Stephan Keller (Bildquelle: Urs Siegwart).
Er glaubte an Spitzenathleten wie Salomé Kora, als diese von ihren jetzigen Erfolgen noch weit entfernt waren. Stephan Keller ist seit über 30 Jahren Sprinttrainer beim LC Brühl und motiviert junge Talente. Warum ihm dennoch der Gedanke an einen Rücktritt nicht fremd ist, erklärt er im Interview.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine ergänzende Information zu einem im Printmagazin «Die Ostschweiz» publizierten Artikel. Das Magazin kann via abo@dieostschweiz.ch bestellt werden.
Seit über 30 Jahren stehen Sie auf – oder besser – neben dem Platz und arbeiten mit den Athleten. Kam Ihnen nie der Gedanke, aufzuhören?
Stephan Keller: Tatsächlich ist das eine lange Zeit und nur ein einziger Athlet ist in jenem Jahr geboren, in dem ich als Trainer begonnen habe. Es gab und gibt immer wieder Momente, in denen die Gedanken an einen Rücktritt heftiger und häufiger werden. Mit zunehmendem Alter nimmt es auch zu, weil man ja nicht dereinst als Greis alleine anwesend sein will. Aber dann steht man wieder auf dem Platz zusammen mit motivierten, jungen Menschen. Und schon ist man ebenfalls wieder mitten drin und gibt Gas.
Sie sind als Kind zum LC Brühl gestossen, wurden Hürdenläufer. Warum haben Sie schlussendlich doch eine andere berufliche Richtung eingeschlagen?
Stephan Keller: Ich bin mit zwölfeinhalb Jahren zum LC Brühl gekommen. Zu Beginn haben wir mehrkampfmässig und im Sinne einer allumfassenden Bewegungsvielfalt alle Disziplinen trainiert. Mit der Zeit haben sich Präferenzen erkennen lassen. Mit meinen Möglichkeiten hätte ich damals vielleicht eher Läufer werden sollen. Aber die Sprint-/Hürdengruppe war für meine Belange einfach die attraktivste Alternative. Und sie hatte mit Heinz Brunner einen echt genialen Trainer. Er ist übrigens bis heute mein Vorbild. So bin ich dann zu den 400m Hürden gekommen, weil diese Disziplin meinen Möglichkeiten am besten entsprochen hat. Für die reinen 100m war ich nicht geboren.
Bereuen Sie den Entscheid, nicht voll auf die Sport-Karte gesetzt zu haben?
Stephan Keller: Ich bereue meinen Entscheid in keinster Weise. Beruflich musste ich mich für die gutbürgerliche Variante entscheiden, weil in jener Zeit das Profitum nur für die Weltbesten möglich war, ausser man wäre von Beruf Sohn gewesen. Das war ich aber nicht.
Sie sagten einmal, früher waren Sie ein verbissener Sportler. Heute lassen Sie mehr Milde walten. Was gab den Ausschlag dafür? Und wie sieht ein gesundes Verhältnis überhaupt aus?
Stephan Keller: Als Athlet achtete ich zu wenig auf die Signale des Körpers. Ich glaubte, dass Schmerzen ganz einfach dazu gehören und sich mit der Zeit wieder verflüchtigen. Das war leider nicht immer so, was dann auch zu Verletzungen führte. Das betrachte ich heute als schlechte Verbissenheit und bin milder geworden. Daraus habe ich als Trainer gelernt. Es gibt aber auch eine gute Verbissenheit. Ich konnte als Athlet meine Komfortzonen oft verlassen und habe es geliebt, an die Grenzen zu gehen. In diesem Sinne lasse ich auch heute als Trainer keine Milde walten. Wer Erfolg haben will, trainiert nach dem Motto: Go hard or go home.
Als Trainer sind Sie auch Hobbypsychologe, investieren sehr viel Zeit, lassen Ihre Ferien ausfallen. Woher nehmen Sie die Motivation und vor allem die Leidenschaft?
Stephan Keller: Hobbypsychologe ist ein grosses Wort. Für mich muss ein Trainer Menschen gern haben. Dann versteht er auch ihre Sorgen und Nöte besser, lernt seine Athleten nicht nur physisch, sondern auch auf menschlicher Ebene kennen. Das führt dazu, dass man sich auch nach vielen Jahren mit Freude begegnen kann. Als Trainer investiert man natürlich viel, was aber auch die Athleten tun. Das ist nur möglich, wenn man von der Familie unterstützt wird. Da hatte ich in all den Jahren einen wunderbaren Support meiner Familie. Auf Ferien habe ich früher während der Saison immer verzichtet, dies aber dann im Herbst in der Trainingspause nachgeholt. Meine Leidenschaft für die Leichtathletik ist nach wie vor riesig. Es ist die kompletteste Sportart mit einer Vielfalt an ästhetischen Disziplinen, die ganz unterschiedliche Anforderungen an Athleten und Trainer stellen. Motivation entsteht immer wieder in der Zusammenarbeit mit Trainierkollegen, mit den Athletinnen und Athleten und natürlich auch mit deren ganz persönlichen Erfolgen.
