Stirbt eine Person, geschieht ein Unfall oder gar ein Tötungsdelikt, hinterlassen diese Vorfälle oftmals eine Spur der Verwüstung. Sven Grossmann aus Oberbüren hat sich vor über zehn Jahren auf die Tatortreinigung und Entrümplung von Messiwohnungen spezialisiert.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine ergänzende Information zu einem im Printmagazin «Die Ostschweiz» publizierten Artikel. Hier geht's zu den Abo-Möglichkeiten.
Egal, wo Sven Grossmann mit seinem Fahrzeug aufkreuzt, drehen sich die Köpfe. Kein Wunder, steht doch in dicken, fetten Lettern «Extremclean – Tatortreinigung» auf dem Auto geschrieben. Ein Hauch «CSI» schwingt dabei mit und verbreitet eine gewisse Kriminalität in der ansonsten recht beschaulichen Ostschweiz. Sogleich stellt sich die Frage, an welchem Einsatzort der gelernte Autolackierer wohl gerade beschäftigt ist? Und vor allem: Womit? «Ja, es ist schon etwas anderes, als normale Putzaufgaben zu übernehmen», fasst es Sven Grossmann pragmatisch zusammen. «Ich dachte mir damals einfach, ich probiere es einmal aus.» Auf die Tatortreinigung und das Entrümpeln von Messiwohnungen sei er vor über elf Jahren eher zufälligerweise gekommen. Da es damals noch keine vergleichbaren Angebote gab, und Grossmann sich gerne selbstständig machen wollte, «warf ich mich selber ins kalte Wasser», wie er sich erinnert. Und sein Plan funktionierte. Heute beschäftigt er sechs Angestellte und hat haufenweise Liegenschaften nach Verbrechen, Leichenfunden und anderen Tragödien wieder bewohnbar gemacht.
«Gewaltige» Eindrücke
Bereits im Militärdienst sei ihm bewusst geworden, dass er sehr gut mit Schicksalsschlägen, Unfällen und Verletzten umgehen konnte. «Die jeweiligen Situationen sind zwar immer sehr schlimm. Aber mir gelingt es, abzuschalten und ich nehme die Bilder so gut es geht nicht mit nach Hause», sagt Grossmann. Eine harte Schale braucht der Ostschweizer auch. Wird er gerufen, so haben Zartbesaitete dort nichts verloren. Es geht um Tatorte mit viel Blut, menschlichen Überresten, Spuren der Verwüstung, Tragödien und Schicksalen. Noch heute erinnert er sich sehr gut an den ersten Fall, der zügig nach der Geschäftsgründung einher ging. «Es ging mir sehr vieles durch den Kopf, als ich mich auf den Weg machte», erinnert sich Grossmann. Was würde ihn erwarten? Mit welchen Bildern würde er konfrontiert werden? Schaffte er das überhaupt? Es war ein Leichenfundort, welcher der Ostschweizer reinigen musste. Die Eindrücke waren «gewaltig», um es mit seinen eigenen Worten zu benennen. Bereits sein erster Fall lehrte ihn, führte dazu, sich ständig zu verbessern, den Ablauf anzupassen. Er machte sich schlau, darüber, wie er sich vor Krankheitserregern, Viren und Bakterien schützen konnte, wie es ihm gelingt, mit seinem schlimmsten Gegner, nämlich dem Geruch, fertig zu werden. «Er ist das, was mit Abstand am heftigsten ist. Ich kann es gar nicht beschreiben, wie es an einem Tatort riecht», so Grossmann. Tatorte mit grossen Blutverlusten riechen süsslich, während Leichenfundorte zuerst mit einem speziellen Ozongerät ausgelüftet werden, damit Sven Grossmann und sein Team überhaupt mit der Arbeit beginnen können. Die visuellen Eindrücke führen dazu, dass er sich gedanklich mit dem Fall auseinandersetzt – ob er das will oder nicht. «Das geht nicht einfach spurlos an einem vorbei», sagt Grossmann. Bis zu mehreren Tagen ist er damit beschäftigt, die Hinterlassenschaften zu eliminieren, Haushalte aufzulösen, Plattenböden herauszuspitzen, Utensilien zu entsorgen – und damit auch gleich ein ganzes Leben «einfach auszulöschen». So tragisch dies auch sei: Nur ein kleiner Fleck, welcher übersehen wurde, macht es unmöglich, dass die Liegenschaft hinterher wieder bewohnbar ist. Und dann beginnt die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. «Für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung», so Grossmann. Der Geruch liegt nicht nur in der Luft, sondern setzt sich auch in Möbeln, Schränken und Teppichen fest. Fast 90 Prozent der ganzen Wohnung muss entsorgt werden. Der Rest wird desinfiziert, gereinigt, entlüftet. Bis auch der äusserst ausgeprägte Geruchsinn von Grossmann nichts mehr feststellen kann. Erst dann fällt der Startschuss für die Handwerker, damit die Wohnung wieder hergestellt und saniert werden kann.
