Roger Köppel hat in seiner täglichen Sendung «Weltwoche daily» eine seit Corona sprunghaft gestiegene Fangemeinde um sich versammelt - unter ihnen auch sehr viele Impf- und Massnahmenkritiker. Bis vor wenigen Tagen. Jetzt fühlen sich viele von ihm verraten. Den politischen Gegner freut’s.
Kein Zweifel - Roger Köppel ist ein Phänomen, eine markante Persönlichkeit und ein Ausnahmetalent im Journalismus. Wie er es schafft, jeden Morgen um 6 Uhr 30 eine gute halbe Stunde lang praktisch druckreif, brillant und mit philosophischem Touch die aktuelle politische Lage zu kommentieren, ist jedesmal wieder beeindruckend. Das macht ihm keiner nach.
Er hatte schon vorher ein zahlreiches Publikum, das ihm jeden Morgen begeistert folgte. Doch seit ein Virus die Welt im autoritären Griff hat, erweiterte sich seine Zuhörerzahl von Tag zu Tag. Sie reicht inzwischen bis weit nach Deutschland und Österreich hinein. Durch seine mutige, regierungskritische Haltung - die auch seine Zeitung, «Die Weltwoche» auszeichnet - hat sich Roger Köppel viele neue Sympathien erworben.
Selbst Zeitgenossen, die vorher nichts von ihm wissen wollten, weil er ihnen zu «rechts» war, strömten ihm zu. Als Folge der Corona-Massnahmen hatte sich ihr politisches Weltbild verändert. Mit Erschrecken hatten sie zusehen müssen, wie sich Linke und Grüne hinter die diktatorische Politik der Behörden und ihrer Experten stellten – und mit Erstaunen mussten sie gleichzeitig anerkennen, dass Roger Köppels Partei, die SVP, als einzige politische Kraft die Massnahmen kritisierte. Auf diese Weise konnte der Weltwoche-Chef fast die gesamte Bewegung der Corona-Skeptiker für sich und sein Credo gewinnen, und viele von ihnen hören ihm inzwischen sogar dann mit Interesse zu, wenn er seine Haltung zu Klimawandel und Migration formuliert.
Derselbe Köppel jedoch - der auch wohltuend selbstironisch argumentieren und über sich lachen kann - betont bei jeder Gelegenheit, dass er nie nur JA, sondern immer JA ABER sagt. Gerade deshalb ist er auch mir sympathisch, weil das «Ja, aber» auch mich schon seit je her begleitet hat. Seine Rolle des «advocatus diaboli», in deren Glanz er sich gerne spiegelt, hat meinen grössten Respekt. Selbst als er so weit ging und in der «Weltwoche» dem chinesischen Botschafter die Gelegenheit gab, Chinas Politik aus chinesischer Sicht zu schildern, fand ich das interessant. Was der Botschafter schrieb, tönte zwar wie Propaganda, aber falsch kann es nie sein, aus erster Hand erfahren zu wollen, was die andere Seite sagt.
Diese Woche nun hielt es der Advokat des Teufels offenbar an der Zeit, demonstrativ zu bekunden, dass er nicht per se zu den Impf- und Massnahmekritikern zählen will. In seiner täglichen Morgensendung erklärte er wörtlich: «Die Ungeimpften müssen sich mit Fakten konfrontieren lassen. Sie müssen einfach sehen, dass wir es im Moment mit einer Pandemie der Ungeimpften zu tun haben.»
Und er gab den Corona-Skeptikern, die ihn schon fast für einen der Ihren gehalten haben, mit dem Mahnfinger zu bedenken: «Wenn die Zahlen steigen, hat der Bundesrat sehr bald wieder eine Mehrheit für Einschränkungen, für Lockdowns oder für Teillockdowns.» Wer gegen das Impfen sei, dürfe das nicht vergessen.
Die Sätze könnten fast wörtlich einem Kommentar der Mainstreammedien entnommen sein - denselben Medien, die von Köppel täglich gegeisselt werden, weil sie so staatstreu und unkritisch sind. Dass die von ihm ständig Geprügelten natürlich sofort und genüsslich zitierten, was er da plötzlich gesagt hatte, ist ihnen nicht zu verdenken.
Die Entrüstung der Massnahmenkritiker liess – ebenso verständlicherweise - nicht auf sich warten. Auf YouTube, wo «Weltwoche daily» täglich zu sehen und zu hören ist, ebenso wie auf Facebook und Telegram verdichteten sich die kritischen und enttäuschten Stimmen zu einem zornigen Shitstorm, und viele erklärten bereits, von Köppel nichts mehr wissen zu wollen. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass der unverwüstliche Moderator in den vergangenen Tagen allzu ausführlich und allzu repetitiv vom Wahlkampf in Deutschland und von Joe Bidens «Waterloo» in Afghanistan sprach - und zu wenig von dem, was uns hier in der Schweiz beschäftigt.
Er, der so angriffslustig im Austeilen ist, schien von der heftigen Reaktion eines Teils seiner Zuhörerschaft aber doch ein wenig betupft zu sein. Anstatt sich dem Vorwurf zu stellen, er stütze sich nur auf Mainstream-Informationen, degradierte er den Konflikt um die Impfung zum «Glaubenskrieg» und plädierte wie der Pfarrer von der Kanzel herab für Versöhnung. Er unterstellte damit den Massnahmekritikern, nicht mit Fakten, sondern mit Glaubenssätzen zu argumentieren, und warf sie mit den Impf-Fanatikern kurzerhand in denselben Topf.
