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Leitartikel

Der Stadt-Land-Graben ist ein Problem - aber kein lösbares

Die wenigen Städte im Kanton St.Gallen diktieren Wahlen und Abstimmungen, weil sie die Landbevölkerung mit ihrer Stimmenzahl erdrücken. Das ist ein immer wieder gehörter Vorwurf - und er ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Ändern kann man daran aber nichts. Oder nur zu einem sehr hohen Preis.

Stefan Millius am 23. April 2020

«Einmal mehr hat es die Stadt dem Land gezeigt.» Ein solcher Satz kann nur von Toni Brunner stammen. Er stellt eine persönliche Beurteilung als Tatsache dar und provoziert im selben Atemzug. Er tut das in einem Interview mit dem St.Galler Tagblatt, in dem er beklagt, dass die knappe Niederlage von Michael Götte bei den Regierungswahlen in erster Linie an der Stadt St.Gallen liegt, wo Götte seinen Vorsprung, den er bis kurz vor Schluss hatte, nicht halten konnte.

Das Problem ist bekannt - und real. In der Tat ist die Live-Auszählung von Stimmen im Kanton St.Gallen bei Wahlen und Abstimmungen jeweils bis kurz vor Schluss eigentlich recht müssig. Denn wenn das Resultat der Stadt St.Gallen eintrudelt, sieht oft alles wieder anders aus. Die linksgrün dominierte Ostschweizer Metropole tickt anders als das Land, und weil die Auszählung dort meist am längsten dauert, wirkt es so, als würde die Gallusstadt quasi auf der Schlussrunde wie aus dem Nichts den Führenden noch überholen.

Kann man dagegen was tun? Oder vielmehr: Soll man überhaupt? Man kann schlecht die Stadt-St.Galler verpflichten, gefälligst so zu wählen und abzustimmen wie die Leute vom Land. Oder zuhause zu bleiben, wenn man das nicht will. Die demokratischen Rechte gelten in einer Stadt wie überall sonst. Die wachsende Wahrnehmung, dass St.Gallen - zusammen mit Rapperswil-Jona und Wil vielleicht noch - den politischen Kurs des Kantons diktiert, ist allerdings wirklich keine schöne und wirkt kaum motivierend.

Man könnte theoretisch die Regierungssitze nach Regionen oder Wahlkreisen fix verteilen, so wie es auch beim Kantonsrat der Fall ist. Umsetzbar ist das allerdings nicht. Denn alle anderen Ansprüche, die jeweils geltend gemacht werden - Partei, Berufsstand, Erfahrung, Geschlecht und so weiter - wären bei einer solchen Ausgangslage nicht realisierbar. Vermutlich hätten wir danach eine Regierung aus sieben männlichen Gemeindepräsidenten.

Was Toni Brunner sagt, ist nicht falsch. Die Stadt zeigt es dem Land letztlich. Allerdings natürlich nicht bewusst. Die Wahl einer Person ist kaum als Aktion gegen andere Regionen gerichtet. Und wäre die Mobilisierung auf dem Land besser, dann wäre es auch nicht automatisch so, dass im Schlussspurt oft eine linke Person oder ein linkes Anliegen dann doch noch obsiegt. In erster Linie müssten Brunners SVP daher ihre Hausaufgaben machen und wieder für mehr Motivation und Disziplin in den eigenen Reihen sorgen.

Das wiederum ist etwas, das Toni Brunner besser kann als jeder andere. Nur will er von der Politik augenscheinlich nichts mehr wissen.

Diesen Text im Video anschauen:

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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