In der Nähe meines geliebten mittelitalienischen Domizils hat ein Bauer vor Jahren beim Pflügen uralte Metallteile ausgegraben, die sich als Bestandteile einer römischen Reitergruppe entpuppten.
Kunsthistoriker fanden heraus, dass dem Monument, das wohl einen römischen Kaiser mit Familie darstellte, kein langes öffentliches Leben beschieden war. Weil nahezu jeder neue Herrscher die Statuen seiner Vorgänger jeweils subito wegräumte, um sein eigenes Denkmal an deren Stelle zu setzen. Nicht nur in Rom, sondern vor allem auch in der Provinz.
Zweitausend Jahre später sind wir nicht so viel weiter gekommen, wie wir manchmal glauben. Der Zeitgeist wird wieder einmal absolut gesetzt, und die Vergangenheit als Chronik von Verirrungen gelesen. Auch wenn es zwischendurch mal Zeiten mit einem anderen Geschichtsbewusstsein gab. Viele Grössen der Vergangenheit werden heute wieder auf dem Scheiterhaufen der Geschichte verbrannt – oft nicht nur symbolisch: Ihre Statuen, von Abraham Lincoln (Sklavenbesitzer!), Churchill (Rassist und Antisemit!) oder Alfred Escher (Kapitalist, Profiteur weltweiter Ausbeutung!) sollen vom Sockel gerissen und zerstört werden. Die Gründe, weshalb unsere anscheinend allesamt geistig verirrten Vorfahren ihnen Denkmäler setzten, interessieren nicht mehr. Sie mögen mitsamt den Statuen zur Hölle fahren.
Man fragt sich, was schlimmer ist: Das Unverständnis für die eigene Geschichte, das sich da offenbart. Oder die irrige Vorstellung, der gerade herrschende Zeitgeist werde bis in die fernste Zukunft auch jener unserer Nachkommen sein. Es ist noch nicht so lange her, da hat ein brillanter US-amerikanischer Intellektueller, Francis Fukuyama, das «Ende der Geschichte» ausgerufen. Er hat inzwischen selbst erkannt, dass sich die Geschichte nicht an seine Schlussfolgerungen hielt.
Wer als denkmalstürzender Aktivist missliebige Namen aus der Geschichte tilgen möchte, erhöht das Interesse an der dargestellten Person für kurze Zeit. Danach verschwindet diese aus dem Bewusstsein. Dann dient sie auch nicht mehr als Anlass, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Man möchte dem Bilderstürmer daher zurufen: Denk mal!
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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