Zuerst meldete sich die Dreckschleuder bei den Zeitungen des CH Media-Verbunds. Diese sprachen in ihrem Bericht allerdings nur von einer Aussage von SRF-Fussballkommentator Sascha Ruefer, welche für viel Wirbel sorge.
Ungewöhnlich anschaulich wird hingegen der Kontakt mit dem Informanten beschrieben: «Die Stimme am Telefon klingt aufgeregt: 'Damit es klar ist, dieser Anruf hat nie stattgefunden! Aber es würde sich lohnen, dieser Sache einmal nachzugehen.'»
Auch bei der NZZ versuchte dieser Ende März offenbar sein Glück, blitzte dabei aber ab, wie das Medienportal persoenlich.com zu berichten wusste.
Ganz anders hingegen die linke Wochenzeitung WoZ. Dankbar publizierte sie Sascha Ruefers Satz «Granit Xhaka ist vieles, aber er ist kein Schweizer» im Wortlaut - in Erwartung eines Primeurs, der ihr damit ja auch glückte.
Dies allerdings nicht ohne Ungereimtheiten: Zuerst sprach die Zeitung davon, dass Sascha Ruefer diesen Satz gesagt haben soll. Nur um zu konkludieren: Der Satz, den Sascha Ruefer aus der Dokumentation entfernen liess, war klar rassistisch. Etwas, dessen Existenz soeben noch mit Zweifeln behaftet war, wurde also im Handumdrehen zu einer unumstösslichen Tatsache erklärt - ohne dass der Redaktor aufzeigt, warum.
Auch sonst orientierte er sich eher an den Tricks eines Strassenfussballers als an journalistischen Massstäben. Beim Fussball gilt die Devise: Sich hinlegen und schreien - in der Hoffnung, dass der Schiedsrichter pfeift. Denn Foul ist bekanntlich, wenn der Schiri pfeift.
Genauso agierte auch die WoZ: Ohne die Umstände und den Kontext des Satzes zu kennen, schrie sie auf gut Glück einmal Rassismus - und hatte damit den gewünschten Erfolg. Andere Zeitungen, die sich in dieser Angelegenheit sportlicher verhielten, hatten dabei das Nachsehen.
War es bei CH Media noch ein Informant, erfuhr die WoZ den Sachverhalt gemäss eigenen Angaben bereits von «Beteiligten» - also einer Mehrzahl von Personen. Ob sich diese auch real vervielfacht haben - und wer noch dazu gekommen ist, dazu sagt die WoZ allerdings nichts.
Zum Thema «Quellenbearbeitung» schreibt der Schweizer Presserat, die autoproklamierte Selbstregulierungsinstanz der Medienbranche, in ihrer Stellungnahme 24/2015 (betreffend Basler Zeitung): «Es ist nachvollziehbar, dass die BaZ ihren bzw. allenfalls ihre Informanten schützt. Die Transparenz ist jedoch auch bei Wahrung der Anonymität der Informanten so gut wie möglich sicherzustellen. Die BaZ spricht lediglich von Informationen, die ihr vorlägen. Der Leser erfährt nichts Weiteres über diese Quelle und auch nicht, welche Fakten deren Glaubwürdigkeit belegen würden. Angesichts der Schwere der Vorwürfe genügt eine solch pauschale Bezeichnung der Quelle nicht. Ziffer 3 der "Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten" ist deshalb verletzt.»
Angesichts der Schwere des Rassismusvorwurfs gilt dies zweifelsohne auch für den Fall Ruefer, der mittlerweile ja eigentlich ein Fall WoZ ist.
In der Stellungnahme 34/2014 führt der Presserat noch etwas detaillierter aus, wie eine solche Benennung der Quellen zu erfolgen habe. Anstatt die Quellen anonymer Vorwürfe einfach als «andere Leute aus der Schiff-Szene» zu bezeichnen, empfehle es sich, «ein Schiffshändler» oder «ein Mitarbeiter einer Schifffahrtsgesellschaft» zu schreiben.
