Seit den letzten Wahlen im Kanton St.Gallen verfügen SVP und FDP über eine komfortable Mehrheit im Kantonsrat. 30 Monate später steht fest: Die Bilanz dieser Konstellation ist bescheiden. Rechtsbürgerlich ist die Politik im Kanton jedenfalls nicht geworden.
«Ein Frust» sei es, im Kanton St.Gallen zu politisieren, sagt ein SVP-Kantonsrat, der keine Lust hat, seinen Namen neben dieser Aussage zu sehen. Unmittelbar nach dem Wahlsonntag habe er nach ein bisschen Arithmetik die Hoffnung gehabt, dass nun ein anderer Wind wehe. Rund zweieinhalb Jahre später ist bei ihm Ernüchterung eingetreten. «Wie gehabt», so seine Bilanz.
Eine erstaunliche Bilanz. Denn die Machtverhältnisse haben sich deutlich verändert. Nur weitgehend ohne Auswirkungen.
Bei den Wahlen 2012 hatte die SVP 35 Mandate errungen, die FDP 22. Das macht zusammen 57. Bei der Gesamtzahl von 120 Sitzen ist das - die Rechnung ist schnell gemacht - keine Mehrheit. Die Addition macht deshalb Sinn, weil trotz aller Differenzen die Schnittmenge an gemeinsamen Positionen in den wirklich wichtigen Fragen bei SVP und FDP am grössten ist. Steuern, Standortpolitik, Gesundheit, soziale Fragen: Hier können sich die beiden bürgerlichen Parteien irgendwo finden, auch wenn dafür jede von ihren Maximalforderungen abweichen muss.
Aber eben: 2012 waren das theoretische Gedankenspiele. Die chronisch wankelmütige CVP, damals mit 29 Sitzen zweitstärkste Partei, konnte man nur sehr punktuell einbeziehen, Kleinparteien wie GLP, EVP und BDP haben laut Eigenwahrnehmung ebenfalls bürgerliche Facetten, sind aber auf Dauer keine zuverlässigen Bündnispartner für eine Politik rechts der Mitte.
2016 sah dann alles anders aus. Die SVP steigerte sich um 5 Sitze auf 40, die FDP legte - ziemlich unerwartet - ebenfalls um 4 Sitze auf 26 zu. Ergibt zusammen nicht weniger als 66 von 120 Sitzen. Das ist eine solide Mehrheit, selbst wenn mal der eine oder andere schwänzt (was auf der anderen Seite der Skala ja auch passiert).
Darauf liesse sich aufbauen. Gleichzeitig wurden «Kleine» wie EVP und BDP förmlich pulverisiert, die SP konnte halten, die CVP liess Federn. Einen so starken bürgerlichen Block gab es letztmals in den Vor-SVP-Zeiten, als St.Gallen ein tiefschwarzer Kanton mit einer allgewaltigen CVP war - und mit einer FDP, die schon aus Prinzip oft deren Gegenposition einnehmen musste. Eine Konsensfindung war nur schon deshalb damals schwerer, auch wenn es auf dem Papier nach einer erdrückenden bürgerlichen Front aussah.
Eine Mehrheit für eine Politik rechts der Mitte haben wir also: Doch wie sieht die Politik seither aus? Sie unterscheidet sich kaum von derjenigen der vorhergehenden Legislatur. Höchstens in Nuancen. Echte Einschnitte? Fehlanzeige.
Dazu nur ein Beispiel: Bei jeder Budgetdebatte ist die Kantonsverwaltung ein Thema. Sparanstrengungen an einem Ort werden aufgefressen von Mehrausgaben woanders. Aber wer sich nach den Wahlen 2016 vor echten Spareinschnitten fürchtete, konnte aufatmen. Es geschah weitgehend nichts. An der Steuerfront gibt es bescheidene Ansätze zu einer gewissen Entlastung, die aber nichts mit einem Befreiungsschlag zu tun haben. Aber die Verwaltung wuchert weiter.
