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SRG-Krisen- und Abbruchkommunikation

Der Fettnapf-Tango von Nathalie Wappler

In der Krisenkommunikation gibt es immer den Anspruch, einen Reputationsschaden so gering wie möglich zu halten. Deshalb ist das oberste Ziel, eine Krise so diskret wie möglich hinter den Kulissen abzuarbeiten. Was leider nicht immer gelingt.

Huber & Senn am 10. Oktober 2020

Denn bei vielen Ereignisfällen ist schon von Beginn an klar: Das wird nicht ohne öffentliche Aufmerksamkeit abgehen. Zum Beispiel, wenn die SRG hohe Millionenbeträge sparen möchte, dafür Sendungen streicht und Personal entlassen muss. Da ist dann öffentliche Kritik kaum zu verhindern.

Well done oder die Strategie des maximalen Reputationsschaden

Wenn sich öffentliche Aufmerksamkeit nicht vermeiden lässt, gilt als nächstes Ziel, die Debatte schnell über die Bühne zu bringen. Wir haben dieses Jahr einige Krisenmandate begleitet, die zwar in den Medien aufpoppten, aber aufgrund der kurzen Aufmerksamkeitsspanne auch schnell wieder in der Versenkung verschwanden. Der CEO eines Kunden hat uns diese Woche bestätigt, dass nicht einmal in der Woche, als sein Unternehmen in der welschen Tagesschau und im «Blick» mit einem happigen Produktfehler in den Schlagzeilen war, Umsatzeinbussen zu verzeichnen waren. Und wenn man heute nachfragen würde, haben die meisten gar nie von dem Fall gehört. «Well done», würde ein Ami wohl sagen.

Das oberste Kader der SRG praktiziert eine gegenteilige Strategie. Man gewinnt den Eindruck, als hätte sie es nachgerade darauf angelegt, einen maximalen Reputationsschaden zu erzielen. Stellt sich die Frage: Warum?

Kurze Rückschau: Die SRF-Chefin Wappler teilte Mitte August mit, dass sie Sendungen wie ECO oder Sport aktuell oder Art on Ice einstellen wird. Aus Spargründen. Natürlich setzte das öffentliche Haue ab, aber die gibt es immer, wenn SRF etwas ändert. Die Veranstalter von Art on Ice monieren beispielsweise, sie hätten erst eine Stunde vor der Öffentlichkeit von dem Entscheid erfahren.

Verpasste Chancen

Nun, dafür gibt es gute Gründe: Wer schon einmal Krisenkommunikation betrieben hat weiss, dass solche Vorabinformationen immer (innert kürzester Zeit) durchsickern, was natürlich der Sache genau nicht dient. Wie hätte man dieses Problem umgehen können? Den Empörungs-Post des betroffenen Veranstalters auf Facebook hätte man einfach mit einer empathischen Entgegnung auf demselben Kanal kontern können. Zum Beispiel, indem die Direktorin sich entschuldigt, aber auf diesen kommunikativen Umstand aufmerksam macht. Denn der Veranstalter sollte als langjähriger Profi im Showgeschäft die Mechanismen der Medienkommunikation kennen und würde dafür Verständnis aufbringen. Und wenn nicht er, dann mindestens die Mitlesenden auf Facebook. Aber die SRF-Spitze hat diese Chance verpasst.

Damit nicht genug. Mitte September dann der nächste Gau: Eine SRF-interne Analyse wird an mehrere Zeitungsredaktionen geleakt. In der Analyse heisst es, so berichten Zeitungen wie die NZZ (wir haben das Dokument nicht gesehen), dass SRF mit ihrer Mobil-App nur Wachstum auf Kosten der Mitbewerber generieren könne. Die NZZ fasst zusammen: «Im Klartext: Statt 20 Minuten, Tages-Anzeiger oder NZZ sollen die Deutschschweizer SRF lesen.»

Kampfansage

Damit ist der Zapfen natürlich ab. Die Aussage wird von der Schweizer Journaille als Kampfansage wahrgenommen, die Politikerinnen und Politiker des bürgerlichen Spektrums kriegen das erste Mal hochrote Köpfe, reden von Verfassungs- oder zumindest Gesetzesbruch. Die SRF-Führungschat es geschafft, die Medien- und Politlandschaft unmittelbar vor der Kommunikation von weiteren einschneidenden Schnitten maximal gegen sich aufzubringen. Und dies, nachdem Bundespräsidentin Sommaruga des Staatssender den Gebührensack wegen Corona um weitere 50 Millionen auf 1,25 Milliarden Franken erhöht hat.

War’s das? Nein, das muntere Spiel «Wer springt in die grössten Fettnäpfe und wo hat es noch welche» innerhalb der SRG-Führung geht erst richtig los. Letzte Woche, nicht einmal zwei Monate nach der Ankündigung der letzten Sparrunde, verkündet die Direktorin bereits die nächste Sparrunde. Und wieder bleibt sich Wappler treu und wählt die Taktik des maximalen Schadens: Es beginnt damit, dass der SRG-Generaldirektor Gilles Marchand am 1. Oktober ein grosses Interview im Blick gibt. Darin kündigt er an, dass er noch mehr einsparen will, geht dabei aber nicht in die Details. Und öffnet damit Spekulationen Tür und Tor.

Spekulationen sind zu vermeiden

Etwas was man in der Krisenkommunikation tunlichst vermeiden sollte. Nach dem Marchand-Interview wurden gemäss der Schweizerischen Mediendatenbank über 100 Artikel in allen möglichen Zeitungen verfasst; natürlich auch mit den entsprechenden Leserbrief-Kommentaren à la «Hoffentlich wird dann auch auf der Chef-Etage aufgeräumt.» Erfolgreiche Reputationsbewirtschaftung sieht anders aus.

