logo

Unter Generalverdacht der Fehltherapie

Die doppelten Opfer von Littenheid

Auf einmal wird die Therapie aufgrund von Medienberichten gestoppt: «Satanic Panic» wurde für die Littenheider Traumapatienten zur vorläufigen Endstation ihrer Traumatherapie. Die Gruppe «Littendrin» wehrt sich gegen den aus ihrer Sicht willkürlichen Entscheid.

Michel Bossart am 21. Februar 2023

Die Traumapatienten und -patientinnen aus Littenheid fühlen sich im Regen stehen gelassen: Nach einem Untersuchungsbericht zu umstrittenen Therapien – Stichwort: «Rituelle Gewalt» oder «Satanic Panic» – hat die Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid mit verschiedenen Massnahmen reagiert. Unter anderem wurden auch alle laufenden Behandlungen gestoppt. 23 Betroffene haben sich in der Gruppe «Littendrin» zusammengeschlossen und kritisieren gemeinsam den Therapiestopp.

Yvonne S. und Tania G., die in Wirklichkeit anders heissen, sind enttäuschte und frustrierte Littenheider Traumapatientinnen. Tania sagt: «Die Therapie in Littenheid war hochprofessionell und hat mir das Leben gerettet. Ich würde sofort und ohne zu zögern, wieder hingehen.» Auch für Yvonne bedeutet der Therapieunterbruch in erster Linie eine grosse Verunsicherung. Sie sagt: «Wartelisten bei anderen Kliniken sind erstens lang und wir müssen mit der Aufarbeitung wieder ganz von vorne beginnen.» Ein stationärer Aufenthalt in einer anderen Klinik, da sind sich die beiden einig, sei frühestens in acht Monaten wieder möglich. Aus Unsicherheit, ob und wie es in Littenheid weitergeht, haben sich beide trotzdem auf die Warteliste anderer Schweizer Kliniken setzen lassen.

Rituelle Gewalt: Alle unter Generalverdacht

Doch was ist überhaupt geschehen? Warum wurde diese für traumatisierte Patienten so wichtigen Therapien gestoppt? Im Dezember 2022 hat der Kanton Thurgau einen Untersuchungsbericht zu Vorwürfen aus einer SRF-Dokumentation veröffentlicht, die sich an die Clienia Littenheid richteten. Unter anderem hiess es: Satanische Verschwörungstheorien («Satanic Panic») hätten bei der Behandlung eine Rolle gespielt. Vor allem einer der Ärzte habe «ein besonderes Interesse am Thema rituelle Gewalt und «Mind Control» entwickelt und die Kultur der beiden Traumastationen beeinflusst.» Die Gruppe Littendrin kontert in ihrer Mitteilung: «Keiner der Unterzeichnenden kam während der stationären Traumatherapie-Aufenthalte in der Clienia Littenheid in Berührung mit den vorgeworfenen falschen Erinnerungen. Auch wurden uns solche Gedanken zu keiner Zeit suggeriert.» Yvonne und Tania bestätigen das. Auch der Kontakt zum kritisierten und mittlerweile entlassen Arzt beschreiben sie als «auf Augenhöhe», «wertschätzend» und «sehr professionell». «Klar», sagt Yvonne, «Fehlbehandlungen und Missstände müssen aufgedeckt und Konsequenzen gezogen werden.» Dass man aber alle Traumapatienten unter den Generalverdacht der Fehlbehandlung stellt und ihre Therapie stoppt, damit haben Yvonne und Tania sowie die ganze Gruppe Littendrin ihre liebe Mühe.

Unzufriedenheit mit Übergangslösung

Auch wenn die Gruppe Littendrin Verständnis für die Aufarbeitung des Vorgefallenen aufbringen können, so kritisieren sie, dass nicht nur die Klinik Clienia Littenheid, sondern die gesamten Traumatherapien in Verruf geraten seien. «Dies aufgrund von Einzelfällen, die von vielen Medien mit dem schlagzeilenträchtigen und klickfördernden Stichwort «Satanic Panic» wiederholt verbreitet wurden und werden», heisst es in der Mitteilung. Dies habe zur Folge, dass ein Grossteil der Bevölkerung Traumatherapie als etwas wahrnehme, das grundsätzlich falsche Erinnerungen weckt und befördert.

Bis die Traumatherapien in Littenheid wieder aufgenommen werden können, gebe die Klinik Empfehlungen für andere Therapieplätze ab, wurde Yvonne und Tania versprochen. «Da ist aber gar nichts Brauchbares gekommen. Wir mussten uns selbst um alles kümmern», kritisieren die beiden die Klinikleitung. Eine Empfehlung sei beispielsweise die Einweisung in eine Akutstation gewesen. Tania sagt dazu: «Ein Aufenthalt in einer Akutstation ist für mich extrem triggernd und gar keine schöne Erfahrung. Da werden keine Therapien angeboten, sondern einfach Medikamente verabreicht. Solche Aufenthalte eigenen sich in erster Linie für suizidale Personen, aber nicht für alle Traumapatienten.»

