Der Bundesrat wird am Mittwoch die Ausweitung der Zertifikatspflicht auf weitere Bereiche des Lebens bekanntgeben. Das wissen wir dank den ihm zugewandten Medien. Abhalten kann man die Landesregierung kaum davon. Aber vielleicht wenigstens ein paar letzte Gedanken einbringen.
Wer das Recht auf seinen eigenen Körper wahrnehmen will, wird schon bald auf Besuche im Restaurant, im Zoo, im Museum oder in Freizeitparks verzichten müssen. Es sei denn, er ist gut betucht und mit genügend Zeit ausgestattet, sich routinemässig dauernd testen zu lassen. Die Ausweitung der Zertifikatspflicht, vor zwei Wochen noch gönnerhaft vertagt, soll am Mittwoch Wirklichkeit werden. Das sagen uns jedenfalls die Medien, die einen direkten Draht ins Bundeshaus haben. Oder etwas weniger elegant ausgedrückt: Die Hand in Hand mit dem Bundesrat arbeiten, um dessen Politik zum Erfolg zu verhelfen – und sich selbst zu umfangreichen Subventionen.
Die Grundlage für die Entscheidung werden nicht etwa aktuelle Zahlen sein, sondern Prognosen. Nein, das Gesundheitssystem ist nicht überlastet. Ja, Spitäler vertagen aktuell andere Operationen auf eine unbestimmte Zukunft, aber nicht, weil sie zu wenig Kapazitäten haben, sondern weil sie davon ausgehen, bald zu wenige zu haben. Sie handeln rein präventiv auf überaus schwachen Grundlagen.
An dieser Stelle könnte man den rasanten Abbau von Intensivbetten aus den offiziellen Statistiken beklagen, der dieser Begründung Vorschub liefert. Oder darüber sprechen, mit welch unterschiedlichem Fleiss Geimpfte und Ungeimpfte auf das Virus getestet werden, was der Statistik natürlich gut tut. Aber Hand aufs Herz: Wer das bis heute nicht mitgekriegt hat, wird sich auch von einer Neuauflage der Information nicht sonderlich beeindrucken lassen.
Prognosen sind Salz und Pfeffer seit über eineinhalb Jahren. Die Entscheidungen von Bund und Kantonen leben nicht vom Hier und Jetzt, sondern von dem, was angeblich schon bald eintreten wird. Dass das so gut wie nie der Fall ist, scheint niemanden zu stören. Das unablässige Bombardement mit Horrorszenarien hat dazu geführt, dass ein satter Teil der Bevölkerung glaubt, wir steckten bereits mitten in diesen Szenarien. Selten hat ein Ereignis mit so wenig realen Auswirkungen zu so viel Angst geführt wie die Coronasituation.
Die Ausweitung der Zertifikatspflicht hat einen einzigen Sinn: Menschen zur Impfung zu bewegen. Sie lässt sich nicht anders begründen. Niemand wird gefährdet, wenn ein Ungeimpfter mit Maske an einen Tisch in einem Restaurant spaziert und es sich dort gut gehen lässt. Niemand wird gefährdet, wenn ein Ungeimpfter mit seinen Kindern durch einen Zoo pilgert. Mit Sicherheit ist es jedenfalls nicht gefährlicher als wenn sich tausende von Menschen an einer Pride-Parade durch Zürich bewegen. Aber es ging nie um Sicherheit. Es ging nie um Gesundheit. Es ging immer nur darum, die Impfquote zu erhöhen.
Warum? Das wird hoffentlich die Geschichte eines Tages zeigen. Sicher ist nur: Die Entscheidungen, die der Bundesrat am Mittwoch verkünden wird, haben keine Basis, kein Fundament. Sie sind Teil einer Strategie. Menschen werden ausgeschlossen aus dem gesellschaftlichen Leben, weil sie sich dem Wunsch der Regierung widersetzen. Und dieser Wunsch wiederum ist nicht plausibel begründbar. Was vermutlich zeigt, dass eine direkte Demokratie rein gar nichts wert ist, wenn sich Menschen wie eine Herde verirrter Schafe vor sich hertreiben lassen.
Was wird bald passieren? Viele Leute werden einknicken. Sie wollen sich zwar nicht impfen lassen, weil sie keine Notwendigkeit dafür sehen. Sie erkennen zu Recht keine Gefahr für sich selbst, und ebenso zu Recht lassen sie sich nicht zu Sündenböcken für die aktuelle Situation machen. Die Pandemie, so es eine ist, wird nicht durch Ungeimpfte aufrecht erhalten, sondern durch Entscheidungen der Politik. Sie diktiert die Notlage, die keine ist. Sie bestimmt, wie lange diese Notlage gilt. Und nicht das Virus. Dieses könnte längst eine vernachlässigbare Grösse in unserem Alltag sein, wenn es die Politik zulassen würde.
Mit einer Ausweitung der Zertifikatspflicht wird die Gruppe der Leute, die am Recht auf den eigenen Körper festhalten wird, weiter marginalisiert. Je kleiner sie ist, desto einfacher wird es sein, sie auszugrenzen, ihre Angehörigen als verrückte Querdenker zu diffamieren. Das ist das Ziel dieser Übung. Und nichts anderes.
Wenn der Bundesrat das tut, und er wird es wohl tun, erringt er einen Etappensieg. Er holt viele neue Leute auf seine Seite, die den einfachen Weg wählen. Tun, was gefordert wird und sich weiter frei bewegen können.
Aber welche Landesregierung wünscht sich ein Volk voller Opportunisten?
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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