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Fast 9 von 10 Portugiesen sind doppelt geimpft, über 60 Prozent geboostert. Und dennoch werden kaum irgendwo so viele positiv Geteste gezählt wie hier. Zwei Ostschweizer in Portugal schildern, was sich derzeit im Land abspielt.
Länder mit tiefer Impfquote und vielen Coronafällen: Das ist es, was sich die hiesigen Medien wünschen und worüber sie gern berichten. Im Fall von Portugal blieb ihnen angesichts der aktuellen Lage nun kaum etwas anderes übrig, als das Gegenbeispiel vorzuführen.
Und dieses Beispiel ist vielsagend. In Portugal ist die Impfbereitschaft überdurchschnittlich. Aber inzwischen führt das Land die Rangliste der gemeldeten Inzidenzen in Europa deutlich an. Die Spitäler seien überlastet, es gebe viele Todesfälle, schreibt beispielsweise «Watson» und führt das auf eine neue Variante des Virus zurück.
Die Ostschweizer Manuel Kuster und Andrea Reinwald leben seit 2013 in Portugal, weit auf dem Land und fernab grosser Städte. Was derzeit geschieht, beobachten sie von dort aus aber aufmerksam. Sie bestätigen auf Anfrage, dass in ihrer Wahlheimat grosse Aufregung herrscht. Allerdings führen sie das nicht auf das Virus zurück, sondern auf den Umgang damit. Viele Spitäler seien in der Tat überlastet, sagt Andrea Reinwald, «aber das waren sie schon vor der Pandemie, es werden zu wenig Leute angestellt, und die Arbeitsbedingungen sind schlecht.» Es gebe zu wenig Ärzte und Pflegepersonal. Werden nun wie aktuell wieder massenweise Tests durchgeführt und jede Erkrankung auf Corona zurückgeführt, sei es klar, dass die Belastung der Spitäler dem Virus zugeschrieben werde.
Die Rede ist in den Medien auch von einem Anstieg der Todesopfer. In Portugal gilt jeder positiv Getestete, der innerhalb der nächsten 28 Tage verstirbt, automatisch als Opfer von Covid-19. Die von «Watson» angeführten jüngsten Todesfälle von rund 230 in einer Woche stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den bis zu 30'000 gemeldeten Infektionen im gleichen Zeitraum. Gäbe es einen direkten Zusammenhang mit dem Virus, müsste die Todesrate viel höher sein. Diverse Länder verzeichnen viel weniger positive Fälle als Portugal, aber nicht entsprechend viel weniger Todesfälle.
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Was derzeit in Portugal geschieht, erinnert an frühe Phasen der Coronasituation. Viele Leute im Land reagieren laut Reinwald und Kuster mit Angst. Sie rufen beispielsweise nach einer Rückkehr der Maske, und bereits beschlossen ist, dass Tests wieder kostenlos sind. Auch die Spaltung der Gesellschaft scheint zurückzukehren. «Viele sagen bereits wieder, an der aktuellen Lage seien die Leute schuld, die nach der Aufhebung der Massnahmen einfach wieder gelebt, gefeiert und sich getroffen haben ohne Maske», so Reinwald. Das, obschon die Impfkampagne für den Schutz vor starken Verläufen und einer Entlastung des Gesundheitssystems hätte sorgen sollen.
Vor allem bei den Jüngeren sei zu beobachten, dass sie sich wieder stärkere Einschränkungen zum Schutz wünschen. Die Risikogruppen sind laut den beiden Auswanderern deutlich entspannter und hätten die Nase voll von Massnahmen. Diese seien es auch, die allmählich Fragen stellen. Monatelang wurde ihnen die Impfung als Ausweg verkauft, nun stellen sie fest, dass ihre Heimat wieder am Ausgangspunkt angelangt ist – trotz 87 Prozent doppelt Geimpfter.
Bereits gibt es Forderungen der Gastronomiebranche, man solle zur Maske zurückkehren. Der Grund: Die Restaurants leiden unter Personalausfällen. Meist aber nicht aufgrund einer Erkrankung, sondern weil die Leute nach einem positiven Test fehlen, selbst wenn sie kerngesund sind. Dass die Wirtschaft erneute Ertragsausfälle fürchtet, begreift Andrea Reinwald, aber: «Die Verbände verstehen nicht, dass es nicht das Virus ist, das sie finanziell schädigt, sondern die Massnahmen.»
Da die Medien täglich von neuen Höchstständen bei den Ansteckungen berichten und die Impfung inzwischen von vielen als nutzlos angesehen wird, verbreitet sich in der Bevölkerung die Ansicht, man müsse sich eben anders schützen «Jeden Moment könnte die Maskenpflicht zurückkehren», befürchten Reinwald und Kuster, «wir sitzen wie auf Nadeln.»
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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