Wenn der Rorschacher Stadtpräsident Thomas Müller sein Amt abgibt, könnte einer als Kandidat für die Nachfolge antreten, der Müllers exaktes Gegenteil verkörpert. Rorschach steht vor einer Richtungswahl.
«Du beleidigst unablässig Menschen.» Diesen Satz schrieb Guido Etterlin vor fast exakt einem Jahr, am 18. September 2017. Mit «Du» gemeint war der Rorschacher Stadtpräsident Thomas Müller. Etterlin ist Stadtrat und Schulratspräsident von Rorschach. Es ist ein spezieller Umgangston zwischen Amtskollegen.
Anlass für den «offenen Brief» des SP-Politikers Guido Etterlin - er sitzt auch im Kantonsrat - waren diverse Äusserungen von Thomas Müller in der Öffentlichkeit. Der begnadete Provokateur der SVP hatte in jener Phase zielsicher in verschiedenen Interviews Grenzen überschritten und damit seine üblichen Kritiker auf den Plan gerufen.
Und dieses Mal auch ein Mitglied «seines» Stadtrats. Es ist denkbar unüblich - und denkbar selten - dass ein Mitglied eines politischen Gremiums einem Amtskollegen in dieser Weise an den Karren fährt.
Zumal Etterlin nicht nur Müllers Wortwahl kritisierte. Zwischen den Zeilen ist in seiner Stellungnahme auch zu lesen, dass er die Bilanz des Stadtpräsidenten für dürftiger hält als dieser selbst. Wenig verklausuliert suggeriert er, dass sich Müller mit Federn schmückt, die andere verdient haben.
Als Beispiel führt er die Ansiedlung des Würth-Konzerns in Rorschach an. Müller verweist auf diesen Coup, wenn es um seine Leistung geht, Etterlin schreibt mit Bezug auf einen Anlass zu Ehren von Reinhard Würth: «Du standest nicht auf dem Podium.» Die Ansiedlung sei dank der Wirtschaftsförderung des Kantons möglich gewesen. Zwar schiebt der Stadtrat nach, Müller «und viele andere» hätten «nach besten Kräften mitgewirkt», aber die Aussage ist klar.
«Du behauptest unablässig, ohne dich hätte sich in Rorschach nichts bewegt» schrieb Etterlin weiter vor einem Jahr. Auch hier ist die Aussage klar: Der Schulratspräsident teilt den Eindruck nicht.
Und das alles ist vor einem Hintergrund interessant: Guido Etterlin werden Ambitionen nachgesagt, Thomas Müller zu beerben. Das wäre nichts als logisch. Mit 51 ist Etterlin im besten Alter für das Stadtpräsidium, als amtierender Stadtrat und Kantonsrat hat er beste Voraussetzungen für seine Kandidatur. Dazu kommt seine frühere Tätigkeit als Goldacher Gemeinderatsschreiber: Er kennt auch die Verwaltung. Das Profil stimmt.
Allerdings: Sollte Etterlin antreten, tut er das kaum alleine. Müller selbst wird besorgt sein, dass es eine Kandidatur in seinem Geist gibt - rechts der Mitte. Und dann sprechen wir nicht länger von einer Personenwahl, sondern von einer Richtungswahl. Etterlin steht für alles, was der Politik von Müller entgegensteht.
Zwar betont der SP-Stadtrat, er arbeite im Interesse der Stadt gut mit dem Stadtpräsidenten zusammen. Aber die Frage ist doch, wie fruchtbar die Zusammenarbeit ist, wenn er Müller gleichzeitig öffentlich «menschenverachtende Äusserungen» unterstellt. Man muss kein Psychologe sein, um zu schliessen, dass die beiden kaum gemeinsam Ferien machen.
Die SP, die Partei von Guido Etterlin, ist eine regelrechte Yo-Yo-Partei. Mal kippt sie ganz aus dem Stadtrat, mal ist sie dort hoffnungslos übervertreten. Was Parteistärken angeht, ist eine Prognose bei einem Zweikampf zwischen Etterlin und einem bürgerlichen Kandidaten völlig unmöglich.
Die Frage ist nur: Sind die Rorschacherinnen und Rorschacher zufrieden mit der Politik des amtierenden Stadtpräsidenten? Sind sie es nicht, ist ein Umschwenken auf den «Anti-Müller» die logische Konsequenz. Sind sie es aber, wäre es ein verwegener Schachzug, auf den Mann zu setzen, der eine Art Gegenprogramm zu Müller verkörpert.
Erst gerade bekannt geworden als Kandidat fürs Stadtpräsidium ist der Thaler Gemeindepräsident Robert Raths. Der FDP-Mann dürfte, auch wenn Mitglied einer bürgerlichen Partei, nicht ganz dem Profil des Amtsinhabers entsprechen. Weitere Namen sind noch nicht bekannt. Etterlin ist für Wettfreudige wohl ein relativ sicherer Tipp.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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