Damit noch nicht genug. In seiner Sendung vom Freitag kam er auf einen Beitrag von Manuel Battegay im «Tages Anzeiger» zu sprechen. Battegay – Infektiologe, Chefarzt im Universitätsspital Basel und ehemaliges Mitglied der Corona-Taskforce des Bundes – gilt als prominenter Impfpropagandist und bezeichnete die Corona-Impfung in seinem Artikel einmal mehr als unerlässlich und sicher.
Was sagt nun Köppel zu Battegay? Ohne dessen Rolle und dessen Interessen irgendwie einzuordnen, liest er aus Battegays Text ganze Abschnitte vor, zitiert kommentarlos, die Studien über die neuen Impfstoffe seien «an Sorgfalt und Transparenz nicht zu überbieten» und übernimmt ebenso blauäugig die umstrittene Aussage, dass vorwiegend Ungeimpfte hospitalisiert seien und dass diese Ungeimpften ein 25 bis 50 Mal höheres Risiko als Geimpfte hätten, an Covid schwer zu erkranken.
25 bis 50 Mal! Kein kritisches Wort, dass Zahlen geduldig sind und dass es ebenso viele, vom Mainstream verschwiegene Studien und Fakten gibt, die zu ganz anderen Schlüssen kommen. Im Gegenteil: Köppel rühmt den Basler Chefarzt geradezu, wie er «in ruhiger und sachlicher Art» für «Aufklärung» sorge. Als ob eine ruhige und sachliche Art der geringste Beweis für die Richtigkeit von Behauptungen wäre.
Das einzige, was den Weltwoche-Chef an Battegays «Aufklärung» stört, ist der fehlende Hinweis auf die grosse Zahl von offenbar ungeimpften, an Covid erkrankten Migranten, die die Betten in den Spitälern besetzen. Ein etwas schäbiger Versuch, anstelle der impfkritischen Schweizer die ungeimpften Migranten zum Sündenbock zu erklären. Ausländerinnen und Ausländer, die gerade auch im Gesundheitswesen wertvolle Arbeit leisten, haben dieselbe Berechtigung wie wir Einheimischen, sich nicht impfen zu lassen.
Viele von Köppel Enttäuschte werden sich jetzt natürlich die Frage stellen, warum er so plötzlich zum Wendehals wurde? Hat er uns nicht nicht nur enttäuscht, sondern GEtäuscht?
Wenn ein Widerspruchsgeist wie Köppel «Ja, aber» sagt, dann tut er das nicht nur, weil er diabolische Lust verspürt, sein Publikum mit dem «Aber» zu provozieren. Was er sagt, das findet er wirklich, und ich schätze seine ehrliche, offene Art - auch deshalb, weil er Irrtümer selbstkritisch zugeben kann. Roger Köppel ist für mich ein Mensch, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Und, ganz wichtig: er hat Humor.
Doch als Intellektueller lebt in ihm auch ein Kopfmensch, der sich von «Experten» beeindrucken lässt. Nur so ist es zu erklären, dass er einem OberExperten wie Battegay auf den Leim kriecht. Denn etwas verbindet die beiden: Sie sind beide Akademiker, und wenn sie sich treffen, wissen sie voneinander, dass sie – trotz weltanschaulicher Unterschiede – die gleiche Sprache sprechen.
Aus seiner freiheitlich-politischen Haltung heraus ist Roger Köppel zwar ein klarer Massnahmenkritiker, als Akademiker jedoch respektiert er, was «die Wissenschaft» sagt und bekennt sich offen zur Impfung. Und wer sich einmal geimpft hat, kann sich nicht ständig davon distanzieren. Der Mensch, auch wenn er Köppel heisst, will mit sich selber im Reinen sein. Also wird er versuchen, seine Entscheidung vor sich selber zu legitimieren. Selbst ein kritischer Geist wie Köppel redet sich deshalb ein: Die Impfung ist sicher. Und wenn ihm ein Battegay dies bestätigt, dann geht er damit sogar hausieren.
Der Chefredaktor der «Weltwoche» ist aber nicht nur ein Journalist, der sich bemühen muss, nach allen Seiten hin offen zu sein – er ist auch Politiker. Er ist Nationalrat der SVP, gewählt mit dem besten Ergebnis, mit dem ein Parlamentarier im Kanton Zürich jemals gewählt wurde. Er wurde gewählt und wiedergewählt von SVP-Wählern und er wäre – bis vor wenigen Tagen zumindest - auch von den meisten Coronamassnahmen-Skeptikern im Kanton Zürich gewählt worden. All diesen Menschen gegenüber, finde ich, hat Roger Köppel eine Verpflichtung. Deshalb wünsche ich ihm, dass er seine Worte auch auf «Weltwoche daily» sorgfältig abwägt und dass er es dem politischen Gegner nicht derart leicht macht, missbraucht zu werden. Denn die Worte Köppels haben Gewicht. Das zeichnet sie aus - und gefährdet sie.
Noch ein letzter Satz. Jeder Advocatus diaboli muss auf der Hut sein, sich von seinem eigenen Wesen nicht verführen zu lassen. Meistens ist es richtig und wichtig, JA ABER zu sagen. Meistens zeugt es von Weitsicht, Vorbehalte zu haben. Aber manchmal - in rauen Zeiten wie jetzt - braucht es ein entschiedenes JA.
Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. Neben dem Schreiben gestaltet er freie Trauungen und Abdankungen. Der Schriftsteller lebt mit seiner Familie in Wald und Segnas.
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