Von weit her Glockenklänge. Ein vertrauter Klang. Im Rahmen einer selbstauferlegten Forschungsreise befinde ich mich auf dem Weg ins Innere. Grübelnd war ich gestern vor einer Nachrichtenflut an meinem Schreibtisch gehockt, darüber sinnierend, wie das ganze Weltengeschehen nun weitergehen solle.
Eben dann klingelte das Telefon. Eine weitere Hiobsbotschaft brach über mich ein. Endlose Schicksalsschläge. So weit, so gut. Innerlich geknickt raffte ich mich auf, ging nach draussen, um ein paar frische Atemzüge zu schnappen.
Über mir öffnete sich ein sternenübersäter Himmel. Tatsächlich schnappte ich nach Luft. Allerdings ob der himmlischen Pracht. Welch traumhafter Anblick! Plötzlich zwischen den Wolken kroch ein halber Mond hervor und schien mit seinem silbernen Licht auf die Strasse. Im selben Moment flitzte eine Sternschnuppe vorbei. So doch ist das Leben, dachte ich, und während eine kalte erfrischende Brise mich an den Haaren streifte, zog ich den Mantel etwas enger zu. Die Kirchenuhr schlug ihre Zahl und ihre Glockenklänge hallten durch die Nacht.
So stand ich da, etwas verloren und schlang ungeschickt das Halstuch um meinen Hals. Es war unterdessen kalt geworden. Wie oft war ich früher unter dem sternenfunkelnden Firmament gestanden, staunend ob der Vollkommenheit jenes unerklärbaren unendlich grossen Raums. Behütet hatte ich mich gefühlt. Behütet unter einem dunkelblauen, fast schwarzen Universumsdach fühlte ich mich auch an jenem Abend. Immer sank auch etwas von der lebendigen Geborgenheit in meinen inneren Raum. Das Glitzern der Sterne. Das Leuchten des Monds. Die sanft wiegenden Bewegungen der vorüberziehenden weissen Wolken.
Wir Menschen fuhrwerken, als wären wir die Einzigen hier. Lächerlich, dachte ich. Welch einen Lärm wir verursachen. Welch eine Unordnung. Welches Chaos wir hinterlassen. Kaum fassbar, die Prioritäten, die wir setzen. Irrwitzig. Absurd. Unwürdig. Vor allem geht es um Besitz, um Mein und Dein, um besser oder schlechter, um richtig oder falsch, um mehr oder weniger. Wie kleine nervöse Planeten kreisen wir in unserem eigenen Universum um uns selbst und suchen die Erfüllung im Schein einer schrillen Brillanz des Äusseren. Lebhaft überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Dies in jenem grossen, weiten, vollkommenen Universum, das uns Sternschnuppen und Mondlicht schenkt in der Nacht und uns am Tag mit der Wärme der Sonnenstrahlen versorgt. Eine traumhafte Erde hervorbringt mit allem, was wir brauchen.
Dieser unendliche Universumsraum. Dieses Geheimnis. Diese Kraft. Die Präsenz jenes grossen Ganzen, das seit Menschengedenken uns umfasst. Das Sternenlicht er – innert mich. Berührt den Stern in meinem Innern. Das doch sind wir. Und wie gestern Abend streift mich die Zartheit des Nachtschattens. Diesmal an der Schulter. Lässt mich ruhig werden. Innerlich lächeln. Heute zieht trotz Kälte Wärme in meinen inneren Raum ein. Trotz Härte, Weichheit. Trotz Ohnmacht, Zuversicht.
Heute wird er heller gemalt. Der innere Raum. Renoviert. Neugestaltet. Erst noch gratis. Und ich kann die Farbe selbst wählen. Die Grösse, die Gestalt, die Beschaffenheit. Ich kann den inneren Raum ausstatten mit hellen, wohlwollenden, friedlichen Gedanken, ihn mit kreativen Ideen, Formen und Gefühlen einrichten. Ich kann überall Sternenlampen montieren und Teppiche der Liebe ausrollen. Die Sternschnuppe von gestern muss in meinem inneren Raum gelandet sein. So stehe ich nun da, eine Pause einlegend auf meiner Forschungsreise ins Innere. Die Glockenklänge verhallen im grossen Raum des Universums. Im unendlichen Raum des mich umfassenden Nachthimmels.
Dem grossen Raum, der sich über uns wölbt. Tag und Nacht.
Janine Spirig (*1969) aus St.Gallen ist Mutter von drei Kindern, Körpertherapeutin und Logotherapeutin nach V.E. Frankl. 1999 erschüttert der «Lehrermord» in St. Gallen die Öffentlichkeit. Während alle nach Erklärungen suchen, tastet sich die Frau des Ermordeten, Janine Spirig, ins Leben zurück. Ihre Erfahrungen hat sie in mehreren Büchern in Worte gefasst.
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