Angewendet auf den Fall Ruefer: Ob der Informant im Fussballverband, beim Fernsehen oder in der Produktionsfirma des Films arbeitet. Dies wäre sauberer Journalismus.
Präsidentin des Presserats ist übrigens die langjährige WoZ-Redaktionsleiterin Susan Boos: Höchste Zeit für sie, auch einmal im eigenen Laden für Ordnung zu sorgen, anstatt bloss Andere zu massregeln.
Doch auch andere Medien bekleckerten sich in dieser Angelegenheit nicht gerade mit Ehre. Kaum hatte die WoZ die Katze aus dem Sack gelassen, veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» ein Elaborat mit dem Titel «Ohne Gegenbeweis ist SRF-Reporter Sascha Ruefer kaum zu retten».
Tenor des Artikels: Wenn SRF den Kontext des Satzes nicht endlich offenlege, dann müsse Sascha Ruefer als Fussball-Kommentator wohl gehen. Mehr als nur ein bisschen nötigend. Droht eine Privatperson damit, bei Missachtung ihrer Forderungen in den Medien über jemanden herzuziehen, setzt es auch schon mal eine Verurteilung ab. Zum Beispiel wegen Erpressung für eine ehemalige Gespielin von Bundesrat Berset.
Sich selbst in die Leserdiskussion zu einem Artikel einzuschalten ist für einen Journalisten meist keine gute strategische Entscheidung. Einem Kommentator, der monierte, dass in einem Rechtsstaat nicht der Angeschuldigte seine Unschuld, sondern der Ankläger dessen Schuld beweisen müssen, entgegnete TA-Redaktor Ueli Kägi unfreiwillig entlarvend: «Natürlich haben sie theoretisch echt und niemand muss bei uns seine Unschuld beweisen. Faktisch sehe ich den Fall aber so, dass Ruefer vorverurteilt wird [...] Um Sascha Ruefer vom Druck zu befreien, würde es helfen, diesen Zusammenhang öffentlich zu machen.»
Die Frage sei erlaubt: Wer vorverurteilt? Woher kommt dieser Druck?
Die Wochenzeitung WoZ wird gerade einmal von einem Prozent der Bevölkerung gelesen - gemäss offiziellen Zahlen. Die Auflage ist nochmals viermal kleiner. Zehnmal kleiner als die einer durchschnittlichen Sonntagszeitung. Was eine WoZ schreibt, fliegt also weitgehend unter dem Radar und erzeugt dementsprechend wenig Druck - ausser andere Zeitungen greifen das Thema auf.
Druck und Vorverurteilung geschehen nicht einfach wie das Wetter - sondern werden von den Medien selber kreiert. Hätte keine der grossen Tageszeitungen auf die WoZ-Geschichte reagiert: sie wäre des leisen Todes der Nichtbeachtung gestorben.
Mit seiner eigenen Berichterstattung schufen Tages-Anzeiger und andere Zeitungen erst den Druck, von dem sich zu befreien man dem Angeschuldigten grosszügigerweise anbietet: Der vorgebliche weisse Ritter hat selber eine ordentlich schmutzige Weste.
So wird ein Medienskandal kreiert. Die Dummen sind einmal mehr diejenigen, die das journalistische Handwerk ernst nahmen und ihre Artikel nicht auf dubiose Quellen, blosse Vermutungen und das Abschreiben von Artikeln anderer Zeitungen abstützen.
Es ist zu hoffen, dass Sascha Ruefer seine Ankündigung wahr macht und juristisch gegen die WoZ vorgeht. Und diese dort bestraft wird, wo es am meisten weh tut: im Geldbeutel. Leisten kann sie es sich: Gerade wurden die Löhne der Redaktionsmitarbeiter um über 10 Prozent erhöht. Zu viel für schlechten Journalismus.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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