Das böse Wort vom Fachidiotismus hat illustre Eltern. Der deutsche Schriftsteller Jean Paul und der Philosoph Karl Marx verwendeten es als Erste.
Ein Epidemiologe heisst so, weil er etwas von Epidemien versteht. Ein Virologe heisst so, genau, kapiert. Ein Gesundheitsminister heisst so, weil er etwas von Gesundheit versteht? Leider nein. In Deutschland ist Jens Spahn Berufspolitiker und Politikwissenschaftler. In der Schweiz ist Alain Berset Berufspolitiker und Politikwissenschaftler.
Macht ja nix, kann man sagen, Politiker sind doch Generalisten, müssen am Schluss Entscheidungen treffen, dafür holen sie sich Fachkenntnisse ab. Richtig, aber: In der Schweiz ist das das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Eine Behörde, die bei der Umsetzung vorliegender Pandemiepläne versagt hat. Eine Behörde, die noch Ende Februar die Pandemie kleingeredet hat und weitergehende Massnahmen als unnötig ausschloss.
Schliesslich eine Behörde, bei der über 600 Beamte in Lohn und Brot stehen. Was machen die eigentlich den lieben langen Tag, natürlich begrenzt von den Amtsstunden? Sie sorgen für «ein bezahlbares Gesundheitssystem», schützen die öffentliche Gesundheit und entwickeln eine Gesundheitspolitik. Nun, was das bezahlbare Gesundheitssystem betrifft, was eher unbezahlbare Prämien verursacht und das zweitteuerste der Welt ist, ist der Erfolg der BAG-Beamten überschaubar.
Aber mit Hilfe der Medien ist der BAG-Pensionär Daniel Koch zum «Kult» geworden, zum Star, der «die Nation mit stoischer Gelassenheit durch die grösste Krise» führt, wie ihn das Schweizer Farbfernsehen anhimmelt. Ist das so?
Unterstützt wird er durch telegene «Experten». Genauer durch einen. Wer mediale Aufmerksamkeit will, muss zuerst Konkurrenten wegbeissen. So hat sich Allan Guggenbühl die Pole-Position erobert, wenn es um Fragen geht, die mit Jugendlichen zu tun haben. Bei der aktuellen Krise ist das Marcel Salathé gelungen. Im anfänglichen Wettbewerb, wer erschreckendere Prognosen abgibt, schwang er oben aus. Daher finden wir im Medienarchiv seit Januar 2020 rund 1000 Treffer für ihn. Das sind fast 1000 mehr als in den zehn Jahren bis 2020.
Im Gegensatz zu Koch kann er auch einen Satz stammelfrei in die Kamera sagen, also beste Voraussetzungen, der Fachexperte der Wahl zu sein. Nur hat Salathé zwei Probleme. Er muss, angesichts dramatisch sinkender Zahlen von Neuinfektionen und einer Mortailtät, die alle Horrorszenarien von Anfang März Lügen straft, seine damaligen Aussagen wieder einfangen.
Noch weniger möchte er sicher an Aussagen erinnert werden wie die, dass er noch Ende Februar fröhlich sagte, dass er seiner «im April geplanten Italienreise gelassen entgegen» blicke. Nun kann sich natürlich auch der Fachidiot täuschen, das ist menschlich. Nur: Wenn fachfremde Politiker sich auf Gesundheitsbeamte verlassen, wenn die Meinung eines Experten die öffentliche Debatte beherrscht, abweichende oder kritische Stimmen nicht vorkommen, ist die Entscheidungsfindung dann optimal? Vor allem, wenn es nicht um neue Impfungen für Kanarienvögel geht oder Vorschriften zur Entsorgung von Hundekot, sondern um einen nie dagewesenen Notstopp von Wirtschaft und Gesellschaft.
Was wäre da mit der Meinung von Professor Karin Mölling, immerhin ehemalige Leiterin des Instituts für Medizinische Virologie an der Uni Zürich? Die sagt, dass «die Krankheit nicht so schlimm wie Influenza» sei. Natürlich kann auch sie sich täuschen, so wie ein anschwellender Chor von Koryphäen, Wissenschaftlern, Nobelpreisträgern, die sich kritisch zu diesem Lockdown äussern. Nur: Sie kommen in der öffentlichen Debatte nicht vor. Vielleicht mit Ausnahme von Beda Stadler, aber einen Querdenker und nützlichen Fachidioten, der gegen den Mainstream schwimmt, den verträgt es, so wie es früher den Hofnarren vertrug.
Ist es nicht so, dass wir im Blindflug in diesen Totalcrash der Wirtschaft hineingestolpert sind, dessen Schäden zurzeit mit sperrangelweit geöffneten Geldschleusen zugeschüttet werden? Ist es nicht so, dass wir nun genauso ohne erkennbares Konzept die Wirtschaft wieder anwerfen wollen? Begleitet von Warnungen vor einer «zweiten Welle», vor einem Wiederanstieg der Zahlen. Geäussert von den gleichen Fachidioten, die zuerst die Pandemie unvorbereitet ignorierten, dann kleinredeten und dann ansatzlos in den Alarmmodus verfielen.
Da haben Politiker und Fachidioten etwas gemeinsam: Sie regieren und bestimmen zwar, aber Verantwortung, Verantwortung übernehmen andere. Die ungefragt Regierten.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.