Die neue St.Galler Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher ist für den Freisinn die Frau der Stunde. Das war sie längst nicht immer. Vom glorreichen Wahlerfolg zurück zur Stunde, in der man sie nicht als Parteipräsidentin wollte, vergingen nur wenige Jahre. Eine wundersame Wandlung.
Politik ist manchmal ein kurzlebiges Geschäft. Die Niederlage von gestern interessiert morgen nicht mehr, wenn sich neue Fragen stellen. Politik ist aber manchmal auch ein langlebiges Geschäft: Dann, wenn alte Geschichten ewig nachhallen.
Im Fall von Susanne Vincenz-Stauffacher trifft wohl das erste zu. Sie hatte eine schwierige Vorgeschichte, aber daran denkt heute niemand mehr. Denn sie ist neue Nationalrätin der FDP St.Gallen, war mit ihrem Resultat mitverantwortlich für die Rettung des zweiten Sitzes, und im Moment würde man beim Freisinn am liebsten gleich alle freiwerdenden Ämter mit ihr besetzen. Sie ist gewissermassen das neue Darling der FDP. Karin Keller Sutter 2.0.
Das war nicht immer so. Vincenz-Stauffacher ist einst an einer viel niederschwelligeren Übung gescheitert als an nationalen Wahlen. Wobei, was heisst einst: Es ist nicht lange her. Ihr Versuch, 2016 Präsidentin der Kantonalpartei zu werden, scheiterte, und das nicht in einer ganz normalen Kampfwahl, sondern unter Umständen, die einige Zeit lang die Chemie zwischen ihr und der Partei vergifteten. Oder zumindest Teilen der Partei.
Susanne Vincenz-Stauffacher hatte zu früheren Zeiten bereits einmal einige Jahre als Vizepräsidentin der FDP St.Gallen geamtet, danach folgten stillere Jahre. Auch parteiintern gab es deshalb einige Leute, denen sie kein Begriff war. Als der zum Regierungsrat gewählte Marc Mächler als Parteipräsident ersetzt werden musste, erinnerten sich einige aber an die Anwältin aus Gaiserwald und brachten sie ins Spiel.
Was danach passierte, wird je nach Absender unterschiedlich geschildert. Gesichert ist: Vincenz-Stauffacher war zunächst nur zu einer Kandidatur bereit, wenn die Parteileitung sie den Mitgliedern als einzigen Vorschlag präsentieren würde. Sie wollte gewissermassen eine Wahlgarantie.
Bei der Parteileitung stiess die Idee nicht auf Anklang, man wollte der Basis eine Auswahl bieten. Zwischenzeitlich sah es so aus, als würde Vincenz-Stauffacher aus Protest ganz auf eine Kandidatur verzichten, schliesslich trat sie dennoch an und verlor knapp gegen den heutigen Parteipräsidenten Raphael Frei. Das dürfte nicht zuletzt mit dieser Vorgeschichte zu tun haben, die zumindest bei dem Teil der FDP ihren Status schwächte, der sie weniger gut kannte. Man warf ihr eine Anspruchsmentalität vor. Das kam nicht gut an.
Die Sache dauerte noch ein wenig nach, es wurden Wunden geleckt. Es war aber nicht die Wahlniederlage, die zu reden gab, sondern ihre Haltung aus dem Vorfeld. Nur weiss ausserhalb der FDP natürlich niemand, wie die Gespräche vor dieser Wahl wirklich verliefen. Wer wirklich was sagte, was versprochen und was gehalten wurde.
Diese Vorgeschichte spielte später eine Rolle, als sie bei der Ersatzwahl für den Ständerat angefragt wurde. Vincenz-Stauffacher haderte, weil sie eine Wiederholung der Geschichte befürchtete. Sie liess sich schliesslich doch überzeugen, hatte dieses Mal den Rückhalt aller Parteigremien - und der Rest ist bekannt: Aus der Nicht-Parteipräsidentin wurde die Nicht-Ständerätin und schliesslich die Nationalrätin.
Hypothetisch kann man sich heute fragen, was wäre, wenn Susanne Vincenz-Stauffacher damals Präsidentin der kantonalen FDP geworden wäre. Hätte sie sich auch dann in die Ständerats-Schlacht gestürzt, die später mit Garantie auch zum Gewinn des Nationalratsmandats geführt hat? Eine Parteipräsidentin in einer solchen Wahl: Das ist ein heikles Unterfangen. Denn von der Parteiführung erwartet man die Arbeit hinter den Kulissen. Auch die Nationalratskandidatur von Raphael Frei wurde innerhalb der FDP nicht von allen gern gesehen, weil er gleichzeitig den Gesamtüberblick behalten und seinen eigenen Wahlkampf führen musste.
Möglicherweise war die Niederlage von Susanne Vincenz-Stauffacher von damals der Start zu ihrer politischen Karriere. Und das zeigt, dass sich Politik eben doch nicht planen lässt.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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