Was heisst es eigentlich, im falschen Körper geboren zu sein? Welche Operationen sind möglich? Und wie verbreitet sind die Anfragen inzwischen? Dr. med. Barbara Bischofberger-Baumann gibt Einblicke in ihren Berufsalltag am Kantonsspital St.Gallen.
Wir lesen zwar vermehrt über Geschlechtsdysphorie – wie oft haben Sie am Kantonsspital St.Gallen überhaupt im Alltag damit zu tun?
In der Klinik für Endokrinologie am KSSG fanden im Jahr 2022 rund 150 Konsultationen in der Gendervarianz-Sprechstunde statt, darin enthalten sind sowohl Neuvorstellungen als auch Folgekonsultationen.
Mit welchen Anliegen kommen die Betroffenen auf Sie zu?
In die Klinik für Endokrinologie kommen die Personen primär mit dem Wunsch nach einer hormonellen Geschlechtsangleichung, dies bedeutet bei Transmännern (Frau-zu-Mann) eine Testosterongabe, bei Transfrauen (Mann-zu-Frau) eine Östrogengabe und meist zusätzlich eine Testosteron-blockierende Therapie. Ob weitere körperliche Angleichungen gewünscht sind, ist sehr individuell. Bei Bedarf besprechen wir mit den Patient:innen im Verlauf weitere Schritte. Da sich der Bartwuchs und die Körperbehaarung durch die Östrogengabe nur bedingt und die Stimme gar nicht verändert, besteht bei vielen Transfrauen der Wunsch nach einer Laserbehandlung oder Epilation, sowie logopädischem Stimmtraining. Manche Personen wünschen später auch eine genitale Geschlechtsangleichung oder eine Angleichung der Brust, wir besprechen und veranlassen dann eine entsprechende Überweisung.
Womit haben Sie am Kantonsspital St.Gallen Erfahrungen – und wo müssen Sie vielleicht die Betroffenen weiterleiten?
Personen mit einer Genderdysphorie werden am KSSG interdisziplinär betreut. Nebst der Hormontherapie werden psychologische Erstgespräche oder Begleitungen, gynäkologische und urologische Vorsorgeuntersuchungen, Stimmabklärungen und logopädisches Training, Laserbehandlungen bei störendem Bartwuchs und Körperbehaarung, Fertilitätserhalt, sowie auch Brustoperationen (Entfernung bei Transmännern oder Aufbau bei Transfrauen) angeboten. Operationen zur genitalen Geschlechtsangleichung sind am KSSG bislang nicht möglich, dazu überweisen wir die Patient:innen an spezialisierte Zentren.
Welche Voraussetzungen müssen zwingend erfüllt sein, damit eine medizinische oder chirurgische Anpassung angestrebt werden kann?
Auch wenn es sich bei der Genderdysphorie oder Genderinkongruenz um eine Selbstdiagnose handelt, besprechen wir mit den Betroffenen vor Beginn medizinischer oder operativer Massnahmen immer eine Vorstellung bei einer psychologischen oder psychiatrischen Fachperson. Es ist wichtig, dass der Wunsch, im anderen Geschlecht zu leben, persistiert und keine psychische Erkrankung vorliegt, die die Urteilsfähigkeit einschränkt. Alle medizinischen und operativen Massnahmen müssen auf der Basis eines «informed consent» möglich sein, d.h. die Betroffenen müssen sich der Folgen und möglichen Nebenwirkungen der geschlechtsangleichenden Massnahmen vollumfänglich bewusst sein. Oftmals liegen zudem psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Belastungsstörungen vor. Es ist wichtig, vorgängig zu beurteilen, ob sich diese unter der hormonellen oder operativen Geschlechtsangleichung verschlechtern könnten.
Zusätzlich wird vor Beginn einer Therapie auch eine ausführliche Anamnese und Laboruntersuchung durchgeführt, zur Abklärung, ob Erkrankungen vorliegen, die sich vor allem unter Hormontherapie verschlechtern könnten oder selten sogar dagegen sprechen.
Ist eine Operation häufig erwünscht? Oder gibt es noch andere Möglichkeiten, den Leidensdruck zu lindern?
Wie weit die Betroffenen in ihrer Transition, also in der körperlichen Angleichung, gehen möchten, ist sehr individuell. Für manche ist die amtliche Änderung von Namen/Geschlecht bereits ausreichend, viele wünschen sich eine hormonelle Therapie. Transmänner entscheiden sich oft für eine Mastektomie, da die weibliche Brust nicht zu ihrem männlichen Äusseren passt und sie stigmatisiert werden. Die genitale geschlechtsangleichende Operation steht bei vielen nicht im Vordergrund und wird erst später oder auch gar nicht zum Thema.
Die körperlichen Gegebenheiten sind das eine, die psychischen jedoch ganz andere. Ist es der Normalfall, dass Betroffene – auch nach einer möglichen Operation – ihr ganzes Leben lang psychologisch betreut werden (müssen)?
Bei vielen Betroffenen verringert sich der Leidensdruck durch die körperliche Angleichung an das erlebte Geschlecht deutlich oder verschwindet sogar vollständig, so dass keine psychologische Begleitung mehr nötig ist. Wir erwähnt liegen bei den Betroffenen aber gelegentlich psychologische Begleiterkrankungen vor, die weitere eine Betreuung oder Behandlung erfordern.
Wie sieht es mit den Kosten aus? Übernimmt die Krankenkasse einen Teil der Kosten?
In der Regel werden die Kosten für die Behandlung von der Krankenkasse übernommen.
Kommen vermehrt Erwachsene zu Ihnen oder auch bereits Kinder mit ihren Eltern?
Am Kantonsspital St. Gallen behandeln wir nur erwachsenen Personen mit einer Genderdysphorie. Davon betroffen sind aber auch Kinder, diese werden am Ostschweizer Kinderspital betreut.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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