Der Brüller des Tages: Der CEO des Medienkonzerns Ringier habe zu Corona-Zeiten nur darum intensiven Kontakt zum Pressesprecher von Bundesrat Alain Berset gepflegt, weil er an Hypochondrie leide.
Dies jedenfalls die 'Erklärung' des ehemaligen Chefredaktors diverser Titel im Ringier-Konzern, Peter Rothenbühler, in der SRF-Sendung "Arena". Marc Walder habe derart Panik vor Corona gehabt, dass er sich zu Hause im obersten Stock eingeschlossen habe. Bersets Sprecher Peter Lauener habe angeblich nur versucht, "ihn ein wenig zu besänftigen".
Selbst wenn man - wie wenig plausibel es auch immer sei - Marc Walder zugute halten wollte, dass er alleine deswegen den Austausch suchte, so wird Bersets Kommunikationschef wohl kaum mit ihm kommuniziert haben, bloss weil er ein Hypochonder ist. Oder wie es SVP-Nationalrat Alfred Heer in der Sendung "Club" drei Tage früher sagte: Man müsse sich fragen, warum Lauener mit Ringier-CEO Walder über Corona kommunizierte "und nicht zum Beispiel mit dem Präsidenten des Metzgerei-Fleischfachverbandes". Oder irgendeinem beliebigen Hypochonder, möchte man hinzufügen.
Die gute Nachricht aus Ostschweizer Sicht: Ostschweizer waren in den beiden SRF-Sendungen, in denen letzte Woche die Lecks aus Bersets Departement verhandelt wurden, prominent vertreten. Im "Club" kam die Hälfte der Diskussionsteilnehmer aus der Ostschweiz, in der "Arena" stand der innerrhoder Ständerat Daniel Fässler an einem der vier Pulte.
Ganz anders hingegen der Ton der beiden Sendungen: In "Club" steckte Andrea Caroni (Ständerat AR) gleich zu Beginn das Terrain ab mit seiner Aussage, dass die Indiskretionen "systematisch gemacht" worden seien. Ebenso sprach der St.Galler Ständerat Benedikt Würth in seinem einleitenden Statement gar zweimal von einem "System, einem Muster von Indiskretionen". Der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina hingegen verteidigte Alain Berset mit dem Charme eines Apparatschik aus dem Politbüro der frühen Bolschewiki-Jahre. (Was für einen Ex-Juso wohl ein Kompliment sein dürfte.)
Nach dem hölzern und unvorbereitet wirkenden Fabian Molina - Alfred Herr jedenfalls warf ihm im "Club" zweimal unwidersprochen ein "Musst dich halt besser auf die Sendung vorbereiten, Fabian!" an der Kopf - schickte die SP ihre Sympathieträgerin Jacqueline 'Jacky' Badran in die "Arena", die mit ihrem einleitenden Statement auch gleich einen deutlich anderen Kurs in der Sendung zu setzen vermochte: "Wir müssen das zuerst einmal genau anschauen." Und überhaupt habe es sich bloss um "zwei - zwei! - E-Mails", gehandelt. Genüsslich zitierte sie aus einem alten NZZ-Artikel, in dem stand, dass es eine "Standleitung zwischen 'Tages-Anzeiger' und Berset" gegeben habe - ganz so, als würde das Vorhandensein einer weiteren 'Standleitung' Berset eher entlasten, als zusätzlich belasten.
Der einleitend erwähnte Peter Rothenbühler betrieb hingegen Medienschelte. Er finde "das Ganze, was jetzt passiert ist, ein richtiges Affentheater, wo gelogen wird, wo es von Heuchlern wimmelt, wo von den Medien eine Verschwörungstheorie herumgeboten wird - da schäme ich mich fast für die Medien!" Er sollte wissen, wovon er spricht. Sang der Volksmund doch schon damals: "Blick ist dabei, bei jeder Schweinerei..." Und man möchte hinzufügen: Ringier ist gerade dabei, dem alten Bonmot noch eine zusätzliche Dimension zu verleihen.
"Nebelspalter"-Verleger Markus Somm gebärdete sich dafür als eifriger Verteidiger der Kollegialität - ausgerechnet er, der sich schon immer als Chefredaktor und nie als blosser "Kollege" auf einer Redaktion sah. Das Scheinwerferlicht der "Arena" fördert offenbar so manch schlummerndes Talent zutage.
Das Schlusswort hier gehört - wenig überraschend - wiederum Jacqueline Badran (die ja auch sonst gerne das letzte Wort hat): "Ich bin nicht da, um Alain Berset zu verteidigen. Ich bin da, um Vorverurteilungen zu verhindern." Heilige, tapfere Jeanne d'Arc der Wahrheit!
Die strategischen Implikationen der Affäre blieben dabei während der ganzen Diskussion völlig ausser Betracht. Denn Fakt ist: In diesem Herbst wird in der Schweiz nicht nur das Parlament neu gewählt, sondern es finden darauf im Dezember auch die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats statt. Dabei wackelt nicht nur ein Bundesratssitz der FDP, sondern potentiell auch einer der SP. Sollte Berset im Jahresverlauf zurücktreten und ein Nachfolger gewählt werden, dann dürfte die vereinigte Bundesversammlung es kaum wagen, diesen anlässlich der nächsten Gesamterneuerungswahl des Bundesrats nach bloss ein paar Monaten Amtszeit bereits wieder abzuwählen. Deutlich weniger wahrscheinlich ist es hingegen, dass die Berset-Affäre derart viel Staub aufzuwirbeln vermag, dass sie auch noch die Parlamentswahlen Ende Oktober - in neun Monaten und nach einem zweimonatigen Sommerloch! - zu beeinflussen vermag. Der scheinbare Nachteil im Wahljahr könnte also für die SP noch zu einem Vorteil werden.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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