In Herisau war am Sonntag ein Sitz im Gemeinderat im Rahmen einer Ersatzwahl neu zu besetzen. Das ist wie erwartet im ersten Durchlauf noch nicht passiert. An einer Überraschung fehlte es dennoch nicht. Eine Wahlnachlese mit Symbolcharakter.
Eine Kandidatin, portiert von der FDP, die seit vielen Jahren politisch und ehrenamtlich für diverse Organisationen in Herisau und dem Appenzellerland aktiv ist. Ein Kandidat, der vom Gewerbe nominiert wird und die Sportvereine hinter sich weiss. Diese Ausgangslage wäre spannend genug für einen Zweikampf mit offenem Ausgang.
Kommt eine dritte, weit weniger bekannte und parteilose Kandidatur dazu, ist meist nur die Frage: Welchem der beiden anderen nimmt der vermutlich aussichtslose Versuch mehr Stimmen weg?
In Herisau war alles anders. FDP-Kandidatin Monika Baumberger und Gewerbe-Kandidat Patrik Kobler fanden sich bei der Ersatzwahl in den Herisauer Gemeinderat (Exekutive) weit abgeschlagen auf den Plätzen 2 und 3. Die parteilose Gegenkandidatin Stefanie Danner (Bild oben), bisher politisch ein unbeschriebenes Blatt, räumte aus dem Stand ab und verpasste das absolute Mehr nur um einige Dutzend Stimmen. Hätte sie die geholt, wäre die Sensation noch grösser gewesen als sie ohnehin schon ist.
Danner holte am Sonntag 1316 Stimmen, auf Baumberger entfielen 766, Kobler machte 707. Das bei einer ziemlich miserablen Stimmbeteiligung von nicht einmal 30 Prozent.
Eine lokale Wahl, dazu noch in Herisau, einem Dorf, das bei Wahlen gerne aus der Norm fällt: Es wäre so gesehen nicht weiter der Rede wert. Aber das Resultat deutet auf Entwicklungen hin, die sich immer öfter abzeichnen. Beispielsweise die Feststellung, dass ein Parteibuch, früher Voraussetzung für eine politische Karriere, heute kein Garant mehr dafür ist, vielleicht sogar eher ein Hindernis. Die FDP, einst in Appenzell Ausserrhoden diskussionslos die stärkste Kraft, hat seit geraumer Zeit Mühe, ihre Leute durchzubringen. Monika Baumberger, Mitglied des Einwohnerrats (Parlament) von Herisau und durchaus verdiente Lokalpolitikerin, war kaum als Person so umstritten, dass es nicht für mehr gereicht hat. Es sieht so aus, als wünsche sich die Wählerschaft vermehrt Leute, die keiner Partei «verpflichtet» sind.
Ähnlich bei Patrik Kobler. Der gehört zwar keiner Partei an, wurde aber vom Gewerbeverein ins Rennen geschickt, der in Herisau durchaus etwas zu sagen hat. Dazu kam die Herisauer Sportwelt, in der Kobler seit vielen Jahren verankert ist. Auch sie stellte sich hinter die Kandidatur. Aber entweder war das nur die Parole eines Vorstands, die nicht bis zur Basis vorgedrungen ist oder die bewusste Basis war zu faul, an die Urne zu gehen. Jedenfalls ist es ein Kunststück, Gewerbe und Sport hinter sich zu wissen und dann von einer Quereinsteigerin ohne Partei im Rücken derart überflügelt zu werden.
Das Zauberwort ist wohl die Glaubwürdigkeit. In Sachen Sport verfügt Patrik Kobler mehr als ausreichend über diese, seit vielen Jahren engagiert er sich ehrenamtlich in diesem Bereich. Ein «Gewerbler» im Selbstverständnis dieser Wählergruppe ist er aber kaum. Der Journalist, zuvor für Radio SRF tätig, hat sich erst kurz vor der Kandidatur selbständig gemacht. Ob ein Schreinermeister oder ein Ladeninhaber sich in diesem Profil erkennt und sich davon einen Mehrwert verspricht, ist offen.
Stefanie Danner, die sich über das Resultat noch überraschter zeigte als die Gegenseiten, war für viele, die an die Urne gingen, wohl das berühmte «frische Gesicht». Die 37-Jährige wohnt erst seit sechs Jahren in Herisau. Das kann gerade in engen Verhältnissen ein Vorteil sein, man bringt weniger alte Feindschaften mit in die Wahl. Die Betriebsökonomin wirkte auch bei öffentlichen Auftritten unverbraucht und motiviert. Niemand konnte ihr anlasten, mit der Wahl in den Gemeinderat die übliche politische Ochsentour krönen zu wollen. Oder anders ausgedrückt: Man bekam den Eindruck, dass sie wirklich wollte. Was man natürlich auch ihren Gegenkandidaturen nicht einfach absprechen kann. Aber politische Parolen und Sachfragen werden bei Wahlen oft überschätzt; es ist meist der Bauch der Wählerinnen und Wähler, der entscheidet.
Danner hat bereits angekündigt, am 2. Wahlgang teilzunehmen. Alles andere wäre auch seltsam gewesen. Monika Baumberger und Patrik Kobler haben bis Mittwoch Zeit, sich zu entscheiden. Dafür dürften auch Gespräche hinter den Kulissen nötig sein. Denn dass sich das Gewerbe und die FDP beide noch einmal in die Schlacht werfen, ist nicht anzunehmen, es wäre angesichts dieses Resultats aussichtslos. Technisch gesehen besteht eine Chance, wenn sich die beiden auf eine Kandidatur einigen.
Aber das könnte von der Wählerschaft als Zwängerei gegenüber der Kandidatin ausgelegt werden, die schon im ersten Anlauf fast das Wunder geschafft hat. Und dann könnte es noch schlimmer kommen, als es schon ist.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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