattdessen will die SP mehr Inserate schalten und wie schon im ersten Wahlgang stark auf Social Media setzen. Bucher: «Für uns ist wichtig, dass wir trotz der Umstände mit den Menschen ins Gespräch kommen können - wir erarbeiten derzeit Mittel und Wege, dass uns das trotzdem gelingt.»
Beat Tinner betont, dass Wahlkampf schon aus Ressourcengründen: «Aktuell liegt meine Priorität bei der Führung der Gemeinde Wartau, der ich als Gemeindepräsident vorstehe.» Als Verwaltungsrat trage er zudem die Mitverantwortung für rund 1000 Mitarbeitende, teilweise im Bereich der Grundversorgung. «Die Menschen und die Wirtschaft sind sehr verunsichert. Täglich beantworte ich Anfragen aus dem ganzen Kanton und versuche, den Menschen und Unternehmen zu helfen.» Für ohn stehe deshalb aktuell die Bewältigung der Krise, nicht der Wahlkampf im Zentrum. Tinner: «Wir haben deshalb unsere Wahlkampfaktivitäten heruntergefahren und werden lediglich mit etwas Werbung präsent sein.»
So klingt es bei Michael Götte, der eine ähnliche Ausgangslage hat. «Aktuell und auch in den kommenden Wochen findet für mich der Wahlkampf wenn überhaupt nur noch auf Sparflamme statt. Priorität haben für mich meine öffentlichen Aufgaben als Gemeindepräsident sowie meine Funktionen in der regionalen Bevölkerungsschutzkommission und im Militär.» Gefordert sei er auch als Leiter kantonale Politik der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell, denn: «Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik ist in dieser ausserordentliche Lage von existentieller Bedeutung.» Die bereits gebuchten Plakate und Inserate werden geschaltet. Verträge halte er ein, so Götte. Auch in den sozialen Medien bleibe er weiterhin aktiv. Dabei verstehe sich von selbst, dass heute andere Inhalte interessieren als bisher. Götte weiter: «Teure Hochglanzprospekte hingegen wird es von mir nicht mehr geben.»
Unbestritten ist, dass die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit derzeit nicht bei den Regierungswahlen liegt. Der 19. April ist zwar ein Schlüsseltermin, aber nur, weil bis dann feststehen wird, wie es in der Schweiz punkto Coronakrise und den Massnahmen weitergeht. Haben die Kandidierenden Verständnis für Menschen, die es für unnötig oder sogar falsch halten, in diesen Tagen Wahlkampf zu betreiben?
«Ja, das habe ich natürlich», sagt Laura Bucher, «ich selbst denke im Moment am allerwenigsten an den Wahlkampf, auch ich bin sehr besorgt und verunsichert über die Lage und die Auswirkungen des Virus.» Zusätzlich sei ihre Familie derzeit sehr stark gefordert, weil sie und ihr Mann die Kinderbetreuung und die Erwerbstätigkeit neu organisieren müssen. «So geht es vielen Familien», ergänzt die SP-Kandidatin. Sie sei dankbar über die grosse Solidarität überall, dass die Menschen Nachbarschaftshilfe leisten, sich gegenseitig aushelfen. «Das ist im Moment wichtiger als Wahlkampf.» Trotzdem muss der Staat handlungsfähig bleiben. Dafür brauche es Wahlen, «und dazu gehört auch ein Wahlkampf, soweit dieser eben durchführbar ist.»
Beat Tinner sagt, er sei eigentlich der falsche Adressat für diese Frage, «diese müssten Sie besser der Regierung stellen.» Der Wahlgang finde statt, und er sei einer der Kandidaten. «Eine an die Lage angepasste Präsenz in der Öffentlichkeit ist deshalb fast unumgänglich.» Und Michael Götte ist sicher, «dass die Bürgerinnen und Bürger verstehen, dass das politische Leben weitergehen muss.» Ein «Weiter wie bisher» sei für ihn aber keine Option, «jetzt braucht es Taten statt Worte.»
Bleibt die Frage: Könnte sich die ausserordentliche Lage auf das Wahlresultat niederschlagen? Und wenn ja: Wie und für wen?
«Ich glaube nicht, dass derzeit irgendjemand für die Wahlen interessiert», stellt Beat Tinner fest, und er verstehe das. Denn: «Viele Menschen und die Wirtschaft fürchten um ihre Existenz.» Er gehe von einer tiefen Wahlbeteiligung aus. Gleichzeitig sagt er: «Ich glaube aber auch, dass sich die Menschen aktuell erfahrende und krisenerprobte Exekutivpolitikerinnen und -politiker wünschen. Ich würde mich deshalb freuen, wenn im Dienste der St.Galler Bevölkerung Verantwortung übernehmen dürfte. Es liegt viel Arbeit vor uns – für jede und jeden.»
Laura Bucher bezweifelt, dass sich die Situation auf das Resultat auswirkt. Sie habe im ersten Wahlgang sehr viele Veranstaltungen besucht, war an Standaktionen präsent und sei mit sehr vielen Menschen in Kontakt gekommen. «Die Wählerinnen und Wähler wissen, wofür ich einstehe und was ich an Ausbildung und Erfahrung mitbringe. Und die Ausgangslage ist auch klar: Ich bin die einzige Frau, die noch kandidiert - wer eine zweite Frau in die Regierung wählen will, wählt Laura Bucher.» Nur auf die Wahlbeteiligung werde sich die Ausgangslage wahrscheinlich auswirken.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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