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Negativzinsen

Das Geld versteckt statt angelegt: Die Horrorvorstellung unserer Banken

Negativzinsen kann man sich schwer vorstellen. Muss nun der normale Bankkunde damit rechnen? Und wenn ja: Was tun?

«Die Ostschweiz» Archiv am 14. September 2019

Negativzinsen sind in der Finanzlehre eigentlich gar nicht vorgesehen. Zu widersinnig die Vorstellung, dass der Schuldner noch etwas dafür bekommt, dass er einen Kredit aufnimmt. Und der Gläubiger etwas dafür zahlen muss, dass er sein Geld verleihen darf.

Bislang hat der Durchschnittssparer nur kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen, dass im Euroraum der Leitzins immer weiter abgesenkt wird. Dieser Zinssatz kommt zur Anwendung, wenn sich Banken von der Notenbank Geld leihen oder es dort deponieren. Der ist im Euro im Negativen, und der scheidende Chef der Europäischen Zentralbank hat als letzte Amtshandlung bekannt gegeben, dass er diesen Leitzins nochmal senkt, ein Zehntelprozent weiter ins Negative. Und dass er den Ankauf von Schuldpapieren von Euro-Staaten weiterführt.

Wer denkt, dass ihn das nichts angehe, schliesslich haben wir doch unseren Franken, denkt zu kurz. Denn seit der Aufhebung der sogenannten Untergrenze zum Euro versucht unsere Notenbank SNB, den Wechselkurs des Frankens künstlich niedrig zu halten, indem sie einen negativen Leitzins von 0,75 Prozent verwendet. Weltrekord.

Der Kleinsparer hat bislang murrend zur Kenntnis genommen, dass eigentlich alle sicheren Geldanlagen keinen Ertrag mehr abwerfen. Zieht man Inflation und Gebühren ab, legt er jetzt schon drauf, wenn er Geld zur Bank bringt. Aber wird er bald einmal so rot sehen wie der Raiffenplatz in St. Gallen? Wird er einen roten Kopf bekommen, wenn ihm seine Bank mitteilt, dass sie leider die Negativzinsen an alle Kunden weitergeben müsse, nicht nur an begüterte Klienten, die über mehr als eine halbe oder eine ganze Million gebieten?

Das Teuflische an einer kleinen Inflation oder einem niedrigen Negativzins ist, dass man es kaum merkt. Wer 1000 Franken auf dem Konto hat, hat auch nach einem Jahr diesen Betrag zur Verfügung, abzüglich Aufbewahrungsgebühren. Aber auch die neue Hunderternote schrumpft weder ein, noch verändert sich der angegebene Betrag.

Aber Notengeld ist das richtige Stichwort. Denn der Schweizer ist auf zwei Gebieten sehr, sehr träge. Bei Versicherungen und bei seiner Bankverbindung. Um ihn da zu Handlungen zu motivieren, braucht es fast Gewalt. Ein Wechsel der Versicherung zu einem billigeren Anbieter? Ein Wechsel der Bankverbindung? Für viele Schweizer kaum vorstellbar.

Aber aktuell geistert in den Medien ein Schreckgespenst herum: «Negativzinsen auf dem Vormarsch, jetzt trifft’s auch die Kleinsparer», behauptet die zeitung mit den ganz grossen Buchstaben. Was bislang nur bei einzelnen Banken und nur für Besitzer grösserer Vermögen zutraf, käme nun auf alle zu: Für die Aufbewahrung von Geld zahlt die Bank nicht nur nichts, sie verlangt auch noch etwas dafür.

Muss also jeder damit rechnen, dass ihm von seinem sauer ersparten Kleingeld etwas abgezwickt wird, und wenn ja, was kann man dagegen tun? Gemach, auch dieser Brei wird nicht so heiss gegessen, wie er gekocht wird. Denn die Banken haben ein Problem, wenn sie tatsächlich Negativzinsen für alle Kunden, auch für Kleinsparer, einführen würden. Das könnte nämlich dazu führen, dass diese Kunden tatsächlich aufwachen und etwas unternehmen. Nämlich schlichtweg den Spargroschen abziehen, in Bargeld verwandeln. Und dann bei sich zu Hause verstauen oder gar ein Bankschliessfach anmieten. Denn so würden sie dem Negativzins ein Schnippchen schlagen.

Da gibt es dann ein grosses Aber. Ein ganz grosses. Würden das Bankkunden in grosser Anzahl tun, spräche man von einem sogenannten Bank Run, der Horrorvorstellung jeder Bank. Denn keine Bank der Welt rechnet damit, dass eine grössere Anzahl ihrer Kunden gleichzeitig ihre Konten räumen und in bar ausbezahlt werden wollen. Und sobald sich erste Schlangen vor Bankschaltern oder Bancomaten bilden, greift das Phänomen der Massenhysterie. Selbst die Kunden, die nicht an eine Auflösung des Sparkontos dachten, werden nervös und stellen sich auch in der immer längeren Schlange an. Und wehe, die Bank muss einräumen, dass sie nicht schnell genug Bargeld heranschaffen kann, dann geht die Stampede erst richtig los.

In der Schweiz hat es das, mit ganz wenigen Ausnahmen, in den letzten Jahrzehnten nie gegeben. Manchen ist noch die Spar- und Leihkasse Thun in schmerzlicher Erinnerung. Aber das war eine Lokalbank. Flächdeckend gab es kleinere Schlangen während der grossen Finanzkrise von 2009, als es nach dem Bankrott einer grossen US-Investmentbank für kurze Zeit so aussah, als ob weltweit das Finanzsystem völlig aus dem Gleis geraten könnte. Aber es kam zu keiner Panik, und die Schlangen lösten sich recht schnell wieder auf.

Niemand kann in die Zukunft schauen, auch wenn das Bankanalysten gerne behaupten. Dennoch sei die Prognose gewagt, dass die Schweizer Banken die Negativzinsen auf absehbare Zeit nicht an alle ihre Kunden weiterreichen werden. Zu stark sind die Befürchtungen vor einer allgemeinen Flucht ins Bargeld. Was besonders in der Schweiz problemloser als beispielsweise im Dollar oder Euro möglich wäre, da es hierzulande weiterhin eine Tausendernote gibt. Aber es ist kaum zu befürchten, dass Orell Füssli seine Gelddruckmaschinen heisslaufen lassen wird.

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