logo

Klipp & Klar

Die explosive Kraft der Digitalisierung

Die Manipulation der öffentlichen Meinung über die veröffentlichte Meinung gelingt immer weniger. Daran werden auch Milliardengeschenke an Medienkonzerne und schwerreiche Verlegerfamilien nichts ändern.

Kurt Weigelt am 14. Januar 2022

Der Begriff Subvention ist abgeleitet vom lateinischen Wort „subvenire“ (zu Hilfe kommen, beistehen, unterstützen). Mit staatlichen Leistungen wird ein bestimmtes, von der Politik gewünschtes Verhalten einzelner Unternehmen oder ganzer Branchen mitfinanziert. Gemäss den Verlautbarungen der Eidgenössischen Finanzkontrolle lauten dabei die beiden Grundsatzfragen: Wer soll unterstützt werden und inwieweit ist eine solche Hilfe überhaupt notwendig.

Geht es nach dem Willen des Bundesrates und der Mehrheit des Parlaments erhalten private Medien in den kommenden sieben Jahren zusätzliche Subventionen von rund einer Milliarde Franken.

Allerdings will weder der Bund noch der Verlegerverband offenlegen, welche Verlagshäuser in welchem Umfang mit Subventionen rechnen können. In eigener Sache ist Transparenz kein Thema. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die grossen Medienunternehmen TX Group (Tages-Anzeiger), NZZ und die Verlegerdynastien Ringier und Wanner über 70 Prozent der Subventionen kassieren werden.

Keinen Anspruch auf staatliche Gelder haben Gratiszeitungen und kostenlose Onlinemedien. Ausgehebelt werden damit alle Bürgerinnen und Bürger, die sich zusätzlich zu den Zwangsabgaben für die SRG von 335 Franken keine weiteren Abos leisten wollen oder können.

Ausgebremst wird zudem die junge Generation, deren Nutzer- und Leseverhalten stark durch kostenlose Onlinemedien geprägt ist. Dies im Gegensatz zur traditionellen Leserschaft gedruckter Tageszeitungen, die im besonderen Masse vom staatlichen Geldsegen profitieren. Einmal mehr gilt: Wer hat, dem wird gegeben.

Demokratie in Gefahr?

Noch fragwürdiger wird die ganze Angelegenheit, wenn man nicht nur den Profiteuren, sondern entsprechend den Vorgaben der Eidgenössischen Finanzkontrolle zusätzlich der Frage nachgeht, ob diese Subventionen überhaupt notwendig sind.

Für den Bundesrat ist der Fall klar. Die sinkenden Erträge bei den gedruckten Tageszeitungen als Folge rückläufiger Leserzahlen und Werbeeinnahmen und die Verlagerung des Medienkonsums ins Internet gefährden die politische Debatte. Unsere direkte Demokratie ist in Gefahr, so die Sicht des Bundesrates, und muss mit Steuergeldern gerettet werden.

Bemerkenswerterweise wird in der Botschaft des Bundesrates zum Medienpaket diese Ausgangsthese mit keiner weiteren Zeile begründet. Und dies wohl aus naheliegenden Gründen. Sie ist schlicht und ergreifend falsch.

Die direkte Demokratie lebt. Und wie. Von 2011 bis 2020 stimmte das Schweizer Volk über nicht weniger als 84 Initiativen und Referenden ab. Im Jahr 2021 wurden 10 Vorlagen an der Urne entschieden.

Im Vergleich dazu die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die gute alte Zeit, als es in der Stadt St.Gallen mit der Ostschweizer AZ (vormals Volksstimme), der Ostschweiz und dem Tagblatt noch drei Tageszeitungen gab. Von 1961 bis 1970 gelangten lediglich 29 Initiativen und Referenden zur Abstimmung.

Die Digitalisierung hat vieles verändert. Auch die Spielregeln der direkten Demokratie. Das Internet und insbesondere die sozialen Medien vereinfachen die Mobilisierung. Während die ehrwürdige FDP bei ihrer Bürokratie-Initiative im Jahre 2012 die notwendigen 100'000 Unterschriften nicht zusammenbrachte, gelingt es heute selbst Einzelkämpfern ohne institutionelle Verankerung ihre Anliegen an die Urne zu bringen. Erinnert sei etwa an die Hornkuh-Initiative oder die Trinkwasser-Initiative.

Vergleichbar die Entwicklung bei den Referenden. Die Gegnerinnen und Gegner des überarbeiteten Covid-19-Gesetzes brauchten nur rund drei Wochen, um 187'000 Unterschriften zu sammeln, fast viermal so viel wie nötig. Und dies ohne jede Unterstützung etablierter Parteien und Verbände.

Erfolgreich auch das Referendum gegen die Mediensubventionen. Obwohl die angeblich der Meinungsvielfalt verpflichteten Tageszeitungen und die regionalen Fernsehsender die Berichterstattung zu diesem Referendum mehr oder weniger boykottierten, sammelten die Referendumsführer über 110'000 Unterschriften.

Multiplikatoren haben ausgedient

Die Erfolgslosigkeit dieser redaktionellen Informationsverweigerung dokumentiert die zweite grosse Veränderung. Die etablierten Redaktionen haben die Lufthoheit über die politische Berichterstattung verloren. Die Zeiten sind vorbei, als stolze Chefredaktoren darüber entscheiden konnten, welchen Themen und welchen Personen mediale Öffentlichkeit zugestanden wird.

Die explosive Kraft der Digitalisierung liegt nicht in sinkenden Auflagen und Zuschauerzahlen oder einem rückläufigen Inserateaufkommen, sondern im Bedeutungsverlust traditioneller Gatekeeper.

Heute kann jeder dank den sozialen Medien mit seinen Botschaften kosten- und zeitverzugslos Millionen von Interessierten auf der ganzen Welt erreichen. Dies gilt für die einzelne Bürgerin wie für twitternde Staatspräsidenten.

Medienkonzerne und Chefredaktionen, aber auch die Kommunikationsabteilungen von Regierungen und Unternehmen haben an Relevanz eingebüsst. In der Vergangenheit mächtige Multiplikatoren sind nur noch ein Schatten einstiger Grösse. Und exakt hier liegt das Problem des Bundesrats.

Die traditionellen Seilschaften zwischen Politik und Medienschaffenden verlieren an Bedeutung. Regierungen und Parlamentarier leiden unter Kontrollverlust. Die Manipulation der öffentlichen Meinung über die veröffentlichte Meinung gelingt immer weniger. Daran werden auch Milliardengeschenke an Medienkonzerne und schwerreiche Verlegerfamilien nichts ändern. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.

Subventionen machen abhängig und blockieren notwendige Transformationsprozesse. Bestehende Strukturen werden zementiert, Neues behindert. Dieser Stillstand und nicht die Herausforderungen der Digitalisierung gefährden unsere politischen Prozesse. Das Medienpaket ist abzulehnen. Im Interesse unserer direkten Demokratie.

Bild: Thomas Ulrich auf Pixabay

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Kurt Weigelt

Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.