In gewisser Weise ist St.Gallen ein Abbild der Situation auf Bundesebene. Auch dort könnten SVP und FDP eigentlich fuhrwerken, wie sie wollen, sie verfügen über eine solide Mehrheit, deutlicher noch als in St.Gallen. Wo aber wird das sichtbar? Es ist, als wenn Macht lähmen würde. Der Anstand verbietet es offenbar, eine Mehrheit zur Durchsetzung der eigenen Politik zu nutzen.
Mit dem Ergebnis, dass die bürgerliche Seite oft die Resultate der Bundespolitik kritisiert und dann mit der berechtigten Frage konfrontiert wird: Aber Ihr habt doch eine Mehrheit?
Oder aber, das ist ein anderer Erklärungsansatz, SVP und FDP können es eben doch nicht miteinander. Das wäre nur schon historisch bedingt durchaus nachvollziehbar. Die FDP hat in jüngster Zeit zwar das Volk als Faktor erkannt, ist aber in der Wahrnehmung vieler noch immer die Partei der Hochfinanz. Die SVP hingegen sitzt wohlig in der Welt der Stobeten und Fahnenschwinger. Das ist natürlich keine Symbiose.
Dazu kommt, dass die FDP auf lokaler Ebene immer noch ein Platzhirsch ist, ganz anders als die SVP. Die Freisinnigen müssen auf die Befindlichkeiten unzähliger Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte Rücksicht nehmen und können sich schon deshalb keine Haudrauf-Politik leisten.
Doch die Frage bleibt: Warum rauft man sich nicht wenigstens in einzelnen Leitfragen zusammen und nützt die vom Wähler verliehene Macht? Vielleicht, weil man in Gedanken bereits bei den nächsten Wahlen ist und die eigene Basis nicht vergraulen will? Das ist legitim, aber es bleibt die Frage: Was nützen Mehrheiten, wenn sie sich nicht auszahlen? Warum sollen die Wähler 2020 mit ihrer Stimme diese Mehrheit stützen?
Fragt man einen Linken, wird er ohne Zweifel beklagen, dass die Politik im Kanton St.Gallen durchaus rechtsbürgerlich ist und SVP und FDP ihre Macht nützen. Aber das ist natürlich eine Frage der Perspektive. Es gibt einzelne Sachgeschäfte, in denen die Mehrheit spielt. Wer sich aber eine eigentliche Wende erhofft hat, der bleibt enttäuscht zurück. Und sieht mit Erstaunen, wie sich die beiden Parteien rechts der Mitte in belanglosen Fragen Saures geben, statt an einer gemeinsamen Strategie zu arbeiten.
Dafür gibt es punktuell andere Allianzen. Beim kantonalen Verhüllungsverbot standen SVP und CVP Seite an Seite, die FDP setzte sich als Hüterin des liberalen Staats in Szene. Die unterm Strich denkbar unwichtige Vorlage wurde so zu einem weiteren Spaltpilz zwischen FDP und SVP.
Die Chancen stehen dennoch gut, dass die Mehrheit auch nach den nächsten Wahlen 2020 erhalten bleibt. Die FDP ist tendenziell im Aufwind, die SVP schwächelt zumindest nicht. Geht es in dieser Konstellation in eine neue Runde, ist es aber höchste Zeit, darüber nachzudenken, wie man das Votum der Wähler in etwas Zählbares ummünzt.
Diese Legislatur kann man als verloren abhaken. Denn in wenigen Monaten beginnt der Wahlkampf für die nächsten vier Jahre. Und in diesem lässt sich niemand mehr zum Fenster raus. Nach den nächsten Wahlen wäre es aber Zeit für einen runden Tisch der beiden Parteien, die - wenn es so herauskommen sollte - von den Wählern legitimiert sind, gemeinsam Akzente zu setzen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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