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Kaum Beitrag zur «Belebung»

Die liberaleren Öffnungszeiten sind nur Feigenblatt

Der St.Galler Stadtrat hat mit seiner Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten alle überrascht.  Doch was bringt die Massnahme wirklich? Dass die Attraktivität für Touristen steigt, ist zu bezweifeln. Dafür wächst die Gefahr, dass die Stadtregierung nun denkt: Das muss ja wohl reichen.

Stefan Millius am 02. Juni 2020

Montag bis Samstag von 6 bis 20 Uhr, am Sonntag von 10 bis 17: So sehen die neuen Öffnungszeiten für den Detailhandel in der Stadt St.Gallen aus. Es ist kein Muss, aber wer seine Präsenz ausdehnen will, hat seit dem 1. Juni die Option. Die euphorische Reaktion der «Lädeli» ist bisher ausgeblieben. Zu hören waren vor allem die Gewerkschaften mit einem lautstarken Protestschrei.

Die Angst der Gewerkschaften dürfte überflüssig sein. Denn dass nun plötzlich viele Läden länger offen haben, ist nicht zu befürchten. Viele Ladenbesitzer reagieren sehr zurückhaltend. Weil sie genau wissen: Wenn es um Touristen geht, sind sie nicht der Anziehungspunkt Nummer 1, sie sind eher ein Nebeneffekt. Sprich: Wenn sich die Stadt gastfreundlich und spannend präsentiert, wenn sie lebt, wenn Veranstaltungen stattfinden können, dann kommen die Menschen. Und dann kaufen sie hoffentlich auch ein. Niemand aber wird nach St.Gallen pilgern, weil die Filiale eines holländischen Kleiderkonzerns ein Stündchen länger offen hat. Das zeigt ja schon die abnehmende Bedeutung des Abendverkaufs.

Das Problem ist, dass St.Gallen in Bezug auf den Ladenmix austauschbar geworden ist. Man kann natürlich schon den Onlinehandel verdammen und zum lokalen Einkaufen aufrufen. Aber gefühlte 90 Prozent der Detailhandelsflächen in der Stadt sind mit Weltmarken gefüllt, bei denen es keine Rolle spielt, ob man in Zürich, Basel oder St.Gallen shoppt. Da hat online immerhin den Vorteil, dass wenigstens immer alle Grössen und alle Farben verfügbar sind… Detailhändler, die typisch st.gallisch und damit unverwechselbar sind, gibt es eine Handvoll in der Innenstadt. Doch nur mit diesen punktet man.

Vor diesem Hintergrund sind längere Öffnungszeiten, so willkommen sie im Grundsatz aus ordnungspolitischer Sicht sind, ziemlich wirkungslos, wenn sie nicht von weiteren Attraktivitätssteigerungen begleitet werden. Und mehr noch: Sie sind ein Feigenblatt. Dass St.Gallen «tötelet» und dringend belebt werden müsste, ist seit Ewigkeiten ein Thema. Der Stadtrat kann nun sagen: «Wir haben den Detailhändlern ja mehr Möglichkeiten gegeben, nützen müssen sie diese selbst.» Nur: Die Parkplatzsituation ist noch immer dieselbe, die Innenstadt präsentiert sich nicht plötzlich gastfreundlicher, die Gastronomie hat noch immer dieselben Auflagen. Und nach wie vor ist die Frage, ob ein Kundenstopper im öffentlichen Raum zwei Zentimeter zu weit links ist, für die Verwaltung viel wichtiger als eine boomende Stadt. Das neue «Vollzugsreglement» - das Wort sagt eigentlich alles - sorgt nicht einfach für Belebung, die lässt sich leider nicht behördlich verordnen. Zu glauben, vor diesem Hintergrund würden sich die Kunden auf die neu gewonnenen Abendstunden stürzen, wäre naiv.

Allerdings glaubt man das im Rathaus offenbar wirklich. Wörtlich heisst es: «Als eine der zehn grössten Schweizer Städte will sie (die Stadt St.Gallen, Red.) die touristische Attraktivität der Innenstadt durch erweiterte Ladenöffnungszeiten weiter steigern.» Hervorgegangen ist die Idee übrigens aus einem Nebengleis des Projekts «Zukunft St.Galler Innenstadt». Nun kann man nur beten, dass das nicht bereits die beste Idee aus diesem Kreis war.

Denn was jetzt passieren kann und wohl auch wird: Der eine oder andere Laden mit einer nationalen oder globalen Marke im Rücken dehnt die Öffnungszeiten tatsächlich aus, doch sind das nicht die Geschäfte, die Touristen elektrisieren (die haben sie selbst). Kleinere Läden verzichten dankend, weil es keine Anzeichen dafür gibt, dass sich zwischen 19 und 20 Uhr plötzlich wie durch ein Wunder mehr Leute in der Innenstadt tummeln. Und bei der nächsten politischen Diskussion über Rahmenbedingungen für den Detailhandel wird es heissen, man habe diese ja bereits verbessert. 

Neckisch übrigens auch, dass man nun länger einkaufen kann, just wenn am Marktplatz die letzten perfekten Parkplätze für den schnellen Einkauf verschwunden sind. Durchdacht ist anders.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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