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INTERVIEW

«Deutschland zeigt gerade, was eine wehrhafte Demokratie ist»: Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner zu den Demos gegen rechts

Er war an der Grossdemo in Berlin dabei und analysiert, welche Gefahren von Rechtsextremismus und AfD ausgehen. HSG-Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner fordert Unternehmen und Wirtschaftsverbände auf, sich klarer gegen rechts zu positionieren - und sagt auch, warum.

Odilia Hiller am 24. Januar 2024

Thomas Beschorner, von wo aus verfolgen Sie, was in Ihrem Heimatland Deutschland in den Städten und auf den Strassen zurzeit vor sich geht?

Teilweise aus der Schweiz, teilweise aus Deutschland. Am vergangenen Wochenende habe ich mir ein Bild bei der Grossdemo in Berlin gemacht. Das war interessant, weil man gut sehen konnte, welche unterschiedlichen Milieus sich gegen Rechtsextremismus und für eine offene und vielfältige Gesellschaft aussprechen.

Es liegen gerade grosse moralische Fragen in der Luft. Ihr persönlicher Kommentar als Deutscher? Und was sagen Sie als Wissenschafter und Wirtschaftsethiker?

Ich glaube, Deutschland zeigt gerade durchaus eindrucksvoll, was eine wehrhafte Demokratie ist. Die Proteste und Kundgebungen sind wichtig, denn es steht ja etwas auf dem Spiel, nämlich eine freiheitlich-demokratische Grundordnung. Und ja, damit sind eine Vielzahl von ethischen Fragen verbunden, die für mich als Wissenschafter natürlich interessant sind. Sie betreffen die Gesellschaft insgesamt und ebenso die Wirtschaft, denn als Unternehmen sollte man sich natürlich auch für die politischen Verhältnisse interessieren.

In verschiedenen deutschen Medien haben Sie Unternehmen und Wirtschaftsverbände dazu ermutigt, sich klar(er) gegen rechts zu positionieren. Gilt «Nie wieder» auch für die Wirtschaft?

Ja. Dafür gibt es einerseits ökonomische Gründe. Deutschland braucht, wie die Schweiz auch, ausländische Fachkräfte und eine Offenheit für Vielfalt und Innovationen, will man das Wohlstandsniveau halten. Wesentlicher noch ist andererseits, dass die Idee der Sozialen Marktwirtschaft auf das Engste mit Demokratie und der Freiheit des Einzelnen verbunden ist. Geraten Freiheit und Demokratie in Gefahr, schwankt auch die Wirtschaft.

Wie ordnen Sie ein, was in Deutschland gerade passiert?

Enthüllungen zum Treffen eines rechtsextremistischen Kreises, wozu auch AfD-Mitglieder zählten, haben meines Erachtens für die Menschen plastisch gemacht, welche Gefahren vom rechten Rand ausgehen können. Deshalb waren am Wochenende etwa eine Million Menschen in rund 100 deutschen Städten auf den Strassen. Eine solche Mobilisierung der Zivilgesellschaft hat es seit dem Fall der Mauer in Deutschland nicht mehr gegeben. Zum Kontext gehört dabei auch, dass im Juni die Europawahl stattfindet und im September in drei ostdeutschen Ländern Landtagswahlen anstehen. Es ist möglich, dass es in Thüringen künftig einen rechtsextremen Ministerpräsidenten geben wird. Das ist in Deutschland mit seiner dunklen Geschichte natürlich ein ganz besonderes Thema. Man wird schauen müssen, wie anhaltend diese Demonstrationen sind.

Wie konnte es passieren, dass die AfD einen so grossen Anteil der Bevölkerung anspricht?

Den durchschnittlichen AfD-Wähler darf man sich nicht mit Glatze und Springerstiefeln vorstellen. Die gibt es auch, aber die Mehrzahl kommt eigentlich aus der Mitte der Gesellschaft, ist frustriert von der aktuellen Politik und verunsichert in einer schnelllebigen Gesellschaft. Man will was anderes, und man will Stabilität. Einfache Geschichten wie «Hier die Deutschen, dort die Ausländer» verfangen dabei leider bei manchen recht gut. Es wird wichtig sein, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen und sie demokratisch von Demokratie zu überzeugen. Und es wird auch wichtig sein, ihnen deutlich zu machen, für welche Programmatik die AfD steht, nämlich für Verschlossenheit, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Sie sagen, man muss mit diesen Menschen ins Gespräch kommen. Wer ist dafür zuständig?

Konstruktive Auseinandersetzungen sind nicht nur die Aufgabe von Politik, Wirtschaft oder Medien. Sie gehören in den Freundes- und Familienkreis, in den Sport- oder Gesangsverein und an den Stammtisch. Und ja, das kann anstrengend sein.

Zum Stichwort Verunsicherung: Welchen Kompass empfehlen Sie Leuten, die sich orientierungslos fühlen?

Ein Blick in die Verfassung kann nie schaden!

Zur Person: Thomas Beschorner ist seit 2011 Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St.Gallen.

(Bild: Hannes Thalmann/Universität St.Gallen)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Odilia Hiller

Odilia Hiller aus St.Gallen ist seit August 2023 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Seit 2000 im Journalismus, Master of Arts (MA) in Französischer und Deutscher Literatur und Sprache. Weiterbildungen u. a. in Leadership (MAZ Luzern). Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.

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