Kurt Weigelt und die IHK St.Gallen-Appenzell: Das war einmal. Der Verband ist aber klug beraten, «ein bisschen Weigelt» in die Zukunft zu retten.
Der Inhaber einer Papeterie verkauft Papier, er füllt es nicht selbst. Dieses Klischee mochte Kurt Weigelt schon als aktiver Unternehmer nicht erfüllen. Bereits damals, als er die Papeterie Schiff in St.Gallen führte, brachte er seine Gedanken ausformuliert in Form und publizierte sie. Es gibt diverse Essays aus seiner Feder. Die meisten davon beleuchteten das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat.
Als der St.Galler zum neuen Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen berufen wurde, war das so gesehen eine logische Wahl. Ein Unternehmer, der sich über die Herausforderungen der eigenen Branche hinaus Gedanken macht: Das ist für eine Verbandsspitze ein Glücksfall.
Und Weigelt fackelte nicht lange. In den folgenden Jahren setzte er im Grunde nur um, was er immer und immer wieder schriftlich postuliert hatte: Die Dinge nicht einfach nehmen, wie sie sind, sondern sich fragen, wie man sie besser nehmen könnte.
Eigentlich gehören solche Leute ja auch in die Politik. Im Nachhinein ist es dennoch ein Glücksfall, dass ihm der Sprung in den Nationalrat versagt blieb. Eingepfercht zwischen lauter Leuten, die den Weg des geringsten Widerstands suchen und dem Kompromiss stets den Vorrang geben: Da wäre einer wie Kurt Weigelt kaum glücklich geworden.
Auch so schon musste er sich genug anhören, wenn er mal wieder im Namen der IHK eine Vision ins Spiel brachte. Stets hiess es, das sei durchaus interessant, aber nicht realisierbar. Und man war versucht zu rufen: Wie soll es denn bitte je Realität werden, wenn es keiner versucht? Und heisst das umgekehrt, dass wir uns mit unbefriedigenden Situationen zufrieden geben sollen, nur weil es allenfalls schwierig werden könnte, es zu ändern?
Man könnte natürlich sagen: Viel ist nicht geworden aus den Visionen der IHK. Nur weniges wurde oder wird Realität. Aber die Beurteilung ist aus zwei Gründen falsch. Erstens muss einer die undankbare Rolle der Speerspitze übernehmen und damit leben, dass es viele Jahre geht bis zur Verwirklichung. Und zweitens waren die Ideen der IHK stets nur Angebote an den Staat. Weigelts Aufgabe war es nicht, das Gemeinwesen zu verbessern, sondern die IHK zu führen.
Und das ist mit Sicherheit gelungen. In der Vor-Weigelt-Ära kannte man die Industrie- und Handelskammer in erster Linie als Dienstleister für ihre Mitglieder. Zum Beispiel in Exportfragen. Das ist sicher richtig und wichtig, aber es reicht nicht, um politische Schlagkraft zu erhalten. So gut wie jeder Wirtschaftsverband beklagt schlechte Rahmenbedingungen oder eine überbordende Bürokratie. Die IHK St.Gallen-Appenzell setzte auf aktive Mitarbeit statt auf Wehklagen. Und war damit eine würdige Vertreterin von Unternehmensinteressen.
Das sollte sie auch bleiben. Weigelts Nachfolger Markus Bänziger betont in jedem Interview, dass er keine Kopie seines Vorgängers ist. Das muss er auch nicht. Die Dynamik des Verbands darf aber unter ihm nicht gebremst werden. Während die Pflicht, also die Services für Mitglieder, weiterläuft, muss die IHK weiter auch die Kür pflegen. Und das auch, wenn sie von wenig beweglichen staatlichen Stellen gebremst wird, die oft keine Lust haben, sich auf neue Ideen einzulassen. Bekanntlich höhlt der stete Tropfen den Stein.
Wir erwarten nun, dass Kurt Weigelt im offiziellen Ruhestand wieder fleissig Papier beschreibt. Auch das im Wissen, dass Worte nicht sofort etwas auslösen. Aber ein bisschen Befriedigung löst es ja doch aus, wenn man sagen kann: «Ich habe es schon immer gesagt.»
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.