Als die Artikel- und Leserbriefflut dann so langsam abebbt, folgt dann der Hauptschlag: Die in St. Gallen geborene SRF-Direktorin informiert am 6. Oktober darüber, welche Sendungen jetzt auch noch gestrichen werden. «Mini Schwitz, Dini Schwiiz», ein Stich ins Herz des SRF-Stammpublikums.

Und auch die Kulturbranche muss einen Teil der Sparrunde auffangen und büsst dafür die Radio und TV-Sendung «52 beste Bücher» ein. Schriftsteller wie Martin Suter, Sibylle Berg, Peter Stamm, Thomas Hürlimann, Peter Stamm, Adolf Muschg oder Ruth Schweikert verlangten in einem offenen Brief von der SRF-Führung eine Rücknahme des Streichkonzerts. Gleichzeitig bodigt Spar-Ruthli weitere 116 Stellen, die abgebaut werden sollen. Dass die Stimmung bei der SRG nicht eben gestiegen ist, dürfte klar sein.

Es folgen darauf weitere 300 meist negativ gefärbte Artikel, darunter etliche, welche die SRG-Strategie kritisch hinterfragen, weil der mit «Zwangssteuern» und Subventionen gefütterte Staatskonzern seinen Content mehr ins Internet, auf Social Media verlagern möchte, um endlich auch der jungen Generation gefallen zu können

Weitere Schlachtfelder

Gehen wir auf ein weiteres Schlachtfeld, dass die SRG-Führung Kommunikativ nicht vernachlässigen sollte. Die Politiker, die ja für ein staatliches Konglomerat ja durchaus wichtig sein müssten, sind durch die Wapplersche Zweihänder-Strategie erzürnt. Das zeigen die Kommentare der Parlamentarier aus der Fernmeldekommission. Sie haben ihren Statements zufolge wohl auch keine direkte oder persönliche Information dazu erhalten. Nun sind Parlamentarier aber auch nicht eben bekannt, Geheimnisse allzu lange halten zu können.

In der Branche gilt als ausgemacht: Wer ein Thema in die Zeitung bringen will, informiert am besten einen Parlamentarier oder eine Parlamentarierin. Und zwar mit dem Verweis, die Information müsse aber geheim bleiben und dürfe mit niemandem geteilt werden. Wir machen uns dann manchmal einen Spass daraus, mit der Stoppuhr zu messen, wie lange es dauert, bis das Thema als Schlagzeile auf dem ersten Online-Portal erscheint.

Im Takt und gebündelt

Aber zurück zur Sache: Vorinformationen an bestimmte Stakeholder in einer Krise sind heikel, keine Frage. Gute Krisenkommunikation heisst, den Zeitpunkt so gut zu orchestrieren, dass die Öffentlichkeit und die wichtigen Stakeholder möglichst gleichzeitig die nötigen Informationen erhalten, und zwar möglichst aus erster Hand und direkt. Ja, korrekt, das verlangt nach einem hohen Koordinationsbedarf und einem präzise getakteten Kommunikationsfahrplan. Aber wir sagen ja auch nicht, Krisenkommunikation sei einfach.

Und hier noch ein wichtiger Punkt, warum es die Kommunikationsleute im Team um Wappler in den letzten Wochen und Monaten so arg verbockt haben. Krisenkommunikation verlangt, Negativmeldungen zu bündeln. Ein Paukenschlag, ein einziger Zeitpunkt, an dem alle Hiobsbotschaften gleichzeitig veröffentlicht werden. Gesehen in den letzten Tagen bei Coca-Cola (-120), Easy Jet (-70), Flughafen Zürich (-120), Bucherer (-370), Landys & Gyr (-700) Swissport (-500), Sonova (-750), CS (-500), GE (-436) oder Swissotel (-270).

Was ist der Vorteil? Natürlich gibt das einen Aufschrei, aber eben nur einen. Und einige Tage böse Reaktionen, bis wieder Ruhe einkehrt. Also das Gegenteil des Negativ-Campaigning von Wappler und ihrem Team. Sie verfolgen die Strategie, möglichst lange und nachhaltig in den Negativ-Schlagzeilen bleiben zu wollen.

Und man scheint so weiterfahren zu wollen. So wurde dann beispielsweise am Donnerstag durch einen Artikel der CH-Media Gruppe publik, dass SRF auch die Sendung «Netz Natur» absetze, was bislang nicht kommuniziert worden war. Der Blick nahm die Geschichte dankbar auf. Und die nächsten Folgegeschichten sind abzusehen: Spätestens dann, wenn unter den Entlassenen oder Frühpensionierten auch ein Gesicht ist, das man kennt.

Der Tango-Tänzer

Dem Vorgänger von Wappler, Ruedi Matter, sind solche Fehler nicht passiert. Der bei den Journalisten und bei den Mitarbeitern wenig beliebte Basler hat aber seine Stakeholder immerhin eng betreut, mit ihnen kommuniziert und so viele Fettnäpfe «wie ein Tangotänzer» (Aussage eines Politikers) geschickt vermieden. Und er gewann, sein vielleicht grösster Sieg, die Billag-Abstimmung 2018. Ob die aktuelle dies heute mit ihrer Krisen- und Abbruchkommunikation auch schaffen würde? Zweifel sind angesagt.

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Autor/in
Huber & Senn

Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.

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