Die wie immer ungewöhnlich gut informierten Medien sagen jetzt schon, was der Bundesrat voraussichtlich am Mittwochnachmittag bekanntgeben wird. Die Corona-Schutzmassnahmen, die bisher konsequent wirkungslos waren, sollen noch ausgebaut werden. Als ob zwei Mal Null nicht Null ergäbe.
Hand in Hand wandert die Landesregierung in diesen schweren Zeiten mit ihren treuesten Verbündeten, den grossen Zeitungen. Um die Wirkung von harten Informationen in Echtzeit etwas zu mildern, erfährt die Bevölkerung jeweils mit etwas Vorlauf, was verkündet werden wird. Das ist dann jeweils angeblich irgendwelchen «Quellen im Bundeshaus» zu verdanken. Man stellt sich den Kantinenangestellten, der dem Bundesrat Kaffee bringt, dabei mitlauscht, wenn die Regierung Geheimes berät und dann sofort zur nächsten Telefonzelle rennt, förmlich vor.
Gemäss der Quelle sollen bald alle Läden ausser den Grundversorgern wieder geschlossen werden, Homeoffice wird Pflicht, und wer doch im Büro sitzt, muss Maske tragen, auch wenn er mit seinem Gschpänli auf der Fläche eines Fussballfelds sitzt. Nur noch zehn Personen aus höchstens zwei Haushalten dürfen sich privat treffen, und auch unter freiem Himmel können sich nur noch zehn Leute ballen. Das sei das Mimimum, hat der Kaffeeservierer den Medien eingeflüstert, als nächstes kommen Hotels, Skigebiete, Coiffeure und so weiter dran.
Das jedenfalls wolle Bundesrat Alain Berset am Mittwoch dem Gremium vorschlagen. Und weil dieses bisher noch immer gemacht hat, was er sagte, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es anders kommt.
Das alles klingt bekannt. Eine wohltuende Konstanz in schweren Zeiten sozusagen.
Apropos Konstanz: Die weisen auch Berset und seine Kolleginnen und Kollegen auf. Konsequent verordnen sie Massnahmen, deren Wirksamkeit völlig offen ist. Schlägt etwas nicht ein wie gewünscht, dann wird einfach ein bisschen mehr vom Selben verordnet. Es ist, als wollte einer mit einem Stück Schaumstoff einen Nagel in eine Betonwand treiben, und wenn es nicht klappt, holt er grösseren Schaumstoff. Kontakte reduzieren, der heilige Gral der Task Force, steht über allem. Auch wenn quer über den Globus längst erwiesen ist, dass das Virus auch dann bleibt - oder eben einfach danach zurückkehrt.
Wie lange der Spuk dauern soll, ist nicht überliefert. Es spielt allerdings auch keine Rolle. Denn erfahrungsgemäss ist auch nach Abschluss des Lockdowns die Lage schon bald wieder ganz furchtbar schlimm, und alles beginnt von vorne.
Was fehlt in der Liste der ominösen Quelle ist ein Wort über die wirklich gefährdeten Personen, eine klar umrissene Gruppe von Menschen: Alte mit Vorerkrankungen. Sie sollen gewissermassen indirekt geschützt werden: Ist das Virus vor den Toren des Alters- oder Pflegeheims ausgemerzt, kann es auch nicht mehr reinkommen, so die Idee. Eine Idee, die direkt den bekannten Geschichten der Schildbürger entnommen sein könnte. In einer globalen Gesellschaft kann man auch die gesamte Bevölkerung zur wochenlangen Isolation verdonnern und wird danach den Virus doch wieder begrüssen dürfen. Dieses einfache Grundgesetz wird ausgeblendet, um Zahlen temporär frisieren zu können. Ganz einfach, weil die Mitglieder der Task Force besser schlafen, wenn der sogenannte Reproduktionswert tiefer ist.
Ein teurer Schlaf für Gesellschaft und Wirtschaft.
Aber sehen wir es positiv. Nach bald einem Jahr des blinden Herumexperimentierens mit Massnahmen könnte dieser nächste grosse Schritt einigen Leuten die Augen öffnen. Irgendwann merkt jeder, dass es sich nicht einmal die reiche Schweiz leisten kann, den Schalter pausenlos auf «on» und «off» zu drücken. Vor allem, wenn die Bevölkerung zur Mehrheit geradezu vorbildlich mitspielt und sich danach doch anhören muss, dass es nicht besser geworden sei und es «noch strengere Massnahmen» brauche. Die Haut der Leute wird dünner und damit auch die Luft für den Bundesrat.
Ein Unternehmen, das seit einem Jahr im Wesentlichen eine Strategie verfolgt und sieht, dass sie nicht einschlägt, wird umschwenken. Aber der Bundesrat ist kein Unternehmen. Er ist eine Ansammlung von themenfernen Personen, die sich auf den Rat von Experten verlassen müssen. Diese wiederum suhlen sich im Gefühl, gebraucht zu werden und wollen nicht, dass das aufhört. Mehr, mehr, mehr, auch wenn jeder Wirksamkeitsnachweis fehlt: Nur so bleiben ihnen die ständigen Auftritte vor den Kameras erhalten.
Und beklagt man sich darüber, dann gibt es immer besonders intelligente Zeitgenossen, die darauf hinweisen, dass es «anderswo noch schlimmer» sei, in Deutschland beispielsweise. Es gibt Schweizer, die dankbar dafür sind, dass man ihnen noch die relative Bewegungsfreiheit lässt.
Was uns zur Frage führt, die wir schon einmal gestellt haben: Was macht dieses Land, wenn einmal eine wirkliche Katastrophe eintreten sollte?
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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