Ausmass einer Tragödie
Auf Schicksale und Tragödien trifft der Ostschweizer täglich bei seiner Arbeit. Während wir davon im Radio hören, in der Zeitung lesen oder abgeschwächte Bilder im Fernsehen verfolgen, erlebt Sven Grossmann alles hautnah mit. So wurde er gerufen, als sich 2018 ein Familiendrama in Beringen ereignete. Die Tochter, eine 21-jährige Frau, erstach ihren Vater, die Mutter wurde schwer verletzt. Sven Grossmann sieht das ganze Ausmass der Tragödie, das Resultat der Kämpfe, was sich wie und wo abgespielt haben muss. Auch, wenn er das eigentlich gar nicht will. «Ich höre oder sehe fast keine Nachrichten mehr, seit ich mein Geschäft gegründet habe. Ich mache meine Arbeit, da habe ich genug mit Schicksalsschlägen zu tun.» Tatorte, Leichenfundorte, Messiwohnungen – das alles sei zwar gut für sein Geschäft. «Menschlich jedoch ist es einfach nur tragisch, was passiert.» In etwa dann, wenn eine Person verstirbt, diese tage- oder gar wochenlang in der Wohnung liegt, weil sie anscheinend nirgendwo vermisst wird – sondern erst Nachbarn unter dem unerträglichen Geruch leiden. Besonders schlimm trifft es den Ostschweizer, wenn Angehörige der Opfer zu seiner Arbeit dazu stossen. Denn dann bröckelt die «Schutzhülle», die er sich durch seine Arbeit zugelegt hat. Als beispielsweise die Tochter mit dabei war, als Grossmann und sein Team die Wohnung nach dem Selbstmord ihres Vaters reinigte, und dabei in Tränen ausbrach, das ging auch am Ostschweizer nicht spurlos vorbei. «Wir sind hilflos, wir können den Menschen die Last nicht abnehmen.» Aber dadurch, dass sie sich immerhin um die Reinigungsarbeiten nicht selber kümmern müssen, werden die Angehörigen vielleicht etwas entlastet. Der besagte Fall war für Grossmann gleichzeitig aber auch eine Lehre, die Fälle nicht zu sehr an sich heranzulassen. «Ansonsten wird man in eine Spirale reingezogen. Und dann könnte ich meine Arbeit nicht mehr machen.»
Bewusst Zeit nehmen
Auch an den Fall eines älteren Ehepaars erinnert sich Grossmann gut. Beide waren schwer krank, weshalb der Mann zuerst seine Partnerin ermordete, bevor er sich dann selber das Leben nahm. «Es war einfach nur grausam.» Es sind aber auch Fälle, an denen Grossmann wächst – und zwar mental. «Es zeigt uns auf, dass das Leben eben nicht ewig dauert. Und es bereits morgen vorbei sein kann.» Dies sollte keinesfalls poetisch klingen, sondern vielmehr dazu führen, bereits zu Lebzeiten «aufzuräumen», wie es Grossmann erklärt. «Damit meine ich, dass man Unstimmigkeiten oder Streitigkeiten regeln sollte, bevor es zu spät ist.»
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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