Welches waren dabei die Höhepunkte?
Stephan Keller: Es gab in all den Jahren viele Höhepunkte. Zu nennen sind persönliche Bestzeiten, Landesrekorde, Medaillen an nationalen Meisterschaften, Nationalmannschaftsstarts, Starts an Europa-, Weltmeisterschaften, Universiaden, Olympischen Spielen. Ich könnte lange über diese Erfolge und die damit verbundenen Namen, beispielsweise Thomas Griesser, Daniel Harzenmoser, Ivo Signer, Andreas Oggenfuss und viele andere reden.
Gab es dennoch ein besonders spezielles Ereignis?
Stephan Keller: Absolut unvergesslich und der eindeutige Höhepunkt für mich als Trainer war die Teilnahme von Thomas Griesser an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta über 200m und über 4 x 100m. Das krönt die Karriere jedes Athleten und natürlich auch des Trainers. Ein echtes Highlight durfte ich in diesem Herbst erleben. Ich wurde von Salomé Kora anlässlich ihres Sponsorenanlasses ganz speziell als ihr erster Trainer und Mentor geehrt. Das ist einmalig, nicht selbstverständlich und bewegt mich nachhaltig immer noch – eine grosse Geste.
Sie haben offenbar ein besonderes Gespür für Talente, wie das Beispiel Salomé Kora beweist. Warum ist Ihnen das aufgefallen, als sie selber noch nicht daran geglaubt hat?
Stephan Keller: Wie gross das Gespür für Talente ist, kann ich nicht genau sagen. Ich glaube, dass sehr viel von der Erfahrung und einem geschulten Auge abhängt. In meinem ersten Training als Trainer hat mein ehemaliger Trainer mir gesagt, dass ich in der Gruppe einen exzellenten Sprinter habe, mit ganz tollen Fussgelenken, und der ein Spitzensprinter werden könne. Es war Thomas Griesser in seinem ersten Training. Ich konnte das damals noch nicht erkennen. Bei Salomé war es so, dass sie bei uns mal reingeschaut hat und gleich im ersten Training mit den Besten auf Tuchfühlung war. Ihre Technik war noch sehr unausgereift. Aber ich konnte da – mit 25 Jahren Trainererfahrung – erkennen, wie wir das gemeinsam alles entwickeln könnten. Das ist letztlich doch richtig gut gelungen.
Das ist es in der Tat. Gab es in Ihrer Karriere im Gegenzug auch Tiefschläge und Herausforderungen?
Stephan Keller: Herausforderungen gibt es immer wieder. Sie sind oft nicht so augenfällig. Wie bringe ich beispielsweise Athletinnen und Athleten nach einer Verletzung zurück auf die Erfolgsspur, wie «pflanze» ich ihnen Selbstvertrauen ein, wenn es mal nicht wunschgemäss läuft und wie motiviere ich mich in solchen Situationen neu und lasse mich nicht hängen? Verletzungen im Moment der besten Form sind immer Tiefschläge, auch für mich als Trainer. Dann gab es auch unvergessliche Tiefschläge. Bereits 1992 war Thomas Griesser für die Olympischen Spiele in Barcelona selektioniert und stand unmittelbar vor der Abreise. Unter fadenscheinigen Gründen wurde er kurzfristig ausgeladen. Das war für uns beide ein Riesenfrust. Und dann war im Februar 2015 der Trainerwechsel von Salomé Kora für mich ein Tiefschlag. Ich gebe zu, dass ich sehr lange daran zu nagen hatte. Aber all das ist Geschichte und hat uns alle neu motiviert. Ganz klar überwiegen für mich die schönen Seiten.
Werden es also noch einmal 30 Jahre?
Stephan Keller: Es werden sicher keine 30 Jahre mehr. Wie lange die Reise dauert, hängt sicher davon ab, ob die Athletinnen und Athleten weiterhin motiviert sind, mit mir zu arbeiten. Wichtig wird auch sein, dass der LC Brühl als Verein lebt und ich weiterhin mit einem harmonischen Trainerkollegium funktionieren kann. 2021 werde ich mein fünfzigstes Jahr beim LC Brühl erleben. Das würde ich gerne als Trainer tun. Ein weiterer Wunsch wäre es, dass ich dereinst nochmals eine Athletin oder einen Athleten betreuen dürfte, die oder der es dank meiner Trainerarbeit an eine EM, WM, Universiade oder zu Olympischen Spielen schafft. Aber ich bin schon jetzt dankbar für die bisher erfolgreiche und bereichernde Zeit als Sprinttrainer.
Zur Person
Stephan Keller ist Jahrgang 1959 und wohnt in St.Gallen. Hauptberuflich arbeitet er beim Grundbuchamt St.Gallen. Im Ehrenamt ist er als Sprinttrainer beim LC Brühl tätig und hat sich zum Trainer Leistungssport Swiss Olympic ausbilden lassen. Die Berufstrainerausbildung würde es ihm zwar ermöglichen, hauptberuflich als Trainer zu arbeiten, was aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei.
Stephan Keller (Bildquelle: Urs Siegwart).
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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