Der Bundesrat läutet den Kampf um die zweite Abstimmung zum Covidgesetz ein. Er konzentriert sich dabei vor allem auf die Bedeutung der Zertifikatspflicht für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben. Eine Verdrehung der Realität.
Im Juni 2021 wollten rund 40 Prozent der Stimmenden den eingeschlagenen Weg des Bundesrats in der Coronasituation stoppen. Eine beachtliche Zahl, wenn man die damalige Lage betrachtet. Unermüdlich paukte der Bundesrat dem Stimmvolk ein, ein Nein zum Gesetz würde die Wirtschaftshilfe verunmöglichen. Das Argument stach bei einer Mehrheit. Dies, obwohl stets klar war, dass man die Unterstützung für Unternehmen – die ja nur «dank» der Politik des Bundesrats in Schieflage geraten waren – von den anderen Fragen sauber hätte trennen können.
Am 28. November 2021 funktioniert das nicht mehr. Dennoch hat der Bundesrat gute Karten, dass das Covidgesetz auch die zweite Hürde an der Urne überspringt. Eine Mehrheit der Stimmberechtigten ist geimpft und stolzer Besitzer eines Covidzertifikats und damit in der Lage, einen normalen Alltag zu verbringen. Wie motiviert sind diese Leute noch, an der Zertifikatspflicht zu schrauben? Diese müsste bei einem Nein zum Gesetz ab Frühjahr 2022 Geschichte sein, aber gleichzeitig dürfte das Interesse vieler daran in den kommenden Wochen noch sinken.
Dennoch scheint sich der Bundesrat des Siegs noch nicht gewiss und gibt Vollgas. Es wird, anders als im Juni, aber immer noch unverhohlen, Angst gemacht. Diese kann inzwischen nicht mehr mit der Frage der Volksgesundheit entfesselt zu werden, dafür ist die Lage dort viel zu entspannt. Also geht es darum, zu erklären, dass die Schweiz auf anderen Ebenen bis auf Weiteres nur mit der Zertifikatspflicht funktionieren kann. Und die werde man ja sowieso abschaffen, sobald es möglich sei.
Das ist schwer zu glauben angesichts der Tatsache, dass es die Zertifikatspflicht gar nie gebraucht hätte und ihre Dringlichkeit nur durch die Beschallung durch dieMedien mit Panikschlagzeilen über überfüllte Spitäler, immer jüngere Opfer und dem Schreckgespenst «Long Covid» vermittelt werden konnte.
Einiges, was an der heutigen Information des Bundesrats gesagt wurde, schrammt an der nackten Absurdität vorbei. Das Covidgesetz schaffe die gesetzliche Grundlage dafür, dass der Bund die Kosten für Covid-Tests übernehmen könne, hiess es beispielsweise. Und das, nachdem wir in den vergangenen Wochen stets gehört hatten, die Tests dürften nicht mehr kostenlos sein, das sei unsolidarisch gegenüber den Geimpften. Um Menschen zu einem Ja zu bewegen, wird nun wieder mit der «Hoffnung» auf Gratistests gewedelt. Das ist ein Kunstgriff, der seinesgleichen sucht.
Und dann immer wieder das Argument der Wirtschaft, die das Zertifikat brauche, weil ein Lockdown schlimmer wäre. Eine Massnahme wird begründet mit der Angst vor einer anderen Massnahme, die aber weder notwendig noch sinnvoll wäre. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Studien, die belegen, dass Lockdowns nur schaden und nichts nützen. Und dennoch dienen sie nach wie vor als Knüppel, den man schwenken kann, damit sich das Gegenüber dann doch lieber fürs kleinere Stöckchen entscheidet, mit dem er geprügelt wird.
Ziemlich unverfroren ist es auch, wenn Bundespräsident Guy Parmelin das Covidgesetz praktisch heiligspricht, indem er sagt, wie stark Unternehmen davon profitiert hätten. Profitiert? Mehrere Lockdowns, massive Einschränkungen im Betrieb, alles behördlich verordnet, und wenn es dann etwas Geld an den Schaden gibt, ist das «Profit»? Eine seltsame Auslegung. Niemand in der Wirtschaft hat «profitiert» von den Massnahmen der letzten Monate. Es war wenn schon eine sanfte Linderung in einem Teil der Fälle. Und nichts mehr als selbstverständlich.
Der Bundesrat will weiter machen, er will die Instrumente, die er sich selbst kreiert hat, behalten. Und wird nicht müde, zu behaupten, die Instrumente wieder zur Seite zu legen, sobald das möglich sei. Nur ist er es, der diesen Zeitpunkt definiert. Dass er das im Zweifelsfall nicht tut, dass es eben einfach irgendwie nie möglich ist, endlich aufzuhören, das hat er oft genug gezeigt.
Es bleibt nur der Weg, ihm die Instrumente so weit wie möglich wegzunehmen. Das wäre die Grundlage für Normalität, die den Namen verdient.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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