Rülpsende und furzende Kühe werden als «Klimakiller» dargestellt. Für Agronom Christian Manser unverständlich – denn: Die Ostschweiz würde ohne die Tiere niemals über solche gepflegten, saftigen Wiesen und Weiden verfügen, sagt er. Das Grün sei schliesslich das Gold der Ostschweiz.
Er wird auch der «Kuhflüsterer» genannt, und seine Leidenschaft für die Wiederkäuer lässt sich kaum verstecken. Christian Manser ist als Agronom beim Landwirtschaftlichen Zentrum SG in Flawil tätig. Man kennt ihn aber auch als Kommentator beim legendären Säuli-Rennen an der Olma und vielen weiteren Veranstaltungen. Seine Heimat ist die Ostschweiz, und er kann sich niemals sattsehen an den saftigen Wiesen und Grünflächen. Im Gegensatz zu vielen anderen: Die grünlandbasierte Milch- und Fleischproduktion würden einige viel zu wenig schätzen, sagt er im Gespräch. «Gewissen Leuten fehlt es an Demut und Wertschätzung. Wenn wir die schön gepflegten Wiesen und Weiden betrachten, muss man ganz klar sagen, dass sie ohne die Kühe gar nie so aussehen würden.»
Wichtige Mikroben
Doch ist es oftmals die Landwirtschaft, die von vielen kritisiert wird. Zu oft werde gedüngt und gespritzt, zu viele Kühe gehalten, zu hohe Preise gefordert. Darf man also in der heutigen Zeit unseren Kühen – und generell der Landwirtschaft – dennoch ein Kränzchen winden? Oder würde Manser dies inzwischen lieber verdeckt tun? «Es ist absolut vermessen, die Kuh als ‹Klimakiller› darzustellen», fasst es der Experte zusammen. Die Tierzahlen seien in der Schweiz rückläufig. Die Kuhzahl ging seit 1985 von 820 000 auf inzwischen rund 620 000 Kühe zurück. Zwar sei der Methanausstoss nicht von der Hand zu weisen. «Nur dank der Mikroben verwertet die Kuh das für uns wertlose Gras zu Fleisch und Milch», so Manser. Die Böden im Grünland binden viel CO2, man müsse das grosse Ganze betrachten.
Methan hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 12 Jahren. Hinzu kommt, dass Methanemissionen von Wiederkäuern biogen sind und daher weniger klimaerwärmend wirken als fossile, sagt Manser. «Wir dürfen hier von einem Kreislauf sprechen. Die Akademien der Naturwissenschaften der Schweiz haben bereits im Mai 22 dargelegt, dass die bisherigen Treibhausgasberechnungen nicht korrekt sind und die Klimawirkung der Kühe klar überschätzt wird.» Mit dem rückläufigen Kuhbestand leisten die Tierhalter sogar einen Beitrag gegen die Klimaerwärmung. Alles habe einen tieferen Sinn, und es gerate inzwischen in Vergessenheit, dass es die Hauptaufgabe der Schweizer Landwirtschaft sei, gesunde Nahrung zu produzieren.
Minderheiten im Aufmarsch
Die Ostschweiz verfüge weltweit mit über die besten Voraussetzungen für den Futterbau. Die Böden sind gut, das Klima abwechslungsreich, die Futterbestände entsprechend wertvoll. «Wenn wir also hier nicht produzieren sollen – wo dann?» Doch Kritiker prangern genau das an. Es gebe inzwischen zu viele Grünflächen, durch die häufige Düngung gehe die Insektenpopulation flöten. Für Manser ein weiterer Anhaltspunkt, dass inzwischen Minderheiten extrem wahrgenommen werden. «Natürlich müssen wir über Klimakleber oder die vegane Lebensweise reden. Aber im Verhältnis wird ihnen sehr viel Gehör geschenkt – was nicht zuletzt auch durch die Medien ermöglicht wird.»
Höhere Nutzungsdauer
Manser setzt sich für gesunde, leistungsstarke Kühe ein. Eine Kuh gibt durch gute Haltung und Fütterung mehr Ertrag – was wiederum dazu führt, dass es weniger Kühe braucht. Vielen sei es nicht bewusst, dass sich die Zahlen zurückbewegt haben. Es müsse das Ziel sein, möglichst lange mit den gleichen Kühen zu arbeiten. «Wir haben hierzulande eine deutlich höhere Nutzungsdauer im weltweiten Vergleich. Eine Kuh wird bei uns zwischen 3,5 und 4 Laktationen genutzt, im Ausland sind es oftmals nur gut zwei.» Der ökologische Gedanke sei bei der hiesigen Landwirtschaft schon lange angekommen. 88 Prozent der Schweizer Kühe verbringen übrigens von Mai bis Oktober mindestens 26 Tage pro Monat auf der Weide. Dem Landwirt sei es ein grosses Anliegen, dem Boden Sorge zu tragen. Schliesslich sei es häufig der eigene Sohn oder die Tochter, die den Betrieb irgendwann übernehme und weiterführe. «Das ist Anreiz genug, der Umwelt und den Böden Sorge zu tragen», weiss Manser.
**Vereinzelte vermasseln Ruf **
Die Schweiz verfüge über strenge Richtlinien, die regelmässig kontrolliert werden. Im Vergleich dazu hätte das Ausland lasche Bestimmungen. Wenn in Deutschland ein neuer Stall gebaut werde, schreibe das Tierschutzgesetz lediglich eine «artgerechte Haltung» vor. Manser: «Eine sehr vage Beschreibung. Es erstaunt doch sehr, dass gleich hinter der Grenze so legere Gesetze herrschen.» Leute, die sich nicht konform bewegen, gebe es wohl in jeder Branche – da bilde auch die Landwirtschaft keine Ausnahme. Dennoch seien es nur vereinzelte, die den Ruf herabziehen würden. Die teilweise harsche Kritik, die sich die Landwirtschaft gefallen lassen muss, mag Manser nicht verstehen. Ihm ist bewusst, dass dies nicht nur in der Landwirtschaft so sei. «Uns geht es in der Schweiz sehr gut, und deshalb ist es einfach, sich über jeden gefällten Baum, jeden Parkplatz oder jede Strasse aufzuregen. Es wird auf hohem Niveau gejammert.»
Gute Produzenten bei Laune halten
Er sei schon in einigen Ländern unterwegs gewesen, wo die Menschen schlichtweg nichts besitzen. «Es ist traurig, aber sie sind dort häufig zufriedener, als es bei uns der Fall ist.» Es müsse deshalb weiterhin das Ziel der Landwirtschaft sein, gesunde Lebensmittel produzieren zu dürfen. Die Produktion auf dem Leistungsniveau weiterzuführen sei anspruchsvoller, als Blumenwiesen anzusäen oder die Leistungen aufgrund eines Labels zu drosseln. Schliesslich seien wir weltweit an einer der besten Lagen für die Nahrungsmittelproduktion. «Wir müssen achtgeben, dass wir die guten Produzenten nicht verlieren. Und wieder mehr schätzen, was wir haben.» Für ihn steht deshalb fest: «Wenn ich als Kuh auf die Welt kommen würde, dann in der Schweiz!»
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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