logo

Wahlen 2019 und die «Nachrücker»

Die Hintertür zum Bundeshaus ist ziemlich gut verschlossen

Nicht nur, wer gewählt wird, auch wer sich gleich dahinter platziert, erhält bei Wahlen Aufmerksamkeit. Tritt ein Wahlgewinner während der Legislatur zurück, rutscht der Nächstplatzierte nach. Allerdings kann sich in St.Gallen und im Thurgau fast niemand diese Hoffnung machen.

Stefan Millius am 21. Oktober 2019

Nehmen wir den Fall mal aus, den sich niemand erwünscht: Ein Nationalrat, eine Nationalrätin ist gesundheitlich nicht mehr in der Lage, das Amt auszuführen oder stirbt sogar. Das ist glücklicherweise die grosse Ausnahme, Sehr viel öfter passiert es, dass jemand nicht mehr will und vor den nächsten Wahlen das Handtuch wirft. Das kann der Fall sein, wenn ein anderes Amt winkt. Kathrin Hilber (SP) war seinerzeit nicht lange im Nationalrat, weil sie bald St.Galler Regierungsrätin wurde. Oder aber, und das ist oft so, jemand räumt seinen Platz, damit der Nachrücker etwas Zeit hat, sich im Parlament zu profilieren - und bessere Chancen auf eine Wiederwahl hat.

Das allerdings dürfte in der kommenden Legislatur in der Ostschweiz kaum geschehen. Ziemlich wahrscheinlich ist es sogar nur in einem einzigen Fall. Aber es gibt natürlich einige Leute, die hoffen.

Bei den vier Nationalräten der St.Galler SVP sticht keiner heraus, der bereit sein könnte, vorgängig zu gehen. Lukas Reimann hat zwar schon einige Amtsjahre, ist aber immer noch einer der Jüngeren im Bundeshaus. Mike Egger ist ein Nachrutscher, der nun - sehr gut gewählt - die erste volle Legislatur angeht. Esther Friedli hat deutlich gemacht, dass sie keine Regierungsambitionen hat und Nationalrätin sein will. Eine theoretische Möglichkeit besteht bei Roland Rino Büchel, er könnte in den Ständerat gewählt werden, dann wäre der erste Ersatz gefragt. Und das ist der abgewählte Thomas Müller. Gut möglich, dass er keine Lust auf eine Rückkehr hätte, dann wäre die ebenfalls abgewählte Barbara Keller-Inhelder an der Reihe. Mag sie auch nicht, dann würde der Stab weiter nach unten gereicht - zu Michael Götte.

Bei der CVP-Liste Südost wird Markus Ritter kaum früher abdanken. Täte er es, würde der Mann jubeln, der gestern bitter enttäuscht wurde: Der abgewählte Thomas Ammann. Und würde das Mandat wohl auch annehmen angesichts der Tatsache, dass er ja keineswegs schmachvoll entfernt wurde, sondern Listenpech hatte.

Zur CVP-Liste Nordwest: Auch hier darf sich der erste Ersatz Andreas Widmer wenig Hoffnungen machen. Der gewählte Nicolo Paganini rutschte in der letzten Legislatur selbst nach und dürfte keine Veranlassung sehen, vorzeitig zu gehen.

Die beiden SP-Nationalrätinnen Barbara Gysi und Claudia Friedli haben ihre Schäfchen im Trockenen. Gysi ist seit 2011 im Parlament, Friedli seit 2013. Damit sind beide noch keine Urgesteine und können ihre Legislatur vollenden, ohne als Dinosaurier zu gelten. Erster Ersatz ist Arber Bullakaj. Es wäre aber wenig «SP-like», ohne Not eine Frau gegen einen Mann auszutauschen. Also wird wohl auch hier nichts gehen. Mit Ausnahme eines Szenarios: Paul Rechsteiner (wenn er jetzt wiedergewählt wird) hört vorzeitig auf als Ständerat, um in einer Ersatzwahl der SP bessere Karten zu verschaffen, Barbara Gysi kandidert und wird gewählt. Aber hier lehnen wir uns schon sehr heftig aus dem Fenster.

Nicht anders sieht es aus bei der St.Galler FDP. Marcel Dobler startet in seine zweite Amtszeit, Susanne Vincenz-Stauffacher ist frischgebackene Nationalrätin. Hätte Dobler bei der Ständeratswahl besser abgeschnitten, könnte sich Karin Weigelt als erster Ersatz gewisse Hoffnungen machen, aber Dobler ist dort aus dem Rennen. Weigelt muss also auf eine neue Chance warten, vermutlich bei den Kantonsratswahlen.

Dass der neue GLP-Nationalrat Thomas Brunner innerhalb seiner ersten Legislatur die Lust verliert, ist nicht anzunehmen. Entsprechend wird Pietro Vernazza, der von Platz 2 grüsst, auch nicht nach Bern fahren innerhalb der nächsten vier Jahre - oder dann höchstens privat. Dasselbe lässt sich bei den Grünen sagen, wo Franziska Ryser den Sitz holte und alt Nationalrätin Yvonne Gilli damit kaum an ihre alte Wirkungsstätte zurückkehren wird.

Und nun zum Thurgau - mit einem ähnlichen Bild.

Bei der SVP ist Diana Gutjahr noch sehr amtsjung, Manuel Strupler wurde soeben gewählt, Verena Herzog ist seit 2013 im Amt. Das riecht alles nicht nach einem verfrühten Abgang. Profitieren würde, falls doch, Daniel Vetterli.

Christian Lohr von der CVP tritt nach geglückter Wiederwahl seine dritte Amtszeit an. In seinem Fall ist es theoretisch denkbar, dass er sich irgendwann sagt: Neun, zehn oder elf Jahre sind genug. Allerdings hat Lohr eine wichtige Aufgabe als Vertreter von Menschen mit einer Behinderung im Parlament - eine Seltenheit. Sollte er aber gehen, würde Josef Gemperle nachrücken.

Der Neo-Nationalrat der Grünen, Kurt Egger, wird seine Amtszeit geniessen und kaum Platz machen für Peter Dransfeld, der hinter ihm platziert war.

Und nun der wohl wahrscheinlichste Fall einer Rochade: Die SP. Edith Graf-Litscher sitzt seit 2005 im Nationalrat. Sie könnte guten Gewissens das Feld früher räumen. Zumal sie der Präsentin der Kantonalpartei Platz machen würde, Nina Schläfli. Die hätte dann gute Karten bei der nächsten Wahl als Bisherige. Und sie gilt ohnehin als Zukunftschance der Thurgauer SP. Wenn sich etwas tut in den kommenden vier Jahren, dann wohl hier.

Übrigens: In Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden ist nachrutschen kein Thema. Dort wird nach Majorz gewählt, und will einer nicht mehr, heisst es: Ab an die Urne.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.