Auf einmal wird die Therapie aufgrund von Medienberichten gestoppt: «Satanic Panic» wurde für die Littenheider Traumapatienten zur vorläufigen Endstation ihrer Traumatherapie. Die Gruppe «Littendrin» wehrt sich gegen den aus ihrer Sicht willkürlichen Entscheid.
Die Traumapatienten und -patientinnen aus Littenheid fühlen sich im Regen stehen gelassen: Nach einem Untersuchungsbericht zu umstrittenen Therapien – Stichwort: «Rituelle Gewalt» oder «Satanic Panic» – hat die Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Clienia Littenheid mit verschiedenen Massnahmen reagiert. Unter anderem wurden auch alle laufenden Behandlungen gestoppt. 23 Betroffene haben sich in der Gruppe «Littendrin» zusammengeschlossen und kritisieren gemeinsam den Therapiestopp.
Yvonne S. und Tania G., die in Wirklichkeit anders heissen, sind enttäuschte und frustrierte Littenheider Traumapatientinnen. Tania sagt: «Die Therapie in Littenheid war hochprofessionell und hat mir das Leben gerettet. Ich würde sofort und ohne zu zögern, wieder hingehen.» Auch für Yvonne bedeutet der Therapieunterbruch in erster Linie eine grosse Verunsicherung. Sie sagt: «Wartelisten bei anderen Kliniken sind erstens lang und wir müssen mit der Aufarbeitung wieder ganz von vorne beginnen.» Ein stationärer Aufenthalt in einer anderen Klinik, da sind sich die beiden einig, sei frühestens in acht Monaten wieder möglich. Aus Unsicherheit, ob und wie es in Littenheid weitergeht, haben sich beide trotzdem auf die Warteliste anderer Schweizer Kliniken setzen lassen.
Rituelle Gewalt: Alle unter Generalverdacht
Doch was ist überhaupt geschehen? Warum wurde diese für traumatisierte Patienten so wichtigen Therapien gestoppt? Im Dezember 2022 hat der Kanton Thurgau einen Untersuchungsbericht zu Vorwürfen aus einer SRF-Dokumentation veröffentlicht, die sich an die Clienia Littenheid richteten. Unter anderem hiess es: Satanische Verschwörungstheorien («Satanic Panic») hätten bei der Behandlung eine Rolle gespielt. Vor allem einer der Ärzte habe «ein besonderes Interesse am Thema rituelle Gewalt und «Mind Control» entwickelt und die Kultur der beiden Traumastationen beeinflusst.» Die Gruppe Littendrin kontert in ihrer Mitteilung: «Keiner der Unterzeichnenden kam während der stationären Traumatherapie-Aufenthalte in der Clienia Littenheid in Berührung mit den vorgeworfenen falschen Erinnerungen. Auch wurden uns solche Gedanken zu keiner Zeit suggeriert.» Yvonne und Tania bestätigen das. Auch der Kontakt zum kritisierten und mittlerweile entlassen Arzt beschreiben sie als «auf Augenhöhe», «wertschätzend» und «sehr professionell». «Klar», sagt Yvonne, «Fehlbehandlungen und Missstände müssen aufgedeckt und Konsequenzen gezogen werden.» Dass man aber alle Traumapatienten unter den Generalverdacht der Fehlbehandlung stellt und ihre Therapie stoppt, damit haben Yvonne und Tania sowie die ganze Gruppe Littendrin ihre liebe Mühe.
Unzufriedenheit mit Übergangslösung
Auch wenn die Gruppe Littendrin Verständnis für die Aufarbeitung des Vorgefallenen aufbringen können, so kritisieren sie, dass nicht nur die Klinik Clienia Littenheid, sondern die gesamten Traumatherapien in Verruf geraten seien. «Dies aufgrund von Einzelfällen, die von vielen Medien mit dem schlagzeilenträchtigen und klickfördernden Stichwort «Satanic Panic» wiederholt verbreitet wurden und werden», heisst es in der Mitteilung. Dies habe zur Folge, dass ein Grossteil der Bevölkerung Traumatherapie als etwas wahrnehme, das grundsätzlich falsche Erinnerungen weckt und befördert.
Bis die Traumatherapien in Littenheid wieder aufgenommen werden können, gebe die Klinik Empfehlungen für andere Therapieplätze ab, wurde Yvonne und Tania versprochen. «Da ist aber gar nichts Brauchbares gekommen. Wir mussten uns selbst um alles kümmern», kritisieren die beiden die Klinikleitung. Eine Empfehlung sei beispielsweise die Einweisung in eine Akutstation gewesen. Tania sagt dazu: «Ein Aufenthalt in einer Akutstation ist für mich extrem triggernd und gar keine schöne Erfahrung. Da werden keine Therapien angeboten, sondern einfach Medikamente verabreicht. Solche Aufenthalte eigenen sich in erster Linie für suizidale Personen, aber nicht für alle Traumapatienten.»
Auch keine Hilfe von «pro mente sana»
Die beiden betroffenen Patientinnen wünschen sich von der Littenheider Klinikleitung, dass die Therapien für Intervallpatienten sofort wieder aufgenommen werden. Yvonne präzisiert: «Schön wäre es, wenn parallel zur Wiederaufnahme das neue Behandlungskonzept unter Miteinbezug der involvierten Berufsgruppen und Betroffenen ausgearbeitet werden könnte. Für uns ist Transparenz und eine offene, klare Kommunikation sehr wichtig.» Die beiden Traumapatientinnen sind auch von der Stiftung «pro mente sana» enttäuscht: Die Gruppe Littendrin habe sich sofort an die Stiftung gewandt und um Hilfe gebeten. «Leider sind unsere Bemühungen im Sand verlaufen und wir haben nie mehr etwas gehört. Das gibt uns das Gefühl, nichts wert zu sein.»
Ganz offensichtlich sind nicht alle Traumapatienten in Littenheid Opfer von «Mind control» beziehungsweise suggerierter ritueller Gewalt geworden. Nach eigenen Angaben therapierte die Clienia Littenheid vor dem Behandlungsstopp jährlich 350 Patienten auf der Traumastation. Der Untersuchungsbericht, der die Jahre 2019 bis 2022 unter die Lupe nahm, fand 10 Fälle, bei denen «Mind control» in irgendeiner Form ein Thema war. Auch wenn das natürlich 10 Fälle zu viel sind, so bedeutet der Therapiestopp und die Aufnahmeverweigerung der Clienia Littenheid für die Betroffenen nun in erster Linie grosse Unsicherheit und ein Gefühl, fallengelassen worden zu sein.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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