Auch keine Hilfe von «pro mente sana»

Die beiden betroffenen Patientinnen wünschen sich von der Littenheider Klinikleitung, dass die Therapien für Intervallpatienten sofort wieder aufgenommen werden. Yvonne präzisiert: «Schön wäre es, wenn parallel zur Wiederaufnahme das neue Behandlungskonzept unter Miteinbezug der involvierten Berufsgruppen und Betroffenen ausgearbeitet werden könnte. Für uns ist Transparenz und eine offene, klare Kommunikation sehr wichtig.» Die beiden Traumapatientinnen sind auch von der Stiftung «pro mente sana» enttäuscht: Die Gruppe Littendrin habe sich sofort an die Stiftung gewandt und um Hilfe gebeten. «Leider sind unsere Bemühungen im Sand verlaufen und wir haben nie mehr etwas gehört. Das gibt uns das Gefühl, nichts wert zu sein.»

Ganz offensichtlich sind nicht alle Traumapatienten in Littenheid Opfer von «Mind control» beziehungsweise suggerierter ritueller Gewalt geworden. Nach eigenen Angaben therapierte die Clienia Littenheid vor dem Behandlungsstopp jährlich 350 Patienten auf der Traumastation. Der Untersuchungsbericht, der die Jahre 2019 bis 2022 unter die Lupe nahm, fand 10 Fälle, bei denen «Mind control» in irgendeiner Form ein Thema war. Auch wenn das natürlich 10 Fälle zu viel sind, so bedeutet der Therapiestopp und die Aufnahmeverweigerung der Clienia Littenheid für die Betroffenen nun in erster Linie grosse Unsicherheit und ein Gefühl, fallengelassen worden zu sein.

Highlights

Sängerin, Tänzerin und Unternehmerin

St.Galler Influencerin Arina Luisa möchte mehr Realität in den Sozialen Medien: «Ich poste auch einmal meine Dehnungsstreifen»

am 18. Aug 2024
Gastkommentar

Wikipedia-Amok will UBS-Banker ‹canceln›

am 02. Aug 2024
Steigender Konkurrenzdruck

«Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt»: Der Wiler Chefredaktor Andreas Böni über seine Arbeit bei «blue Sport»

am 19. Aug 2024
Asylpolitik

SVP attackiert Bundesrat Jans, Staatssekretariat für Migration kontert mit einem «Faktencheck in 18 Punkten». Wer hat recht?

am 09. Aug 2024
Andere Orte preschen vor

Zwischen Digital Detox und Realitätsflucht: Soll das Handy aus dem Schulhaus verbannt werden? So denkt die Ostschweizer Politik darüber

am 06. Aug 2024
Gastkommentar

Biodiversität oder Ernährungssicherheit? Ein kritischer Blick auf eine Volksinitiative, die gar nicht umsetzbar ist

am 03. Aug 2024
Peter Weigelt, Präsident RevierJagd St.Gallen

Wolfsregulierung – keine jagdliche, sondern eine behördliche Massnahme

am 22. Aug 2024
Interpellationen beantwortet

«Wenigstens einen Versuch wert» – St.Galler Regierung verteidigt die Russland-Reise

am 19. Aug 2024
Gastkommentar

Gendermedizin: Oft nicht viel mehr als eine Ansammlung abgenutzter Klischees

am 21. Aug 2024
Viele Katzen, wenig Platz

Wenn «Büsis» zu «Klimakillern» werden: Tierschutz-Präsidentin Esther Geisser über Lösungen gegen die Katzen-Überpopulation in der Ostschweiz

am 17. Aug 2024
Einwurf

KI soll vor dem Ertrinken schützen. Eltern, die mehr Zeit am Handy als mit ihren Sprösslingen verbringen wollen, freut diese Entwicklung

am 16. Aug 2024
Gastkommentar: Schweizer Sommer

Wenn sich die Schweizerische Regel in der Ostschweiz durchsetzt: Zu heiss gibt es nicht, um nicht nach Draussen zu gehen

am 20. Aug 2024
Sie unterstützen die Olma Messen

«Wenn der Wirt sein bester Gast ist, wird es gefährlich» – Kuno Schedler über sein Olma-Engagement

am 16. Aug 2024
SGKB Investment Views

Rezession oder doch nicht Rezession?

am 19. Aug 2024
Sitz von Swiss Olympic

Ein Haus mit Tradition und Potenzial: Ostschweizer sind neu im Besitz des Berner «Haus des Sportes»

am 16. Aug 2024
Entscheid ist noch nicht rechtskräftig

Keine Unterschutzstellung des Spitalhochhauses in St.Gallen

am 21. Aug 2024
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Michel Bossart

Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.